Was wir aus Doomsday-Szenarien lernen können
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Magdalena Klemun
Kolumnistin

Was wir aus Doomsday-Szenarien lernen können

Wird der Klimawandel die Menschheit auslöschen, wie einst ein Meteorit die Dinosaurier? Wahrscheinlich nicht, dennoch sollten wir darüber diskutieren. Gegen den Atomkrieg hat es schließlich auch geholfen.

Schon die Weltklimakonferenz in Kanada im Jahr 1988 hat das heikle Thema angesprochen: Im schlimmsten Fall, so die Abschlusserklärung der Konferenz, könnte der Klimawandel die Erde in eine Katastrophe stürzen, die “nur im Vergleich zu einem Atomkrieg an zweiter Stelle steht”.


Seit 1988 hat der Weltklimarat viele Berichte publiziert, aber vergleichsweise wenig zur Frage, welche Katastrophen eine Welt mit einem Temperaturanstieg von weit über zwei Grad Celsius erwarten könnten. Welche Entwicklungen drohen, wenn die Pariser Klimaziele drastisch verfehlt werden? Wie würde sich der Verlauf einzelner, gekoppelter Katastrophen durch menschliches Eingreifen verändern? Diese Fragen bleiben weitgehend unbeantwortet. Zwei Beispiele: Was, wenn mehrere wichtige landwirtschaftliche “Kornkammern”, also Regionen, die massiv zur globalen Nahrungsmittelproduktion beitragen, gleichzeitig von Trockenheit betroffen sind? Oder: Wie reagieren, wenn wir mehrere kritische Grenzen im Klimasystem, die sogenannten “Kipppunkte”, überschreiten, und etwa der Meeresspiegel viel rascher und stärker steigt als bisher erwartet?

Erklären lässt sich der Fokus auf weniger extreme Szenarien schon. Zum einen ist es schwierig, vorauszusehen, wie detaillierte Beschreibungen von massiven klimabedingten Fluchtbewegungen und kriegerischen Auseinandersetzungen medial interpretiert und politisch (aus)genutzt werden würden. Panikmache ist keine gute Idee in Zeiten, wo jeder Tag zählt, um besonnene Entscheidungen zu treffen, die schrittweise den CO2-Ausstoß senken. Und: Alleine das Ausarbeiten von Strategien oder “Pfaden”, die mit dem Pariser Abkommen kompatibel sind, stellt eine Herkulesaufgabe dar. Warum also Ressourcen aufwenden, um wenig wahrscheinliche, katastrophale Szenarien zu erforschen und sich darauf vorzubereiten? Und was bedeutet überhaupt “extrem”?

Was droht bei +3 Grad Celsius?

Zunächst zur zweiten Frage: Eine gängige Definition von “extrem” ist eine Erderwärmung von mehr als drei Grad über dem vorindustriellen Niveau bis zum Ende dieses Jahrhunderts. Auf politischer Ebene wären die Pariser Klimaziele damit klar verfehlt. Aus klimatischer Ebene besteht auf diesem Niveau der Erderwärmung ein hohes Risiko massiven Artensterbens, häufiger Hitzewellen oder Starkniederschläge, nahezu kompletter Gletscherschmelzen in vielen Bergregionen der Erde und verstärkter gesellschaftlicher Ungleichheit wegen Nahrungsmangel und Fluchtbewegungen. Selbstverstärkende Prozesse und das mögliche Überschreiten von Kipppunkten würden es zudem schwieriger machen, langfristig gegenzusteuern und die Temperatur wieder zu senken.___STEADY_PAYWALL___

Bei noch höheren Temperaturen, etwa einer durchschnittlichen Erderwärmung von vier Grad über dem vorindustriellen Niveau, sind signifikante Produktionsverluste der größten Nahrungsproduzenten zu erwarten. Zudem könnte mindestens die Hälfte der Weltbevölkerung zumindest einige Monate im Jahr in lebensbedrohlicher Hitze und Luftfeuchtigkeit leben. Wird es noch heißer (also fünf oder sechs Grad plus), wären große Teile der Tropen und Subtropen mit hoher Wahrscheinlichkeit unbewohnbar, fänden sich viele Menschen zusammengedrängt in der Arktis, und wären Massensterben nicht auszuschließen.

Vom nuklearen Winter lernen

Bad news also. Was bringt es dann überhaupt, sich mit extremen, apokalyptischen Szenarien zu befassen?

Bewusstseinsbildung klingt zunächst nach einem schwachen Argument. Ein Blick in die Geschichte zeigt aber das Gegenteil. Die in den 1980er-Jahren kommunizierte Idee des nuklearen Winters — also einer langfristigen, drastischen klimatischen Veränderung als Folge eines Atomkrieges — hat die öffentliche Diskussion stark angeregt und letztlich zur Abrüstung beigetragen. Auf ähnlichem Wege könnte eine Debatte über extreme Klimaszenarien jene erreichen, die den Klimawandel bisher nicht für gefährlich hielten.

Mindestens genauso wichtig wie die gedankliche ist aber die konkrete Vorbereitung auf extreme Szenarien und damit verbundene politische und technische Gegenmaßnahmen. Eine hilfreiche Analogie ist die einer politischen und planerischen “Versicherung” gegen Klimakatastrophen, zum Beispiel in Form von nationalen und regionalen Klimarisiko-Management-Plänen. Solche Pläne könnten neben Entscheidungshilfen für Gemeinden (Was tun bei Katastrophe A oder B?) auch Investitionen in die Forschung unterstützen, um klimainduzierte Risiken auf regionaler Ebene besser bestimmen zu können.

Auf internationaler Ebene wäre eine Art “Paris Extrem”-Abkommen denkbar: ein radikales Abkommen mit schnelleren, verpflichtenden Treibhausgasreduktionen, das aber nur dann in Kraft tritt, wenn Warnzeichen für extreme Szenarien feststellbar sind. Der “wenn, dann”-Zugang könnte ein solches Abkommen für so manches in der Klimapolitik zögerliche Land attraktiver machen. Statt Chaos im Falle des Falles wären dann Regeln definiert, die rasches Handeln wenn schon nicht erzwingen, dann zumindest anregen würden.

Geo-Engineering wäre wahrscheinlicher

Aus technologischer Sicht könnten extreme Szenarien die zumindest kurzfristige Verwendung von “Geo-Engineering” wahrscheinlicher machen. Dazu gehören Methoden wie etwa Solar Radiation Management, bei der die auf der Erde absorbierte Sonnenstrahlung künstlich verringert wird, etwa durch große Spiegel im All oder Partikel, die die Reflektivität von Wolken erhöhen. Solche Eingriffe sind aber mit enormen Risiken verbunden und müssten daher (wenn überhaupt) auf Jahre vorbereitet werden.

Was dagegen spricht? Genau dieser Fokus auf Geo-Engineering oder die Vorbereitung auf extreme Szenarien im breiteren Sinne verringert möglicherweise die Motivation, den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Eine mögliche Konsequenz ist eine Welt, die weiterhin heftig CO2 ausstößt, aber eben auch heftig mit Geo-Engineering gegensteuert. Eine chaotische Welt also.

Wirklich bearbeitet wurden extreme Klimaszenarien bisher eher in Unterhaltungsmedien und populärwissenschaftlicher Literatur als in Wissenschaft und Politik. Der britische Journalist Mark Lynas hat etwa mehrere Bücher über das künftige Leben auf einer sehr heißen Erde geschrieben. 2017 beschrieb der amerikanische Kinofilm “Geostorm“ eine Welt, in der das Klima von einem globalen Netz an Satelliten kontrolliert wird. Sie greifen immer dann ein, wenn sich irgendwo eine Hitzewelle oder ein Mega-Sturm anbahnt, und verhindern die Katastrophe. Natürlich funktioniert das System nur so lange, bis es in die falschen Hände gerät.

“Geostorm” war nach Meinung der Kritik kein preisverdächtiger Film. Aber zumindest traute er sich, ein apokalyptisches Szenario im Detail zu skizzieren. Bei allem Risiko der unnötigen Panikmache und Ablenkung von anderen wichtigen Themen — ein Prise (wissenschaftlich fundierter) “Geostorm” würde auch außerhalb von Kunst und Kultur nicht schaden. Wenn davon am Ende auch nur eines bleibt: Zu erinnern, dass es nicht zu spät ist, die Katastrophe zu verhindern.

Autor*in: Magdalena Klemun

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