Der Autor Rutger Bregman findet: Zu viel Weltverbesser-Potental verpufft in Bullshit-Jobs. Bild: Frank Ruiter
Anna Mayrhauser
Redaktionsleiterin
Ein Buch, das vielleicht nicht dein Leben verändert, aber zu Veränderung beitragen kann
In seinem neuen Buch Moralische Ambition plädiert der niederländische Bestseller-Autor und Historiker Rutger Bregman für einen pragmatischen Aktivismus.
Achtung, dieses Buch wird dein Leben verändern, sagt der niederländische Autor, Aktivist und Historiker Rutger Bregman gleich am Anfang seines neuen Buches Moralische Ambition recht selbstbewusst. Lieferte er in seinem Bestseller Im Grunde gut einen Entwurf für ein freundlicheres und demokratischeres Menschenbild, möchte er nun Menschen dazu aufrufen, selbst aktiv zu werden und „Gutes“ zu tun – eben moralisch ambitioniert zu sein.
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Seine These: Die talentiertesten und erfolgreichsten Mitglieder unserer Gesellschaft kümmern sich nicht um die Belange unseres Planeten, nicht um die dringend anzugehenden Probleme der Menschheit, sondern werden Wallstreet-Banker. (Viel zu viele Harvard-Absolvent*innen landen im Finanzwesen, nennt er als Argument). Was, fragt er sich, könnte man alles erreichen, wenn diese Energie, die in Bullshit-Jobs verpufft oder die Welt noch schlechter macht, für wirklich wichtige Sachen eingesetzt werden würde: im Kampf gegen Atomwaffen, gegen die Fleischindustrie, für Lösungen in der Klimakrise.
Mitreißend, sehr eingängig zu lesen und mit vielen Cliffhangern schildert Bregman die Lebensläufe von Bürgerrechtler*innen, Politiker*innen und Wissenschafter*innen aus unterschiedlichen historischen Epochen, die sich für die Abschaffung der Sklaverei oder für das Frauenwahlrecht einsetzten, die Impfstoffe erfanden oder Gesetze für einen besseren Umweltschutz durchsetzen. Dabei plädiert er für einen pragmatischen Aktivismus, fürs Allianzen schmieden und suchen, auch da, wo sie weh tun, und dafür, sich selbst nicht allzu wichtig zu nehmen.
Das klingt erstmal einleuchtend und ja – auch sehr inspirierend. Doch Bregman kritisiert auch eine Linke, die sich mehr mit sprachlichen Grabenkämpfen beschäftigt, als mit den „wirklich wichtigen Dingen“, eine wenig überraschende These. Dabei liefert er allerdings keine Argumente, warum denn nun zum Beispiel der Wunsch, mit dem richtigen Pronomen angesprochen zu werden, so hinderlich im Kampf gegen die Klimakrise sein sollte. Und auch, wenn er immer wieder betont, dass es ihm um strukturelle Änderungen geht, bleibt sein Charity-Begriff etwas unklar.
Schade ist auch – und schade ist eigentlich das falsche Wort dafür – dass Bregman ausgerechnet den Kampf für die Rechte von trans Personen etwas nonchalant als spaltenden Nebenwiderspruch abtut, etwa wenn er die US-amerikanische Pro-Choice-Organisation NARAL dafür kritisiert, mit ihrem Aktivismus für trans Frauen nicht alle potentiell Verbündeten im Kampf für das Recht auf Abtreibung mitgenommen zu haben.
Und dass, wo doch in den letzten Jahren – und besonders in den letzten Tagen wieder – sehr deutlich sichtbar wurde, dass LGBTIQ-Rechte als Erstes bedroht sind, wenn autoritäre Kräfte an die Macht kommen.
Trotzdem liefert Bregman auch tatsächlich in bester Ratgeber-Manier sehr hilfreiche Tipps, um ins Tätigwerden zu kommen. Die meisten Menschen, beschreibt er, müssen einfach gefragt werden, und dann helfen sie schon mit, die Welt zu verändern. Bregman selbst hat dafür gemeinsam mit anderen nun auch die School for moral ambition gegründet, die Stipendien vergibt, damit sich Menschen Vollzeit mit dem Finden von Lösungen für vernachlässigte Probleme unserer Welt beschäftigen können. In den ersten Projekten geht es etwa um Tabakkontrolle und die Änderung unseres Ernährungssystems.
Quelle: rowohlt
Rutger Bregman: „Moralische Ambiton. Wie man aufhört sein Talent zu vergeuden und etwas schafft, das wirklich zählt“, rowohlt, 336 S., ca. 26 Euro.
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Dieser Text erschien zuerst in unserem Newsletter tag eins Briefing.
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