„Menschliche Existenzen sind keine Debatte“
Aktivistin Steffi Stankovic: „Ich kann nicht damit leben, dass jemand sagt, nicht-binäre, inter und trans Menschen sind nicht real.“ ©Zoe Opratko
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Emil Biller
Reporter

„Menschliche Existenzen sind keine Debatte“

Die Influencerin und Aktivistin Steffi Stankovic kämpft seit ihrer Jugend mit Hass und Transfeindlichkeit. Im Gespräch mit tag eins erzählt sie, warum sie eine „Debatte“ über ihre Existenz ablehnt und wie die Akzeptanz von trans Personen alle befreien kann.

Steffi Stankovic hat sich als Influencerin und Aktivistin für die Rechte von queeren Menschen einen Namen gemacht. Auch rund um eine Kundgebung von transfeindlichen Aktivist*innen in Wien hat sie sich vor kurzem öffentlich geäußert. Daraufhin wurde sie in den sozialen Medien sehr harsch persönlich angegriffen.  

tag eins: Vor paar Wochen wurdest du auf Twitter sehr persönlich transfeindlich attackiert. Wie fühlt sich das für dich an, wenn du so etwas erlebst?

Steffi Stankovic: Es war schlimm für mich, weil ich diesmal auch namentlich erwähnt wurde. Es ist so klischeehaft, Anti-Trans-Aktivist*innen machen immer dasselbe: Sie erwähnen die Genitalien, deadnamen, misgendern und packen die Toilettendebatte aus. ___STEADY_PAYWALL___

Solche transfeindlichen Beschimpfungen grenzen stark an sexuelle Belästigung.
Ich habe noch nie eine Debatte darüber geführt, auf welche Toilette ich gehe. Ich gehe eigentlich auf beide Toiletten – wo die Schlange kleiner ist, da bin ich.

Steffi Stankovic
„Wie soll ich ein Klischee sein?“ ©Zoe Opratko

Du hast in der ersten Stellungnahme dazu auf Social Media gesagt, dass du sehr zitterst. Was ist da mit dir passiert?

Ich dachte, dieses Bullying bleibt in meiner Kindheit und Jugend. Aber es hat mich stark getriggert und zurückversetzt in eine Zeit, in der ich wirklich Angst hatte. Ich dachte, als Erwachsene werde ich nie mehr solche Momente erleben.

Menschen müssen verstehen, dass, wenn sie online Menschen beleidigen und belästigen, das für immer im Internet steht. Etwa weil jemand Screenshots macht und teilt oder weil das privat verschickt wird. Das kann man nicht mehr zurücknehmen.

Du hast von deiner Kindheit und Jugend gesprochen. Du bist auch in Serbien aufgewachsen – wie war das?

Ich wurde täglich geschlagen in der Schule, also wirklich täglich. Es ist alles Mögliche passiert. Meine Haare wurden angezündet, ich wurde von der Schule nach Hause verfolgt, belästigt. Wirklich alles, was man sich so vorstellen kann.

Auch Cyberbullying kenne ich, ich hatte MySpace als Teenie. Da wurde ein Profil erstellt mit gephotoshopten Fotos von mir und Aussagen, die gar nicht stimmten. Das war eine ziemlich schwierige Zeit. Meine Eltern haben viel durchgemacht damals wegen diesem Bullying im Internet. Das hat mich auch am meisten traurig gemacht, weil das für die ganze Schule online zugänglich war.

Es hat geheißen, man kann nicht viel unternehmen. Sie haben immer gesagt: „Ja, die sind alle 15, 16, so ist das halt.“ Und irgendwie habe ich mich daran gewöhnt, damit zu leben.

Diese Tweets vor Kurzem haben mich daran erinnert. Und meine Familie genauso. Es ist aber zum Glück recht schnell wieder vorbeigegangen, denn die Community hat mir sehr viel Support gegeben. Und dadurch ging es mir schnell besser.

Das hilft also in so einer Situation?  

Auf jeden Fall. Man fühlt sich dann nicht alleine. Ich mache meinen Aktivismus jetzt schon sieben oder acht Jahre immer alleine, ohne Organisationen im Hintergrund. Aber ich habe sowohl von Organisationen als auch von anderen Menschen, die eine ziemlich große Stimme haben, viel Support bekommen.

Nochmal zu deiner Vergangenheit. Wie ist das dann in der Schule weitergegangen?

Es war eine ziemlich harte Zeit. Meine Eltern waren sehr oft in der Schule. Es war auch öfter die Polizei da. Es hat geheißen, man kann nicht viel unternehmen. Sie haben immer gesagt: „Ja, die sind alle 15, 16, so ist das halt.“ Und irgendwie habe ich mich daran gewöhnt, damit zu leben.

Im letzten Schuljahr wurde es dann besser mit der körperlichen Gewalt. Dann gab es nur noch das Cybermobbing. Dann habe ich maturiert und bin nach Österreich gezogen.

Auch mit dem Gedanken, dass es hier besser ist?

Ja, auf jeden Fall. Der Plan war, hier eine Geschlechtsangleichung zu starten und ein halbwegs normales Leben führen zu können.

Ist das in Österreich möglich?

Ich glaube, es ist für trans Menschen nirgendwo möglich, ein halbwegs normales Leben zu führen. Es funktioniert wohl am besten, wenn du nicht out bist als trans. Also wenn du sagst, du bist cis. Ich kenne Leute, die das machen. Das funktioniert ziemlich gut.

Ich hätte mir vor zehn Jahren nie gedacht, dass ich solche Anfeindungen in Österreich erlebe.

Fürs Verständnis: Eine trans Person sagt, sie sei cis.

Genau, also wenn du eben eine Geschlechtsangleichung gemacht hast und als cis Person gelesen werden kannst. Mit diesen ganzen Anfeindungen und Attacken, die queere Menschen aktuell erleben, allen voran trans Menschen, ist es momentan ziemlich schwierig. Überall, nicht nur in Österreich.

Viele queere Personen haben große Probleme im Umgang mit ihrer Familie. Wie war das bei dir?

Bei mir war es auch nicht wirklich rosig am Anfang. Mein Outing war ziemlich dramatic. Ich hatte mit meinen Eltern auch lange keinen Kontakt. Heute habe ich mit meiner Mutter guten Kontakt. Wir waren noch nie closer. Wir hören uns jeden Tag, wir unternehmen Sachen miteinander, wir verreisen gemeinsam. Und sie ist auch ziemlich stolz auf mich und das, was ich mache. Aber es war nicht immer so.

Ich glaube, es ist für viele Menschen so schwierig, da sie diese Lebensrealität nicht verstehen. Trans-Sein geht mit einer ziemlich großen Veränderung einher. Äußerlich, aber auch innerlich und im Umgang damit. Da kommt viel zusammen. Für viele Menschen ist es schwer, diese Veränderungen zu akzeptieren und in den Alltag einzubeziehen. Und deswegen gibt es bei trans Menschen nach dem Outing oft viel Drama mit ihrer Familie.

Aber jetzt passt das bei dir?

Bei meiner Family ist es great. Ich kann nur aus meiner eigenen Erfahrung sprechen. Ich kenne aber viele Leute, die seit zehn Jahren keinen Kontakt zu ihrer Familie haben. Bei mir hat das vielleicht ein Jahr gedauert.

Welchen konkreten Schwierigkeiten bist du sonst im Alltag ausgesetzt?

Ich habe in meinem Aktivismus schon alles gemacht. Ich war zur Primetime im Fernsehen, auf Magazincovern, habe Interviews gegeben. Früher haben mir Leute nichts hinterhergeschrien. Und jetzt – vielleicht haben sie mich irgendwo gesehen, auf Social Media oder im Fernsehen oder wo auch immer – sagen sie oft so Dinge wie „Hey, das ist ein Mann“ oder eben den T-Slur (Anm. d. Red.: Schimpfwort für trans Personen). Ich habe nie gedacht, dass es so schlimm sein wird.

  • queer: Sammelbezeichnung für alle, die sich nicht in der der heterosexuellen und binären gesellschaftlichen Norm verorten. Das umfasst etwa sexuelle Orientierungen, die nicht heterosexuell sind, und Geschlechtsidentitäten, die nicht-binär und/oder nicht cis sind.
  • cis: Cis-sein bedeutet, dass das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht mit der Geschlechtsidentität übereinstimmt.
  • trans: Als trans gelten all jene, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, übereinstimmt. Manche trans Personen durchlaufen eine Geschlechtsangleichung, bei der etwa durch eine Hormontherapie körperliche Veränderungen herbeigeführt werden.
  • nicht-binär: Nicht-binäre Personen verorten sich selbst außerhalb der binären Geschlechterordnung. Sie sind weder (nur) männlich noch (nur) weiblich.
  • inter: Intergeschlechtliche Personen weisen körperliche Geschlechtsmerkmale außerhalb der binären Norm auf. Sie können etwa sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsmerkmale besitzen.
  • misgendern: Misgendern bedeutet, dass eine Person mit falschen Pronomen angesprochen wird oder dass mit falschen Pronomen über sie gesprochen wird. Häufig passiert das, weil jemand aufgrund ihres Aussehens ein Geschlecht vermutet und dementsprechend falsche Pronomen verwendet.
  • deadname: Als deadname wird der (Geburts-)Name einer trans, nicht-binären oder inter Person bezeichnet, den sie im Zuge ihres Outings bzw. ihrer Transition abgelegt und/oder verändert hat.
  • flinta*: Die Abkürzung flinta* steht für Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen.

Deine Erwartung war also eine andere?

Ich hätte mir vor zehn Jahren nie gedacht, dass ich solche Anfeindungen in Österreich erlebe. Das ist jetzt aber die Realität. Ich glaube, die Gesellschaft spaltet sich in Bezug auf queere Menschen gerade sehr stark. Deshalb erlebe ich, so wie auch viele andere trans Menschen, aktuell viel Gewalt und Ausgrenzung.

Erstens: Menschliche Existenzen sind keine Debatte. Zweitens: Seit wann entscheidet die Mehrzahl der Menschen, was mit marginalisierten Gruppen passiert, und man hört ihnen nicht zu, was sie brauchen?  

In der Diskussion um Transidentitäten  – häufig auch als Trans-Debatte bezeichnet – gibt es auch in Österreich eine immer stärkere Polarisierung. Wie kommen wir da wieder raus?

Man sollte einfach mal aufhören, die Existenz von trans Menschen zu einer Debatte zu machen. Das wurde ja erst durch die Medien und einzelne Personen, die sich öffentlich dazu geäußert haben und unsere Existenz infrage gestellt haben, zu einer Debatte gemacht. Erstens: Menschliche Existenzen sind keine Debatte. Zweitens: Seit wann entscheidet die Mehrzahl der Menschen, was mit marginalisierten Gruppen passiert, und man hört diesen Gruppen nicht zu, was sie brauchen?  

Das macht gar keinen Sinn für mich. Wenn man nicht versteht, dass trans Menschen echt sind, dann sollte man sich damit beschäftigen, was Psychologie und Biologie dazu sagen. Es sprechen in diesen Diskussionen oft Menschen, die Wirtschaft studiert haben oder Politikwissenschaften. Aber selten Psychologen und Biologinnen.  

Wenn man sagt, es gibt nur zwei Geschlechter, löscht man intergeschlechtliche Menschen aus. Das Thema ist komplex, und die Medien greifen es auf, weil es sich gut verkaufen lässt und weil es polarisiert.  

Man sollte trans Menschen einen Raum geben. Ihnen zuhören. Vielleicht versuchen, sie zu verstehen. Aber ich glaube, für manche sprengt das jede Vorstellungskraft. Das ist auch total okay für mich, wenn nicht jeder mitkommen kann. Aber alle Menschen verdienen zumindest ein bisschen Respekt.

Screenshot des Instagram-Profils von Steffi Stankovic
Steffi Stankovic ist Influencerin und LGBTQIA+-Aktivistin. ©Instagram

Braucht es mehr Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit? Oder hilft das inzwischen eher den Rechten bei ihrer Stimmungsmache?

Die Sache ist die: Wenn wir nicht sichtbar sind und auch nicht versuchen, dem entgegenzuwirken, dann ist es so, wie die Rechten sagen – dass wir nicht existieren. Sie argumentieren ja genau damit, und wenn wir nicht sichtbar sind, tun wir ihnen einen Gefallen.

Das ist für mich ein No-Go, weil ich, schon seit ich ein Kind war, gehört habe: Das gibt es nicht. Und ich kann einfach nicht mehr damit leben, dass Leute sagen, nicht-binäre, inter, trans Menschen sind nicht wahr, sind nicht real.

Sprechen wir zuviel über Sprache und Pronomen und zu wenig über notwendige strukturelle und politische Veränderungen?

Menschen werden nichts annehmen, was sie nicht wollen. Auch das Gendern ist dafür ein Beispiel. Auf jeden Fall sollten alle Menschen erstmal ernst genommen werden. Die Frage ist schwierig...

Ich wiederhole mich jetzt, aber es kann einfach nicht sein, dass die Mehrzahl an Menschen, die superprivilegiert sind, über eine marginalisierte, unterdrückte Gruppe entscheidet.

Wenn es einfache Lösungen gäbe, dann ...

Ich glaube, Menschen sollten sich generell ein bisschen mehr interessieren. Die Leute sagen: Es betrifft mich nicht. Aber nur weil es dich nicht betrifft, heißt das nicht, dass es nicht die Realität unserer Gesellschaft ist.  

Menschen sollten sich viel mehr damit auseinandersetzen, auch wenn es ihnen schwer fällt. Mal einen Artikel lesen, ein Interview anschauen, zu einer Kundgebung gehen, einfach nur, um diese Realitäten wahrzunehmen. Wir gehören alle zu dieser Gesellschaft, und wir müssen alle irgendwie gemeinsam funktionieren. Dafür müssen alle einbezogen werden. Ich wiederhole mich jetzt, aber es kann nicht sein, dass die Mehrzahl an Menschen, die superprivilegiert sind, über eine marginalisierte, unterdrückte Gruppe entscheidet.

Was bräuchte es politisch?

Mehr Schutz. Man müsste diese ganze Hetze unterbinden. Für mich ist es Hetze, wenn etwa Faika El-Nagashi (eine Grünen-Politikerin, Anm. d. Red.) in einem Interview trans Menschen trasht. Das sollte man in der Form einfach nicht erlauben.

Es kann nicht sein, dass man Menschengruppen, die eine Selbstmordrate von 60 Prozent haben (Anm. d. Red.: es existieren dazu verschiedene Schätzungen: in einer Studie hatten 82 Prozent der trans Personen Suizidgedanken und 40 Prozent einen Suizidversuch hinter sich), medial so durch den Dreck zieht. Ich finde das unverantwortlich, und die Politik muss verstehen, dass sie trans Menschen viel mehr Schutz gewähren sollte. Generell der queeren Community, weil die so viel Hass abkriegt. Da bräuchte es Gesetze. Zum Beispiel ist Konversionstherapie immer noch legal in Österreich. Es gibt so viele Bereiche, wo queere Menschen nicht genug geschützt sind.

Was würdest du dir von Medien wünschen im Umgang mit trans und queeren Personen?

Diese Debatte einfach nicht auszupacken. Ich finde, ganz oft kommt bei der Darstellung von queeren Menschen auch so leicht ein Freak-Faktor durch. So war es auch bei mir, als ich angefangen habe, Interviews zu geben und medial präsent zu sein. Das war immer so: Oh mein Gott, das ist so schrill und crazy und wild.

Man spürt auch, mit was für einer Intention ein Interview geführt wird. Ist das jetzt, um eine Freakshow zu zeigen? Oder wird es gemacht, um diese Lebensrealitäten wirklich abzubilden?

Warum machen Medien das?

Je stärker es polarisiert, je skandalöser es ist, desto besser zieht es bei den Medien, das ist kein Geheimnis. Ich verstehe auch, dass sich das verkauft, aber es ist unverantwortlich und schlimm, trans Personen so zu exploiten.

Mir geht es in meinem Leben ganz gut. Ich bin eine sehr privilegierte trans Person, aber ich kenne viele, die keine Familie haben, keine Freunde, nicht passing sind, keine Jobmöglichkeiten haben. Da finde ich es dann sehr gefährlich, wenn man zum Beispiel so eine Person ins Fernsehen holen und sie als Freak darstellen würde.

Was bedeutet „passing“?

Passing ist, wenn du etwa als trans Frau als cis Frau gelesen wirst. Also cis-Passing wäre, dass du so gut wie möglich als cis durchgehst.

Die Polarisierung, über die wir gesprochen haben, geht auch einher mit der Trennung zwischen Queerfeminismus und Feminismus. Verwendest du den Begriff TERF, also „Trans-Exclusionary Radical Feminist“?

Ich versuche, ihn nicht zu verwenden. Anti-Trans-Aktivist*in ist für mich irgendwie stimmiger. Auch in meiner Arbeit mit den Medien. Ich werde oft gefragt, was eine TERF ist. Und ich bin müde, das Ganze zu erklären.

Glaubst du, dass es zur Polarisierung beitragt, wenn man den Begriff TERF verwendet?

Ich glaube nicht, dass es polarisiert. Nur Anti-Trans-Aktivist*innen und trans Menschen wissen, was eine TERF ist.

Ich finde es auch ziemlich schwierig, TERFs so zu bezeichnen, weil viele von ihnen keine Feminist*innen sind. Aber wenn ich TERF sage, bezeichne ich sie als Feminist*innen. Je länger ich darüber nachdenke, desto weniger mag ich sie TERFs nennen.

Aber das ist etwas, wo ich nicht gewinnen kann. Mir wird etwa gesagt, ich schaue super klischeehaft aus, ich habe lange Haare, lange Nägel, bin geschminkt, trage ein Kleid. Und dann ist man aber auch nicht zufrieden, wenn ich einen Bart habe und Männerklamotten trage. Ich kann nicht gewinnen, egal wie.  

Warum, glaubst du, fühlen sich viele Menschen, oft auch cis Frauen, durch deine Existenz und Identität so bedroht?

Ich glaube, sie wissen nicht genug. Und es gibt in der Bubble der Anti-Trans-Aktivist*innen auch viele Verschwörungstheorien. Was die noch nicht verstanden haben, ist, dass sie eigentlich oft ein Problem mit cis hetero Männern und dem Patriarchat haben. Dass Männer häufig gewalttätig sind und viele Frauen von Männern aus ihrem direkten Umfeld Gewalt erfahren.

Stattdessen gehen Anti-Trans-Aktivist*innen speziell auf trans Frauen los und sagen, wir würden ihnen Gewalt antun oder sie in Schutzräumen aufsuchen – ich wusste gar nicht, dass eine Toilette ein Schutzraum ist, das muss ich ehrlich zugeben – und sie angreifen, bedrohen und belästigen.

Ich verstehe, dass wir verschiedene Sichtweisen haben, wie Feminismus funktioniert oder was Frausein bedeutet.

Aber das ist etwas, wo ich nicht gewinnen kann. Mir wird etwa gesagt, ich schaue super klischeehaft aus, ich habe lange Haare, lange Nägel, bin geschminkt, trage ein Kleid. Und dann ist man aber auch nicht zufrieden, wenn ich einen Bart habe und Männerklamotten trage. Ich kann nicht gewinnen, egal wie.  

Man schreibt mir zu, ich bin ein Klischee. Mir wurde biologisch ein anderes Geschlecht zugewiesen, ich lebe heute ein komplett anderes Leben, wie soll ich ein Klischee sein? Das macht einfach keinen Sinn.

Was Anti-Trans-Aktivist*innen nicht verstehen: wenn wir trans, nicht-binäre und intergeschlechtliche Menschen befreien, werden alle Menschen befreit – von ihren Gender-Rollen und dem Druck, der dadurch auf ihnen liegt, von diesen ganzen Klischees. Das müssen wir endlich verstehen.

Diese Befreiung wäre eigentlich das Ziel?

Ja. Ich kann von meinem Vater sprechen: Dieses Alpha-Male-Sein, 70 Stunden zu arbeiten, für die ganze Familie sorgen zu müssen, nie zu schlafen, keine Emotionen zu zeigen, nie zu weinen ... mit 55 Herzinfarkt.

Wenn du jetzt in die Zukunft blickst, hast du Hoffnung, dass es besser wird? Oder hast du Angst?

Also ganz ehrlich, ich hatte vor zehn Jahren Hoffnung. Jetzt habe ich absolut keine Hoffnung mehr. Manche Menschen wollen es nicht verstehen und werden es auch nicht verstehen, weil sie sich bewusst so entscheiden. Das ist nichts, wo Verstand mitspielt. Es ist einfach nur eine Entscheidung.

Und das macht mir Angst. Es müsste ziemlich viel passieren, medial, politisch, damit sich etwas ändert. Es macht mir Angst, dass wir einfach nicht wissen, wie die Realität von queeren Menschen in den nächsten Jahren ausschauen wird.

Wir sind ja ein konstruktives Magazin. Der Pride Month ist jetzt bald vorbei. Was können ...

Gott sei Dank. (schmunzelt)

Du bist hergekommen, hast dich angesoffen, hast gehört, es kommen halbnackte Flinta. Und du hast gedacht, oh mein Gott, jetzt kann ich die angreifen oder belästigen. Und ich bin cool, weil es eine queere Party ist. Das finde ich ziemlich problematisch. Und deswegen freue ich mich, wenn der Pride Month vorbei ist.

Warum?

Ich finde den Pride Month generell ziemlich schwierig. Er gibt zwar Visibility. Aber das ist das einzig Gute daran: dass das Thema so stark präsent ist und für viele Menschen erreichbar ist, die sich vielleicht sonst nie damit beschäftigen würden.

Aber es ist extrem kapitalistisch geworden. Viele Organisationen und Brands nutzen das aus. Das regt mich auf. Ich fand bei der Pride dieses Jahr auch problematisch, dass viele cis Männer gekommen sind – nicht, dass ich nicht möchte, dass cis hetero Leute auf der Pride sind, eigentlich möchte ich das schon, aber sie haben weiblich gelesene Personen sexuell belästigt oder dumme Kommentare abgegeben, waren sehr betrunken und haben überhaupt vergessen, was der Sinn der Pride eigentlich ist.

Ich möchte niemandem wegnehmen, Spaß zu haben und zu feiern. Aber die meisten Menschen sind sich nicht bewusst, was die queere Community in Österreich gerade durchmacht.  

Du bist hergekommen, hast dich angesoffen, hast gehört, es kommen halbnackte Flinta* (Anm. d. Red: Abkürzung für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nicht-binäre, trans und agender Personen). Und du hast gedacht, oh mein Gott, jetzt kann ich die angreifen oder belästigen. Und ich bin cool, weil es eine queere Party ist. Das finde ich ziemlich problematisch. Und deswegen freue ich mich, wenn der Pride Month vorbei ist.

Was können Allies – also Personen, die für die queere und trans Community da sein wollen – nach dem Pride Month nachhaltig tun, um queere Menschen wirklich zu unterstützen?

Ich würde auf jeden Fall mal zuerst einchecken bei den queeren Personen, mit denen man befreundet ist. Also melden und nachfragen: Hey, brauchst du was? Wie fühlst du dich? Ich glaube, das kann man auch ziemlich simpel halten. Das ist etwas, das jeder Mensch in seinem Umfeld machen kann.

Was wir hier unterschätzen ist, dass Queerfeindlichkeit in manchen Kreisen wirklich stark verankert ist. Ich bin in einer ziemlich netten Bubble. Aber Queerfeindlichkeit sitzt eben auch an vielen Tischen mit dabei. Wenn man als Ally bei so etwas dabei ist, sollte man auch was sagen.

Ich kenne das von meiner Mutter, sie ist ein Boomer (lacht). Wenn sie unterwegs ist mit ihrem Verlobten und irgendwer, der nicht weiß, dass sie eine trans Tochter hat, sagt etwas Dummes gegen queere Menschen, greift sie immer ein. Sie ist dann ganz radikal.

Ich glaube, wir unterschätzen extrem, dass wir, wenn wir Queerfeindlichkeit sehen, den Menschen sagen müssen: Hey, das ist nicht okay.

Und politisch?

Ich gehe davon aus, dass Allies sowieso auf Demos und Kundgebungen mitgehen, Petitionen unterschreiben. Ich habe aber das Gefühl, es sind eben oft nur die Leute, die trans sind, und ihre Nächsten, die auf solche Kundgebungen kommen.

Aber hang in there und es kommt der Moment, wo du dich befreien kannst. Und ich glaube, auch wenn es so super weit weg scheint, es ist auf jeden Fall möglich. Einfach auf das Bauchgefühl vertrauen, auf das Timing warten und stark bleiben und hoffen, dass es besser wird.


Natürlich sind Kundgebungen auch dafür da. Aber solche Dinge sollten viel erreichbarer sein für Menschen, die diese Aufklärung noch brauchen. Ich glaube, das würde sie ein bisschen mehr auffangen und ihnen auch einen Einblick in die Lebensrealitäten von trans Menschen geben.

Was würdest du trans Kids oder Jugendlichen aus deiner persönlichen Erfahrung heraus mitgeben?

Ziemlich schwere Frage. Erstens, es wird besser. Zweite Sache, Timing ist alles, Bauchgefühl ist alles. Sich nicht in Situationen begeben, wo man das Gefühl hat, das könnte mich in Gefahr bringen. Ob es das Outing ist oder was auch immer.

Ich werde immer emotional, wenn ich an junge, queere Menschen denke.

Aber hang in there und es kommt der Moment, wo du dich befreien kannst. Und ich glaube, auch wenn es so super weit weg scheint, es ist auf jeden Fall möglich. Einfach auf das Bauchgefühl vertrauen, auf das Timing warten und stark bleiben und hoffen, dass es besser wird.

Und wenn die Ressourcen und Möglichkeiten da sind, Beratung suchen und sich einer Person, der man vertraut, anvertrauen. Ich glaube, das macht einen Riesenunterschied.


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Autor*in: Emil Biller

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