Das SS-Erbe der FPÖ
Ehemalige SS-Männer waren 1956 maßgeblich an der Gründung der FPÖ beteiligt. Ihre Akten sind im im deutschen Bundesarchiv in Berlin einsehbar. Hier: die SS-Akte Karl Kowariks, von 1957 bis 1960 Generalsekretär der FPÖ. Quelle: Bundesarchiv
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Markus Sulzbacher
Reporter

Das SS-Erbe der FPÖ

Bis heute distanziert sich die FPÖ nicht von der SS. tag eins hat exklusiv Einblick in die SS-Akten von ehemaligen FPÖ-Parteichefs und Gründungsmitgliedern genommen.


„Ich werde nie sagen, dass jeder, der eine SS-Uniform trug, automatisch ein Verbrecher war“, sagte Maximilian Krah, der deutsche AfD-Spitzenkandidat im vergangenen EU-Wahlkampf in einem Interview. Mit dieser verharmlosenden Aussage wurde die SS kurz ein Thema im EU-Wahlkampf. Die AfD belegte Krah daraufhin mit einem Auftrittsverbot und die Rechtsaußen-Fraktion im Europaparlament, Identität und Demokratie (ID), setzte gleich die gesamte AfD vor die Tür. Nach der Wahl wurde Krah aus der AfD-Delegation für das EU-Parlament geworfen. Damit will die Partei wieder Mitglied der ID werden. 

Die FPÖ stimmte gegen den Rauswurf der AfD aus der gemeinsamen EU-Fraktion. Im Zuge dieser Diskussion wurden Äußerungen von Parteichef Herbert Kickl aus dem Jahr 2010 wieder ein Thema. Damals hatte er eine kollektive Verurteilung von Mitgliedern der Waffen-SS als „Unsinn“ abgelehnt. „Diese Aussagen sind eine Verharmlosung der Gräuel des Nationalsozialismus und offenbaren das Weltbild Kickls“, kritisierte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker. Ähnlich sahen das auch SPÖ und Grüne. Die Neos forderten eine sofortige Klarstellung. Diese kam nicht. Anfragen von Journalist*innen blieben unbeantwortet, es gab auch keine offizielle Stellungnahmen.

Begeisterte Nationalsozialisten und SS-Männer gründeten die FPÖ

So erspart sich die FPÖ auch eine Diskussion über ihre eigene Geschichte. Denn ehemalige SS-Männer waren 1956 maßgeblich an ihrer Gründung beteiligt. Aus ihren SS-Personalakten, die im deutschen Bundesarchiv in Berlin aufliegen, geht hervor, dass sie begeisterte Nationalsozialisten und SS-Männer waren. Das gilt auch für die ersten beiden Parteichefs Anton Reinthaller und Friedrich Peter.

Symbole der SS sind in Österreich verboten, da sie untrennbar mit Terror, unzählige Kriegsverbrechen und der Ermordung der europäischen Juden und Jüdinnen verbunden ist. Sie war der Vollstrecker des Rassenwahns der Nationalsozialisten, die Europa mit einem Netz von Konzentrations- und Vernichtungslagern überzog. Es waren SS-Männer, die im Vernichtungslager Auschwitz das Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B aus versiegelten Dosen durch Einwurf-Luken in abgedichtete Räume kippten und so dafür sorgten, dass die Opfer nach wenigen Minuten erstickten. Nach dem Krieg stufte das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal die SS „als verbrecherische Organisation“ ein. 

Ein SS-Mann, der bei der Gründung der FPÖ dabei war und später in Graz als Spitzenkandidat antrat, war Herbert Schweiger. In seinem Buch „Mythos Waffen-SS“ schrieb Schweiger über die FPÖ-Gründung, dass der „Aufbau dieser neuen Bewegung sehr stark auch von ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS betrieben wurde. So standen sie wieder an vorderster Front, um eine Veränderung der politischen Atmosphäre in Österreich zu bewirken.“

Schweiger war in der „Leibstandarte SS Adolf Hitler“, die an der West- und Ostfront zahlreiche Verbrechen beging. Dass mit dem Oberösterreicher Anton Reinthaller ein SS-Mann zum ersten FPÖ-Parteichef gewählt wurde, war für Schweiger der Beweis dass „ein SS-Führer und hochrangiger Funktionär des Dritten Reiches an der Spitze einer Partei stehen und diese leiten kann“, wie er schreibt.

Anton Reinthaller: Kontakte zu Heinrich Himmler 

Reinthaller war bereits vor dem sogenannten Anschluss ein bekannter Nationalsozialist. Als am 11. März 1938 die Nazis in Österreich die Macht übernahmen, war er zur Stelle. Am Balkon des Bundeskanzleramts nahm Reinthaller mit anderen Nazis den Jubel der Menge entgegen, er grüßte sie mit dem Hitler-Gruß.

Tags darauf marschieren deutsche Truppen in Österreich ein und Reinthaller ist Landwirtschaftsminister einer aus Nazis bestehenden Regierung. Am 12. März 1938 tritt er der SS bei und wird Reichstagsabgeordneter, Unterstaatssekretär des Großdeutschen Reiches, NS-Bauernführer und NS-Landesjägermeister. Bei der SS stieg er bis zum Brigadeführer auf, was einem Generalsrang entspricht. Er gehörte zur Elite des NS-Systems. 

Auszug aus der SS-Akte Anton Reinthallers: ein Personalbogen. Quelle: Bundesarchiv

Aus seinen SS-Personalakten geht hervor, dass er Kontakt zum SS-Führer Heinrich Himmler unterhielt, einem der schlimmsten Massenmörder der Geschichte. So bedankte er sich für das „schöne Bild“, das er von Himmler zum Geburtstag bekommen hat, oder für die Zusendung des SS-Totenkopfringes. 

Nach dem Krieg wurde Reinthaller wegen seiner Verstrickung in das NS-Regime zu drei Jahren Kerker verurteilt. Nach heutigem Wissensstand war er nicht unmittelbar an Verbrechen beteiligt. Der Historiker Bertrand Perz hat herausgefunden, dass Reinthaller im Juni 1942 mit anderen Kreisbauernführern das KZ Mauthausen besuchte. An dem Tag wurden „zwei jüdische Flüchtlinge“ erschossen, ein weiterer Mann starb im Elektrozaun, wie in einem Bericht vermerkt wurde.

Reinthaller empfand sich als „Opfer“ der „Siegerjustiz“. „Die Vernichtung der Juden lehnte er ab, doch Rassenideologie, Ausgrenzung und Verfolgung von Juden hat er auch nach 1945 noch gutgeheißen“, so die Historikerin Margit Reiter in ihrem Buch „Die Ehemaligen“. 

Anton Reinthaller schreibt an Heinrich Himmler. Quelle: Bundesarchiv

Friedrich Peter: „nichts gewusst“ 

Nach dem Tod Reinthallers 1958, trat mit Friedrich Peter ein ehemaliger SS-Obersturmführer seine Nachfolge als Parteichef an. Peter war bereits bei der Gründung der FPÖ führend dabei. 1975 deckte der KZ-Überlebende Simon Wiesenthal Peters Mitgliedschaft in einer Waffen-SS-Brigade auf, die im Sommer 1941 in Russland massenhaft Erschießungen von Jüdinnen und Juden durchführte. Peter erklärte damals, er sei nicht beteiligt gewesen, er habe auch davon nichts gewusst: „Ich habe seit 1941 bei der 1. SS-Infanteriebrigade ... meinen Dienst abgeleistet, aber weder innerhalb noch außerhalb dieses Zeitraumes an Erschießungen und Repressalien teilgenommen.“

Auszug aus der SS-Akte von Friedrich Peter. Aus dieser geht hervor, dass er 1944 bei der „2. SS-Panzerdivision Das Reich“ in Frankreich kämpfte. Quelle: Bundesarchiv

Bis heute gibt es keine Beweise für eine Verstrickung Peters an den Morden, jedoch halten es Historiker*innen für ausgeschlossen, dass Peter nichts von den Ermordungen wusste, und für unwahrscheinlich, dass er nicht daran beteiligt war. Seine SS-Mitgliedschaft trug er in den 1950er Jahren wie eine Auszeichnung. „Ich bin nicht jenen Kreisen zuzuzählen, die angeblich erpresst und gezwungen wurden. Ich bekenne auch heute, dass ich freiwillig zur SS gegangen bin“, diktierte Peter 1956 markig der rechtsextremen Zeitung „Wiking Ruf“. In seinen SS-Akten ist zu lesen, dass er 1944 in der „2. SS-Panzerdivision Das Reich“ in Frankreich kämpfte. Diese Einheit war nach der Landung der Alliierten am 6. Juni 1944 für zahlreiche Massaker an Zivilist*innen verantwortlich. 

Am 10. Juni 1944 hatten Angehörige der SS-Division das Dorf Oradour-sur-Glane im Westen Frankreichs ausgelöscht. Sie ermordeten 643 Männer, Frauen und Kinder und brannten den Ort nieder. Es gab nur wenige Überlebende. Das Massaker gilt als das größte Kriegsverbrechen Nazideutschlands auf dem westlichen Kriegsschauplatz. Ein einziger der rund 150 beteiligten SS-Soldaten wurde 1983 in der DDR zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, aber vorzeitig aus der Haft entlassen. Die Ruinen des Dorfes sind bis heute als Mahnmal erhalten.

Opas Hochzeitsfotos

Dass Wiesenthal die Vergangenheit Peters zum Thema machte, hat ihm die FPÖ nicht vergessen. Das zeigte sich im Jahr 2020. Als Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) den Simon-Wiesenthal-Preis für Engagement gegen Antisemitismus ins Leben rief, sprach sich die FPÖ als einzige Partei im Parlament dagegen aus. Parteichef Herbert Kickl begründete dies damit, dass Wiesenthal Friedrich Peter „zu Unrecht verfolgt“ habe. Kickls politisches Vorbild Jörg Haider sprach den Veteranen der Waffen-SS ein Lob dafür aus, dass sie ihrer Überzeugung „treu geblieben“ waren. 

Zuletzt spielte die SS für die FPÖ eine Rolle, als sie als einzige Parlamentspartei Ende 2023 gegen die Verschärfung des NS-Verbotsgesetzes auftrat und dagegen stimmte. Dann könnten nämlich „auch Hochzeitsfotos des Großvaters in SS-Uniform eingezogen werden“, lautete die Begründung. Damit erinnerte sie an familiäre Verstrickungen bei den Freiheitlichen. So war der Großvater von Heinz-Christian Strache, der die FPÖ bis 2019 führte, Mitglied der Waffen-SS gewesen. 1945 wurde er bei seinem Rückzug in die Heimat erschossen. Für Strache war der Tod des Opas „ein Kriegsverbrechen“.

Karl Kowarik: mit der rechtsextremen Szene Österreichs verbunden

Auch der Großvater von Dietbert Kowarik, Abgeordneter im Wiener Landtag und Mitglied des Gemeinderates der Stadt Wien, war bei der SS. In seiner Bewerbung betont Kowarik, dass er an der Niederschlagung „marxistischer Unruhen“ in Wien, Bruck an der Mur und Donawitz beteiligt war und selbst „Unruhen“ gegen die Überfremdung“ österreichischer Hochschulen durch „Ostjuden“ organisierte. In den SS-Personalakten sind mehrere Schreiben zu finden, in denen er sich um die Aufnahme in die SS bemüht. Er absolvierte 1941 eine Ausbildung in der Leibstandarte SS Adolf Hitler, war als Kriegsberichter und Ausbilder aktiv. 

Der ehemalige Hitler-Jugend-Führer und SS-Obersturmbannführer Karl Kowarik war ebenfalls bei der Gründung der VdU (die Vorgängerpartei der FPÖ) und der FPÖ zur Stelle. Von 1957 bis 1960 war er Generalsekretär der Partei. Nebenbei spionierte er für amerikanische Geheimdienste und den deutschen BND. Zeit seines Lebens war Karl Kowarik mit der rechtsextremen Szene Österreichs verbunden. 

SS-Akte von Karl Kowarik. Quelle: Bundesarchiv

„Tragende Säule der Partei“

Eine hervorstechende Rolle bei der Gründung der FPÖ nahm Klaus Mahnert ein, der unter der NS-Herrschaft eine steile Karriere hinlegte. Der SS-Obersturmbannführer brachte es zum Gauleiter-Stellvertreter und schließlich zum Gauinspekteur von Tirol und Vorarlberg. Im Juni 1948 wurde Mahnert zu elf Jahren Haft verurteilt, aber bereits im Dezember 1949 begnadigt. Für die FPÖ war er als Mitglied der Bundesparteileitung sowie als Abgeordneter zum Nationalrat tätig.

Mit Wilhelm Kos saß von 1959 bis 1966 ein altgedienter SS-Mann für die FPÖ im Parlament. Kos trat sehr früh im Jahr 1931 in die SS ein und durchlief in Folge verschiedene Stationen innerhalb der Organisation. 1934 bildete er etwa österreichische SS-Angehörige im KZ-Dachau aus. Das Konzentrationslager wurde 1933, nur wenige Wochen nach der Machtübernahme Adolf Hitlers, errichtet, um politische Gegner zu inhaftieren und auszuschalten. 1934 war es eine Anlaufstelle für österreichische SS-Männer, die aus Österreich flüchten mussten, nachdem der Nazi-Putsch 1934 gescheitert war.

Auszug aus der SS-Akte von Wilhelm Kos. Quelle: Bundesarchiv

Zu den Gründern des VdU und der FPÖ zählte auch der ehemalige SA-Sturmführer Otto Scrinzi. Der Neurologe saß für die FPÖ im Nationalrat und war acht Jahre lang stellvertretender Parteichef. Aus seiner politischen Verortung machte Scrinzi nie ein Hehl: „Ich war schon immer rechts, auch innerhalb der NSDAP.“ Bei seinem Tod 2012 würdigte Strache den Rechtsextremisten als „tragende Säule“ der Partei.  

Nie aufgearbeitet

Trotzdem gibt es kaum ein Thema, über das FPÖ-Funktionäre weniger reden wollen, als über die NS- und SS-Vergangenheit der Parteigründer. Wird sie angesprochen, hat man meist rasch eine Antwort parat: „Und was ist mit den ehemaligen Nazis in der SPÖ?“ Zwar tauchten nach 1945 Opportunisten, Karrieristen und Parteigänger der NSDAP auch bei den Sozialdemokraten wieder auf, aber dieser Teil ihrer Geschichte wurde von der SPÖ in den 1990er-Jahren größtenteils aufgearbeitet.

Vor wenigen Monaten hatte die SPÖ auch kein Problem damit, als das Fußballstadion im steirischen Kapfenberg umbenannt wurde. Denn der einstige Namensgeber war vor seiner Zeit als langjähriger SPÖ-Bürgermeister bei der SS. Die FPÖ war gegen die Umbenennung.

„Einzelfälle“

Auch der aktuelle Wahlkampf zeigt, dass die FPÖ kein Interesse hat, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. So verwendet sie den Begriff „Volkskanzler“, wenn es um Parteichef Kickl geht. Der Begriff wurde auch von den Nationalsozialisten verwendet. Die NS-Propaganda benutzte die Bezeichnung hauptsächlich im Jahr 1933, immer im Zusammenhang mit Adolf Hitler. Im Duden des Jahres 1941 ist unter „Volkskanzler“ zu lesen: „Bezeichnung für Hitler zum Ausdruck der Verbundenheit zwischen Volk und Führer“. Nachdem Hitler die Macht in Deutschland übernommen hatte, wurde „Volkskanzler“ durch die Bezeichnung „Führer und Reichskanzler“ weitgehend verdrängt. Ab 1939 sollte Hitler in der Presse nur noch als „Führer“ bezeichnet werden. Die FPÖ weiß das – und verwendet den Begriff trotzdem.

In zahlreichen „Einzelfälle“ wird das Erbe der Partei bis heute immer wieder sichtbar. Mal sind es rassistische Aussagen, rechtsextreme Verstrickungen oder Sätze, die an den SS-Wahlspruch „Unsere Ehre heißt Treue“ erinnern.

All das erinnert daran, wie sehr die SS-Gründerväter der FPÖ die Partei prägten. Sie gründeten ein Sammelbecken für ehemalige Nazis, die ihrer Überzeugung treu geblieben sind. Und sie legten der Partei Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus, Opferkult, Deutschnationalismus und Rassismus in die Wiege.

Autor*in: Markus Sulzbacher

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