Werdende Eltern hören oft diesen Satz: „Man kann es sich vorher nicht vorstellen, wie es ist.“ Manchmal fügt das Gegenüber noch hinzu: „Aber es ist schön.“ Das soll wohl die Vorfreude nicht trüben, ist aber wenig hilfreich. Einzig auf mein Nachbohren bezüglich des Mehraufwands eines zweiten Kinds warnte mich ein befreundetes Paar, das selbst zwei kleine Kinder hat: „Es ist anstrengend. Sehr anstrengend.“ Aber auch meine Freund*innen relativierten sofort und betonten die „schönen Momente“.
Eine andere Freundin, ebenfalls Mutter von zwei Kindern, berichtet mir, dass sie an manchen Tagen völlig erschöpft am Fußboden liege, während ihre Kinder neben ihr spielen. Ihr Mantra für all die Jahre, in denen sie zwei kleine Kinder wickeln, trösten und versorgen musste? „Augen zu und durch.“ Doch auch sie sagt: „Man bekommt so viel zurück.“
An das, was man alles zurückbekommt, musste ich in den vergangenen fünf Jahren, seit meine Tochter auf der Welt ist, oft denken: In jener Nacht, als sie mich um vier Uhr früh weckte, um mit Taschenlampen den Dachs im Garten zu suchen. Als sie sich, ebenfalls nachts, krank an mich nestelte und ich wenig später ihr Erbrochenes im Gesicht hatte. Oder als sie sich beim Gärtner schreiend auf dem Boden wälzte, weil ich ihr keinen 70-Euro-Adventskranz mit pinken Einhörnern kaufen wollte.
Anfangs schlaflose Nächte, später Wutanfälle, dann ewige Diskussionen: So oder so ähnlich lautet der Zyklus des Lebens mit Kindern. Während in der Baby- und Kleinkindzeit ständige Überforderung von steter geistiger Unterforderung begleitet wird, sollte man sich für die oftmals konfliktreiche Teenagerzeit mit Seminaren und Fachlektüre rüsten.
Die Beschwichtigungen meiner Freund*innen haben aber durchaus ihre Berechtigung, denn natürlich ist nicht alles schlecht. Und natürlich entscheidet man sich im Idealfall bewusst dafür, Kinder zu bekommen. Eine Sache aber hat sich gewandelt: Immer mehr Menschen sprechen offen über die Schattenseiten des Elternseins – manche sogar auf ihrem Instagram-Profil. (Wiewohl viele Insta-Moms in den sozialen Netzwerken nach wie vor genau das Gegenteil, also das perfekte Familienidyll zeigen).
Ich gehöre zu denen, die offen darüber sprechen, dass es nicht nur schön ist, Kinder zu haben. Dazu muss ich sagen: Ich bin nicht alleinerziehend, verdiene überdurchschnittlich und habe ein soziales und familiäres Netzwerk, das meinen Partner und mich bei der Kinderbetreuung unterstützt. Rund 230.000 Mütter und 46.000 Väter in Österreich haben das nicht. ___STEADY_PAYWALL___ Sie waren laut Statistik Austria im Jahr 2022 alleinerziehend und gehören damit zu den am stärksten armutsgefährdeten Bevölkerungsgruppen Österreichs. Die Unterhaltszahlungen, die Alleinerziehende beziehen, betragen laut Statistik Austria im Schnitt 300 Euro pro Monat. Die Kosten für Kinder liegen mittlerweile bei 1.000 Euro monatlich.
Elternschaft geht mit einer Vielzahl an Nachteilen einher. Sie wirkt sich negativ auf die Finanzen, die Paarbeziehung oder die allgemeine Lebenszufriedenheit aus. Und sie begünstigt Erkrankungen. Besonders gefährdet ist die psychische Gesundheit von Müttern. Eine im Herbst 2023 veröffentlichte Studie der Johannes Kepler Universität Linz zeigt: Menschen, die Kinder bekommen, haben eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit, depressiv zu werden. Während Mütter, die nach der Geburt mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen, häufiger mit psychischen Problemen kämpfen, konnte auf Väter keine nachweisbare Auswirkung festgestellt werden.
„Ich erlebe eine große Anzahl von Frauen und Müttern, die verzweifelt sind, weil sie schon in der Früh, wenn sie aufstehen, nicht wissen, wie sie das alles stemmen sollen.“ Beraterin bei ABZ*AUSTRIA
Eine selbständige Alleinerziehende, deren Kinder inzwischen ausgezogen sind und studieren, schildert mir ihre permanenten Existenzängste und die Erleichterung, als sie es „geschafft” hatte, ihre Kinder bis zum 18. Geburtstag durchzubringen. Sie erzählt mir: „Ich konnte es mir nicht leisten, krank zu werden oder ein Burn-out zu haben.“
Eine Beraterin, die für das auf Gleichstellung spezialisierte Social-Profit-Unternehmen ABZ*AUSTRIA arbeitet, sagt mir in diesem Zusammenhang: „Ich erlebe eine große Anzahl von Frauen und Müttern, die verzweifelt sind, weil sie schon in der Früh, wenn sie aufstehen, nicht wissen, wie sie das alles stemmen sollen.“ Ihre Klientinnen – durchwegs gut ausgebildete, hochqualifizierte Frauen – würden zum Teil mit massiven psychischen Zusammenbrüchen, Panikattacken und Zwangsgedanken kämpfen.
Die Auswirkungen der Pandemie sind auch im Jahr 2024 mit voller Wucht zu spüren. Es waren vor allem Frauen, die während der Pandemie ihre Arbeitszeit reduziert haben, um Kinderbetreuung und Homeschooling irgendwie unterzubekommen.
Dabei ist der Anteil der Teilzeit arbeitenden Frauen in Österreich sowieso schon überdurchschnittlich hoch. Sobald Kinder im Spiel sind, wird der Gender Gap noch größer: Nur acht Prozent der Väter, aber 65,3 Prozent der Mütter arbeiten laut Statistik Austria Teilzeit (Stand: 2022). Die Geburt eines Kindes geht für Frauen daher oft mit massiven Einkommensverlusten einher – wobei die Verluste für gut ausgebildete Mütter laut Studien noch höher sind.
Das Thema Care-Arbeit, die nach wie vor vor allem von Frauen verrichtet wird, erfährt inzwischen etwas mehr öffentliche Aufmerksamkeit. Doch ein Großteil der Arbeit, die Tag für Tag geleistet wird, bleibt weiterhin unsichtbar. Das erleichtert der Politik, das Thema links liegen zu lassen – dabei kracht es an allen Enden. Und nicht nur Eltern, sondern auch das Personal an Kindergärten und Schulen ist vor allem eines: ausgebrannt.
Eine Mutter erzählte mir: „Am meisten stresst mich der Druck, dass beide Eltern Vollzeit arbeiten sollen. Ich bin viel zu früh wieder eingestiegen und das hat meine Akkus nachhaltig geleert.“ Was sie zusätzlich als anstrengend empfindet: Für die Arbeit und privat ständig erreichbar sein zu müssen, und die Erwartung, daneben auch noch ein erfüllendes Sozialleben zu führen.
Wie sehr dieser Druck innerhalb nur einer Generation gestiegen ist, zeigt das Beispiel von Brigitte T., die ab Ende der 1980er-Jahre vier Kinder im Abstand von je zwei Jahren bekommen hat. Sie war in Summe 12 Jahre in Karenz – wobei davon nur ein Jahr bezahlt war, weil es einen Mindestabstand gab, den man arbeiten musste, um neuerlich Karenzgeld beantragen zu können. Ihr Mann war Alleinverdiener. Das Modell, dass eine Person arbeitet und eine (in den meisten Fällen die Frau) zu Hause bleibt und sich um die Kinder kümmert, hat größtenteils ausgedient. Viele Menschen wollen und müssen trotz Kinder berufstätig sein. Das Einverdiener-Modell ist für die meisten Familien unleistbar geworden.
Hans Bertram, deutscher Familienforscher und emeritierter Soziologieprofessor an der Berliner Humboldt-Universität, sagt dazu in einem Interview mit der „NZZ“: Pro Familie seien früher 40 Stunden Arbeit ausreichend gewesen, heute brauche man 60 Stunden oder mehr, um finanziell über die Runden zu kommen.
Aber nicht nur der ökonomische Druck führt zu weniger Wahlfreiheit und zu mehr Stress. Der Trend geht nicht nur bei der Breizubereitung in Richtung DIY: Wer seinen Kindern zu viele Stunden „Fremdbetreuung“ „zumutet“, gilt schnell als Rabeneltern – und das nicht nur in konservativen Kreisen.
Der Alltag zwischen Haushalt, Büro oder Home-Office, zwischen Ballett-, Capoeira- und Geigenunterricht kann anstrengend sein. Denn die Vielzahl an Kursen, die heute angeboten werden und die Kinder oftmals ab dem Kleinkindalter besuchen, ist beachtlich und resultiert aus einem Mutterschaftsideal, in dem sich neoliberale Logiken der Effizienz und Selbstoptimierung widerspiegeln, wie Samira Baig in ihrem lesenswerten Buch „Mutterschaft und Feminismus“ schreibt.
Immer öfter leben Großeltern weit entfernt und sehen ihre Kinder und Enkelkinder nur in den Ferien. Das viel beschriebene „Dorf“, das es braucht, um ein Kind großzuziehen, muss man sich oftmals erst suchen oder erarbeiten.
Die Erwartungen an Eltern von heute, die sich immer noch stärker an Mütter richten, lautet demnach: Sie sollen effiziente und leistungsfähige Mitglieder der Gesellschaft produzieren, mögliche Gesundheitsrisiken minimieren sowie die physische und psychische Gesundheit ihrer Kinder fördern. Darauf basiert eine ganze Industrie an Elternratgebern und Produkten, die angeblich die Entwicklung des Kindes fördern sollen.
Edith H. hat ihren Sohn Mitte der 1980er-Jahre bekommen. Die pensionierte Flugbegleiterin hat eine Idee, warum Elternschaft heute als so anstrengend wahrgenommen wird: „Es dreht sich alles nur ums Kind. Ich habe natürlich auch auf meinen Sohn geschaut und aufgepasst, dass ihm nichts passiert, aber doch nicht jede freie Minute.“ Die Tage, an denen sie sich um ihren Sohn kümmerte, beschreibt sie als entspannt: „Ich habe mich am Nachmittag mit meinen Freundinnen, die auch Kinder hatten, am Spielplatz getroffen.“ Natürlich hat womöglich auch eine heute engagierte Großmutter wie H. zum Teil vergessen, wie anstrengend es ist, kleine Kinder 24/7 zu betreuen.
In den 1950er-Jahren entwickelte der englische Kinderarzt Donald Winnicott den Ansatz der „Good Enough Mother“. Demnach reicht es, wenn Mütter „hinreichend gut“ sind. Diese Sichtweise hat vor allem jene Frauen geprägt, die in der zweiten Welle der Frauenbewegung sozialisiert wurden.
Elfriede S. ist eine von ihnen. Sie erzählt: „Das Hintanstellen der eigenen Bedürfnisse gegenüber dem Kind war verpönt.“ S. war Studentin und gerade einmal 21 Jahre alt, als sie 1983 Mutter wurde. Für sie gab es keine Babypause: Ihr Studium nahm sie einen Monat nach der Geburt wieder auf. Daneben ging sie regelmäßig tanzen, zum politischen Arbeitskreis und ins Kino. Sie nahm ihr Kind oft mit, etwa in den Hörsaal, aber auch kinderlose Freundinnen übernahmen Betreuungspflichten. „Natürlich hatte ich auch manchmal ein schlechtes Gewissen, mein Kind zurückzulassen, aber meine Freundinnen versicherten mir immer, dass es ganz wichtig ist, dass ich etwas für mich tue.”
Ein guter Tipp, doch „Mom Guilt“, also das schlechte Gewissen von Müttern, lauert heute an jeder Ecke. Co-Parenting, bei dem Menschen, die nicht verwandt sind, Betreuungspflichten übernehmen, ist unüblich und weitgehend unbekannt. Die meisten Familien leben das Modell der Kernfamilie. Mit etwas Glück hat man eine Großmutter, die zur Not einspringt – und immer öfter auch einen Großvater, der jetzt nachholen will, was er bei seinen eigenen Kindern versäumt hat.
Doch immer öfter leben Großeltern weit entfernt und sehen ihre Kinder und Enkelkinder nur in den Ferien. Das viel beschriebene „Dorf“, das es braucht, um ein Kind großzuziehen, muss man sich oftmals erst suchen oder erarbeiten. Etwa indem man sich einem alternativen Wohnprojekt oder einer Baugruppe anschließt, oder indem man die Kinder in eltern- oder selbstverwaltete Schulen oder Kindergärten einschreibt – mit all ihren Fallstricken, von Konfliktpotenzial bis hin zu einen Mehr an unbezahlter Arbeit. Ein selbstgestricktes, unterstützendes Netzwerk kann aber auch durch Babysitter, Leihomas, Freund*innen und oder Nachbar*innen bestehen.
Feministin und Mutter zu sein ist anstrengend und voller Ambivalenzen.
Denn die Kleinfamilie und die Individualisierung der Kinderbetreuung tragen maßgeblich zur (Über-)Anstrengung der Eltern bei. Wer mit Kindern unterwegs ist, wird als Störfaktor wahrgenommen, wie Familienforscher Bertram in der „NZZ“ erklärt: Früher gingen Eltern davon aus, dass Mitmenschen den Wutanfall des Kindes ertragen müssen. „Die Öffentlichkeit gibt Regeln vor, Kinder brechen diese Regeln“, sagt Bertram. Leise sein. Nicht laufen. Nicht spielen. Kinder müssten permanent Dinge einhalten, die in ihrem Alltag eigentlich gar nicht wichtig sind. Die Folge seien Eltern, die ständig unter Strom stehen. Bertram erzählt weiter: Vor wenigen Jahrzehnten seien Kinder permanent draußen gewesen. Sie gehörten zur Öffentlichkeit einfach dazu. Überall waren Erwachsene, die mit einem Auge aufpassen und zur Not einsprangen.
Heute gibt es Kinderhotels für Familien mit Kindern und „Adult only“-Hotels für Erwachsene. Es wird darüber diskutiert, Kindern in Kaffeehäusern den Zutritt zu verbieten und separate Familienbereiche im Flugzeug zu schaffen. Damit Kinder nicht immer weiter aus dem öffentlichen Leben verdrängt werden, müssen neue Lebensräume geschaffen werden. Wir brauchen kinderfreundlichere und somit weitgehend autofreie barrierefreie Städte und Dörfer, in denen sich Kinder frei bewegen können.
Es ist absurd: Viele Mütter bemühen sich von Beginn an, alles richtig zu machen – und das heißt oftmals das Beste für ihr Kind. Gleichzeitig werden sie von allen Seiten beurteilt. Wer nach der Karenz rasch wieder zu arbeiten beginnt, ist eine Rabenmutter. Bleibt man zu lange zu Hause, „vernachlässigt“ man den Job und „verwöhnt“ die Kinder. Besonders stark zeigt sich das am Beispiel des Stillens: Wie wichtig dies für die Entwicklung des Kindes ist, wird immer betont, und Frauen, die es nicht tun, stehen oftmals in der Kritik – gleichzeitig wird sozial nicht akzeptiert, ein Kind zu stillen, das älter als ein Jahr alt ist.
Sich der permanenten Bewertung von außen und den eigenen Vergleichen mit anderen zu entziehen, ist anstrengend. Der Druck, dem Ideal einer perfekten Familie zu entsprechen, ist nicht zuletzt aufgrund des Internets und Sozialer Medien gestiegen. Für Frauen kommt heute noch die Erwartung hinzu, neben Kindern und Job sportlich, schlank, gut gelaunt, und ja, auch sexy, zu sein, also die perfekte MILF (Mother I would like to fuck).
Im Buch „Die Erschöpfung der Frauen“, in dem Autorin Franziska Schutzbach die „kollektive Erschöpfung der Frauen“ beschreibt und die Systematik, die dahinter steckt, analysiert, heißt es: „Frauen können heute berufstätig sein, Karriere machen, in die Politik gehen, Sex mit verschiedenen Partner*innen haben und ein emanzipiertes Leben führen. Das bedeutet aber auch: Von ihnen wird Perfektion in noch mehr Bereichen erwartet.“ Der Druck, es allen recht zu machen, habe nicht abgenommen. Im Gegenteil. Eine Frau kann alles, soll aber auch alles.
Als ich einmal völlig erschöpft in einem Yogastudio auf der Matte lag und darauf wartete, dass die Pilatesstunde beginnt, fragte ich mich: „Was zum Teufel mache ich hier eigentlich?!“ Eine Frage, die ich mir auch regelmäßig stelle, während ich den Küchentisch wische, Spielzeug einsammle, Bettdecken aufbeutle. Tue ich das, weil ich es wirklich will? Oder weil ich einem internalisierten Rollenbild entspreche? Sollte ich mich nicht schon längst hinsetzen und eine Pause machen?
Was bleibt, ist das Gefühl des Versagens. Ich bin ja selbst schuld, weil: Niemand hat mich gezwungen, bei der Karriere zurückzustecken und Stunden zu reduzieren. Ich könnte ja meine Kinder überall hin mitnehmen, wenn ich wollte. Auf berufliche Abendtermine genauso wie zu politischen Treffen oder auf Weiterbildungen. Und wieso stresst es mich, wenn sich das schmutzige Geschirr stapelt und der Lurch die Wohnung erobert?
Feministin und Mutter zu sein ist anstrengend und voller Ambivalenzen. Das liege daran, dass man als Feministin „permanent über den eigenen Schatten springen“ und „tief ins eigene Ich eingebrannten Bilder, Wünsche und Ängste erkennen und bekämpfen“ müsse, wie es in Heide Lutoschs Buch „Kinderhaben“ heißt.
Die rasenden Schuldgefühle auf Dienstreisen würden jedoch die wenigsten Männer kennen, genauso wenig wie den „völlig unverhandelbaren Wunsch, mindestens das erste Jahr mit dem neugeborenen Nachwuchs zu Hause bleiben zu wollen“, führt die Autorin aus. Sie verdeutlicht, wie wichtig es ist, ein Leben als Frau und Individuum weiterzuführen: „Frauen, die Kinder haben, dürfen nicht nur autonome Wesen sein, sie müssten es sogar, für sich selbst und – so pathetisch es klingt – für die nachfolgenden Generationen, in denen der Geschlechterkampf irgendwann einmal beendet sein soll.“
Apropos Geschlechterkampf: Dieser ist ein weiterer wesentlicher Aspekt der Anstrengungen des Elternseins. Wer Kinder in einer gleichberechtigten Paarbeziehung aufziehen möchte, muss sich auf viel Diskussion und Ausverhandlung gefasst machen. Zwar haben die traditionellen Rollenbilder ausgedient, gleichzeitig gibt es kaum Vorbilder für gleichberechtigtes Elternsein. Und es gibt viel mehr Fragen, mit denen sich Erziehungsberechtigte heute auseinandersetzen müssen – über jene der Mediennutzung der Kinder oder die Folgen des Klimawandels. Ständig stehen wir vor irgendwelchen Entscheidungen. All das ist anstrengend.
Was bleibt, ist das Gefühl des Versagens. Ich bin ja selbst schuld, weil: Niemand hat mich gezwungen, bei der Karriere zurückzustecken und Stunden zu reduzieren. Ich könnte ja meine Kinder überall hin mitnehmen, wenn ich wollte. Auf berufliche Abendtermine genauso wie zu politischen Treffen oder auf Weiterbildungen. Und wieso stresst es mich, wenn sich das schmutzige Geschirr stapelt und der Lurch die Wohnung erobert?
In der individualisierten Welt, in der wir leben, nehmen Menschen sich in ihren Situationen als vereinzelt wahr. Das sind wir aber nicht. In Österreich leben 1,7 Millionen Kinder (Statistik Austria, Stand 2022). Rechnet man ein bis zwei Erziehungsberechtigte dazu, ist das eine sehr große Menschengruppe, die von denselben Problemen betroffen ist. Daher müssen politische Lösungen her, und zwar schnell.
Aufgrund des Fachkräftemangels und des demographischen Wandels wird sich Österreich nicht länger leisten können, auf (vollzeit)arbeitende Frauen zu verzichten. Und ohne den massiven Ausbau von (hochqualitativer) Kinderbetreuung wird es nicht funktionieren.
Ich für meinen Teil versuche, mich von unrealistischen Idealen zu befreien.
Um den Missstand zu beseitigen, dass Mütter trotz Berufstätigkeit weiterhin für Haushalt und Kindererziehung hauptverantwortlich sind, muss zudem sichergestellt werden, dass diese Aufgaben auch auf Väter übertragen werden, etwa durch eine eine Väterkarenz, die bei Nicht-Inanspruchnahme verfällt.
Es muss viel mehr „out of the box“ gedacht und experimentiert werden. Wieso die Karenz nicht auch für Menschen abseits der Kernfamilie öffnen, sodass diese auch von Großeltern oder Mitbewohner*innen in Anspruch genommen werden kann? Warum nicht endlich auch unbezahlte Care-Arbeit entlohnen?
Ich für meinen Teil versuche, mich von unrealistischen Idealen zu befreien. Da mir das erstaunlich schwer fällt, habe ich klein angefangen: Ich antworte nicht mehr sofort auf jede Nachricht, die ich bekomme. Geschenke besorge ich nur noch, wenn ich wirklich Lust dazu habe (in der Großfamilie hat sich noch niemand beschwert). Die Wohnung bleibt unaufgeräumt, selbst wenn sich Besuch ankündigt (mich entspannt es immer, die Unordnung anderer Familien zu sehen, und dieses Erlebnis gönne ich anderen gerne). Und, superrevolutionär: Immer wieder mal - wenigstens einen kurzen Moment lang! - auf der Couch sitzen und nichts tun. Ich versuche auch den Rat einer Teenagermutter zu befolgen, den sie mir für die anstrengende Kleinkindzeit mit auf den Weg gab: „Möglichst viel Spaß haben und den ganzen Rest vergessen.“
Wie man den Spaß maximiert, muss jede*r für sich selbst herausfinden. Wenn man aber schon längst vergessen hat, was einem eigentlich Freude bereitet hat, kann ein Blick in die eigene Kindheit helfen: Das, was man damals gern getan hat, macht meist auch heute noch Spaß. Kuscheln, Vorlesen, Tanzen und Blödeln sind in unserer Familie die top Stimmungsaufheller.
Was hilft, ist auch der Austausch mit Gleichgesinnten. Sehr bereichernd ist dabei die Facebook-Gruppe „m/others“, in der einander Frauen zum Thema feministische Mutterschaft austauschen und bestärken. Und um den Stress zu minimieren, kann helfen, das Handy öfter wegzulegen und einen Gang zurückzuschalten. Denn, auch wenn man es kaum glauben kann: Die Kinder werden schneller groß, als man denkt.
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