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Emil Biller
Reporter

briefing: Zum Abschied leise Servus

Nun ist sie da, die letzte Ausgabe des tag eins briefings. Im Gegensatz zur Einstellung einer Printzeitung fühlt sich das bei einem Newsletter um einiges weniger zeremonienhaft und festlich an. Nichtsdestotrotz bin ich beim Schreiben dieser Zeilen ein bisschen sentimental.

Auch wenn wir bei tag eins das Rad des Journalismus nicht neu erfunden haben, so haben wir doch viele Dinge ein klein wenig anders gemacht. Dieses Newsletter-Format zum Beispiel ist eigentlich eine kleine digitale Wochenzeitung, die durch ihren thematischen Fokus auf Politik und Medien aus der Menge an Newslettern hervorsticht. Und das ist mit heute einfach vorbei.

So wie die Regentschaft von Papst Franziskus. Im Normalfall würde ich mich jetzt an dieser Stelle darüber auslassen, was sich da medial seit Montag abgespielt hat. Ich kann mich nicht erinnern, wann ein Thema zuletzt so umfangreich Aufmerksamkeit erregt hat, wie der Tod dieses 88-jährigen Mannes. Ich kann es bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen es, mich fasziniert das Ganze auch (Illuminati sei Dank).

Der Aufmacherbereich von orf.at am Dienstag, 22. April um 13:33. Screenshot: Wayback Machine/orf.at

Andererseits ist dieser Medienreigen (zwischenzeitlich waren z.B. auf orf.at drei von sechs Aufmacherplätzen mit Papst-Bezug belegt) auch ein wenig übertrieben. Und das wird wie so oft kaum kritisch eingeordnet. Das würde ich hier gerne noch ausführlicher tun, so etwas fehlt in Zukunft!

Im schnellen Überblick ...

Diese Woche haben wir für dich:
In eigener Sache: Was von tag eins bleibt
Bericht: Das Erstarken von linkem Antisemitismus

Ich will zum Abschluss aber nicht nur in die (traurige) Zukunft ohne tag eins blicken, sondern auch in die schöne Vergangenheit mit tag eins. Unsere Redaktionsleitung Anna Mayrhauser hat dafür aufgeschrieben, welche Artikel und Texte unser kleines Onlinemagazin zu dem gemacht haben, was wir heute sind. Und was davon übrig bleibt!

Ein letztes Mal: Viel Spaß mit dem tag eins briefing!


👋
Aus der Redaktion: Was von tag eins übrigbleibt

von Anna Mayrhauser 📧

Im Alltagstrott merkt man ja oft nicht, was man eigentlich gerade schafft. So ging es zumindest mir in den letzten zwei Jahren, in denen ich tag eins redaktionell mit aufgebaut und dafür gesorgt habe, dass in unserer kleinen, auch zu stabilen Zeiten immer prekär aufgestellten Redaktion wirklich jede Woche ein Text erscheint (es hört sich einfacher an, als es ist). Jede Woche, seit Anfang an! Auch dann, wenn alle mit der Redaktion verwandten Kleinkinder krank sind, Verpflichtungen anderer Jobs rufen oder sich die Recherche als viel schwieriger gestaltet als angenommen. 

Heute blicke ich deshalb – im letzten briefing darf ich das sagen – sehr stolz darauf zurück, was wir in diesen zwei nicht immer einfachen Jahren geleistet haben und wie tag eins den österreichischen Journalismus doch ein bisschen geprägt hat.

Eine kleine Rückschau! 

Clickbait war ja nicht so unseres, trotzdem müssen Texte in einem Onlinemedium nun mal geklickt werden. Am meisten habt ihr das bei diesen fünf Texten gemacht:

Die Nummer 1: Der meistgeklickte Text in der tag-eins-Geschichte ist die Erkundung „What the fuck happened to Nicole S.“ von Dominik Ritter-Wurnig und Markus Sulzbacher. In diesem Text geht es um vieles: um die schleichende Online-Radikalisierung einer einst reichweitenstarken feministischen Podcasterin, aber auch um linken Antisemitismus, die Hilflosigkeit gegenüber Extremismus im persönlichen Bereich und die Rolle, die Social Media dabei spielt. Themen, die uns immer noch auf unterschiedliche Art und Weise berühren und betreffen.

Die Nummer 2 fällt thematisch bei tag eins etwas aus der Reihe, ist aber sehr lösungsorientiert – Aram Ghadimi geht der Frage nach, ob Psychedelika Menschen helfen können, ihre Depressionen zu lindern. Ob das klappt und welche Fallstricke es gibt, kannst du in dieser ausführlichen Recherche lesen.

Nummer 3 führt uns dann wieder in klassische tag-eins-Gefilde: Markus Sulzbacher hat sich anlässlich der Nationalratswahl 2024 die seltsame Welt der Madeleine Petrovic angeschaut – und Transfeindlichkeit, Coronaleugnung und Russland-Fandom gefunden. Exklusiv darf ich an dieser Stelle verraten, dass dieser Text auch in der Summe der erhaltenen Leser*innen-Briefe einen kleinen Rekord hält. 

Auf Nummer 4 steht ein Text, der mir persönlich viel bedeutet hat – Bettina Figl fragte sich, warum Eltern eigentlich immer so erschöpft sind und ob Elternschaft wirklich anstrengender ist als vor 30 Jahren. Entlastende Antwort: Wahrscheinlich schon und es liegt nicht an dir. Dieser Text war übrigens einer unserer ersten Texte, der eine für uns sehr hohe Reichweite erreicht hat – was auch daran liegen könnte, dass Stefanie Sargnagel ihn auf ihrem Facebook-Account teilte. Meine Freude war groß. Zusätzlich wurde er – ebenso wie auch Aram Ghadimis „Gesundheitstrip“ – vom Newsaggregator Pocket des Browsers Firefox aufgegriffen, was die Reichweite in für uns normalerweise unerreichbare Höhen getrieben hat. Für kleine Medien – unbezahlbar.

Erst vor Kurzem für großes Aufsehen gesorgt hat unsere Nummer 5. Dominik Ritter-Wurnig ist der Frage nachgegangen, welche Kunstwerke eigentlich im Büro von NR-Präsident Walter Rosenkranz hängen – und hat damit ganz schön viel ausgelöst. Seine Recherche über den Nazi-Künstler Rudolf Eisenmenger wurde vielfach geteilt und zitiert. (Sogar in der französischen Zeitung Le Monde – wir sind sehr stolz!)  

Diese schöne, aber wilde Mischung erzählt schon ganz gut, was tag eins ausgemacht hat. 

tag eins war aber viel mehr als Klicks und Listen 

Nach der Nationalratswahl 2024 haben wir nach euren Sorgen und Ängsten gefragt – eine berührende und aufrüttelnde Collage aus der Community ist entstanden. Und weil wir unsere Wurzeln schließlich im lösungsorientierten Journalismus haben, gab es auch eine Handreichung, was wir jetzt tun können, wenn uns der Wahlsieg der FPÖ Angst macht.

Wie nötig das ist, haben die zahlreichen Recherchen rund um die rechtsextreme Szene und ihre Verbindungen zur FPÖ von Markus Sulzbacher immer wieder gezeigt (der btw. vermutlich auch die meisten tag-eins-Artikel geliefert hat, aber nachgezählt hab ich nicht, diese Angabe ist ohne Gewähr). Exemplarisch hervorgehoben sei hier dieser Artikel, über die SS-Akten von führenden FPÖ-Mitgliedern. Immer wieder lesenswert.

Gestartet sind wir als lösungsorientiertes Magazin. Da darf ein Artikel von tag-eins-Mitbegründerin Ruth Eisenreich in dieser Auflistung nicht fehlen. Ihre Recherche darüber, was Phagen als Ersatz für Antibiotika leisten können, zeigt, was lösungsorientierter Journalismus alles kann – unaufgeregt und kritisch. Lösungsorientierung war ein Wert, der uns zwar nie ganz verlassen hat, sich im Laufe der Zeit aber bei tag eins verändert hat. So gab ein Experte im Interview mit Jana Reininger etwa Tipps für den Umgang mit Doom-Scrolling. Emil Biller und Christian Bartlau, ebenfalls tag-eins-Mitbegründer, haben aufgeschrieben, wie besserer Journalismus die Welt retten kann – zumindest ein bisschen. Und ich denke, er kann es immer noch – zumindest ein bisschen. 

Einer unserer ersten tag-eins-Texte über konstruktiven Journalismus. Screenshot: tageins.at

Unsere Recherchen zum Klima haben uns immer wieder gezeigt, dass es – was viele andere vor uns auch schon festgestellt haben – ganz schön schwierig ist, über die Klimakrise nahbar und direkt vermittelnd zu schreiben. Dieser Text von Christof Mackinger zeigt das Große im Kleinen.

Politik und Medien im Fokus

Ende 2024 haben wir uns auf Politik und Medien spezialisiert, ein Thema, das uns schon vorher bewegt hat. 

Zu unseren jüngst erschienenen Texten zählt eine Analyse von Emil Biller, wie Big Tech unabhängigen Journalismus bedroht. Ein Thema, über das wir noch viel zu wenig sprechen. Exemplarisch für unsere Auseinandersetzung mit rechten Medien in Österreich steht diese Zusammenfassung über das Netzwerk von Exxpress. 

Und wer sich gefragt hat, ob es eigentlich sein kann, dass immer die gleichen drei Leute im Fernsehen labern, der kann sich hier überzeugen, dass das tatsächlich so ist.

Um Veränderung geht es in dem Buch Moralische Ambition von Rutger Bregman, dass ich im Jänner dieses Jahres rezensiert habe. Denn auch Bücher sind für uns Medien, mit denen wir die Welt besser verstehen können. Aus diesem Grund waren auch Buchrezensionen Teil unseres journalistischen Repertoires.

Was Politik angeht, hat uns von Anfang an das tagesaktuelle Geschehen nicht so interessiert, vielmehr ging es uns um das konstruktive Einbringen in Debatten. So sprach Naz Kücüktekin mit dem Sozialarbeiter Fabian Reicher über die von Boulevardmedien eifrig besprochene Gewalt zwischen migrantischen Jugendlichen, die die Mediendebatten im vergangenen Sommer hochkochen ließen. Und zeichnete ein anderes Bild. 

Und Emil Biller hat in seiner vierteiligen Serie „Das Vermächtnis von Türkis-Blau“, dafür gesorgt, dass niemand vergessen kann, was die Regierung von Kurz und Strache alles so umgesetzt hat – vielleicht auch eine gute Argumentationshilfe für das nächste Familienfest mit der ÖVP/FPÖ-wählenden Verwandtschaft.

Auch mit unserer eigenen Branche haben wir uns immer wieder selbstkritisch auseinandergesetzt und das ist auch bitter notwendig, wie dieser Einwurf zum Kurt-Vorhofer-Preis an Hubert Patterer zeigt. Oder dieser Rundruf unter jungen Journalist*innen. 

Das Team hinter tag eins in der aktuellen Konstellation. Bild: Iris Strasser

tag eins über die Gesellschaft

Einer der ersten Texte, die ich für tag eins beauftragt habe, ist heute für mich immer noch einer der relevantesten: Die Schriftstellerin Mareike Fallwickl schrieb für uns auf, wie ihr die Gen Z im Kampf gegen Sexismus Hoffnung gibt – angesichts des Falles Rammstein, der ansonsten nicht viel Anlass zur Hoffnung bietet. (Erst am Wochenende inszenierte sich Till Lindemann gemeinsam mit LASK-Spieler Jérôme Boateng in den Sozialen Netzwerken wieder mal als Medien-Opfer. Rammstein wird übrigens im November in Wien auftreten, falls wer demonstrieren gehen mag.)

Ebenfalls ein Text vom Beginn von tag eins thematisierte den schwierigen Weg gerade in ländlichen Gemeinden in Österreich zum Schwangerschaftsabbruch, in einem neueren setzte sich Jolanda Allram mit den Väterrechtlern in der FPÖ auseinander.

Berichte über strukturellen Sexismus begleiteten uns von Anfang an. Aber auch auf einer persönlichen Ebene: Emil Biller spürte der Frage nach, warum Freundschaft eigentlich immer weniger gilt als romantische Beziehungen und welche Entwürfe es abseits von heteronormativen Kleinfamilien-Welten geben kann. Ich hab mich hingegen gefragt, wie man in diesen heteronormativen Kleinfamilien-Welten einen Sohn feministisch großziehen kann – und ihn vor dem Patriarchat schützt. Auch das sind Fragen, die an Dringlichkeit nicht verloren haben.

Und Influencerin Steffi Stankovic sagte im Interview Sätze, die heute angesichts der transfeindlichen Debatten weltweit und den Entwicklungen in den USA noch mehr schmerzen als vor zwei Jahren. Denn „Menschliche Existenzen sind keine Debatte“. Niemals. 

Last but not least haben unsere Kolumnistinnen Saskia Hödl, Vina Yun, Elisabeth Oberndorfer und Magdalena Klemun vor allem in der Anfangszeit von tag eins in ihren Kolumnen wöchentlich aktuelle Fragen kritisch und oft auch lustig behandelt. Auch ihre Kolumnen sind heute noch absolut passend und zielsicher– sei es Saskia Hödls Analyse zu Antisemitismus, Vina Yuns Text über die Aussprache vermeintlich „ausländischer“ Namen, Elisabeth Oberndorfers Frage danach, warum die Regierung eigentlich nichts gegen die Teuerung unternimmt oder Magdalena Klemuns Analyse von Doomsday-Szenarien. 

tag eins war bestimmt nicht immer perfekt, vieles haben wir immer wieder aushandeln und diskutieren müssen. Doch diese Texte zeigen: Es ist uns gelungen, zeitlosen Journalismus zu produzieren. All diese Themen berühren uns immer noch, zu all diesen Themen gibt es noch sehr viel zu erzählen – hintergründig, konstruktiv und kritisch. Damit möchten wir euch im Gedächtnis bleiben!

PS: Eine gute Nachricht, all diese Texte – und viele weitere ebenso lesenswerte – bleiben noch ein bisschen online! 


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Linker Antisemitismus erstarkt

von Markus Sulzbacher 📧

Der Antisemitismus greift einmal mehr um sich. Die Zahl an antisemitischen Vorfällen in Österreich ist abermals gestiegen, wie der Antisemitismusbericht der Israelitischen Kultusgemeinde zeigt. Markus Sulzbacher erklärt im allerletzten tag-eins-Deep-Dive, was das mit der linken Szene zu tun hat.

Die andere Seite des Hasses: Linker Antisemitismus erstarkt
Erstmals hat die Meldestelle Antisemitismus mehr antisemitische Vorfälle mit linkem als mit rechtem Hintergrund in Österreich dokumentiert.

(Text für alle frei zugänglich – ohne Paywall)


Liebe tag eins-Community,

Uns ist sehr bewusst, dass es nicht von großer Empathie zeugt, im Newsletter eines Mediums, das sein Erscheinen einstellen muss, für ein neues zu werben. Wir tun es trotzdem, weil wir mit JETZT gerade etwas entwickeln, von dem die Leserinnen und Leser von tag eins wissen sollten. Ein Medium, das auf Unabhängigkeit, gute Recherchen und die Nutzung digitaler Vorteile setzt. Ihr habt tag eins unterstützt, wir würden uns freuen, wenn ihr auch uns ein Stück weit des Weges begleitet. Hier könnt ihr unseren Newsletter abonnieren und mehr über JETZT erfahren.

Herzlich,

Elisalex Henckel-Donnersmarck (Chefredakteurin JETZT)


Und wie geht es jetzt weiter? Ich kann es dir nicht genau sagen. Mit 1. Mai stellen wir auf jeden Fall den redaktionellen Betrieb erstmal ein. Danach werden wir im Konklave zusammenkommen und darüber beraten, wie es mit der Seite tageins.at und der GmbH dahinter weitergeht. Ich kann dir nur versprechen, dass wir uns diesen Newsletter-Kanal vorerst offen lassen und dich auch weiterhin über Updates und schwarzen bzw. weißen Redaktions-Rauch informieren werden. Ich hoffe, das ist okay für dich.

Solltest du noch Fragen, Ideen, Jobs, Lob, Kritik oder Ähnliches für uns haben, erreichst du uns auch noch ein Weilchen unter hallo (at) tageins.at oder den jeweiligen privaten E-Mail-Adressen (vorname.nachname (at) tageins.at).

Wir sagen leise Servus!

Emil und die ganze Redaktion von tag eins

PS: Sei nicht zu traurig, wir melden uns nächste Woche noch ein allerletztes Mal! ;-)

Hast du eine Anmerkung zum Newsletter? Antworte einfach oder schreib uns eine neue E-Mail an hallo@tageins.at.
Autor*in: Emil Biller

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