Rechte Verschwörungsmythen werden den Journalismus nicht retten
Vier Herren und ein Journalistenpreis: Eike Kullmann, Peter F. Kollmann, Hubert Patterer und Alexander Van der Bellen bei der Verleihung des Kurt-Vorhofer-Preises im Juni 2024. Bild: Tobias Steinmaurer / APA / picturedesk.com
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Dominik Ritter-Wurnig
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Rechte Verschwörungsmythen werden den Journalismus nicht retten


Hier kann man Hubert Patterers Dankesrede nachlesen.


Hubert Patterer möchte raus aus dem „schnellen Du“. Das steht für den Chefredakteur der „Kleinen Zeitung“ für eine Medienwelt, der die klassischen journalistischen Tugenden abhanden gekommen sind: Abwägen und Objektivität zum Beispiel.

Doch von Patterers Dankesrede bei der Verleihung des Kurt-Vorhofer-Preises fühle ich mich angesprochen, fast angegriffen. Nicht nur, weil Patterer über das Gendern lästert. Nicht nur, weil wir bei tag eins immer schon und konsequent duzen, sondern auch, weil ich von der „Kleinen Zeitung“ gelernt habe, dass ein Du „zu einem progressiven Kulturwandel und einer einfacheren Zusammenarbeit beitragen kann.“

Screenshot „Gerne per Du“, eine Initiative der Kleinen Zeitung.


Aber Polemik beiseite, ich vermute, der progressive Kulturwandel ist eher Styria-Corporate-Sprech als Patterers Herzensangelegenheit. Eine Herzensangelegenheit im negativen Sinn scheint ihm jedoch die Haltung zu sein: „Haltung, missverstanden als Filter, der sich über die Wahrnehmung legt. Es gibt zu viel davon“, sagt er in seiner Rede. 

Die Haltung der anderen

Damit ist aber nur die Haltung der anderen gemeint. Der unbefangene Blick sei ihm und seiner Zeitung wichtig, betont er. Dabei bekennt sich die „Kleine Zeitung“ als eine der wenigen österreichischen Zeitungen in der offiziellen Blattlinie zu ihrer Haltung: „Die Kleine Zeitung [...] steht auf dem Boden christlicher Weltanschauung, tritt für eine plurale, demokratische Gesellschaftsordnung, die Eigenständigkeit der Bundesländer und die völkerrechtliche Unabhängigkeit der Republik Österreich ein und begrüßt den europäischen Einigungsprozess.“ 

Ich bin der Meinung, dass sich Medien und Journalist*innen viel offener zu ihrer Haltung bekennen und transparent mit ihren Interessenskonflikten umgehen sollten.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich finde es gut, klar zur eigenen Haltung zu stehen. ___STEADY_PAYWALL___ Jeder, der es wissen will, weiß, dass die „Kleine“ zu 98,33 Prozent im Besitz der Katholischer Medien Verein Privatstiftung ist. Natürlich bestimmt das Katholische die Haltung der Zeitung. (Hier kann man übrigens unsere Blattlinie nachlesen.)

Ich bin der Meinung, dass sich Medien und Journalist*innen viel offener zu ihrer Haltung bekennen und transparent mit ihren Interessenskonflikten umgehen sollten. Wer behauptet, objektiv und unabhängig auf die Welt zu blicken, negiert, dass wir als Menschen von unserer Umwelt geprägt werden. Wer glaubt, keine Haltung zu haben, erhebt die eigene Haltung zur Norm, und sieht überall anders nur noch Ideologie. 

Moralistische Aufladung Schuld an Vertrauenskrise

Schuld an der Vertrauenskrise in die Medien sei nicht die Inseratenkorruption oder Freunderlwirtschaft, sondern die „moralistische Aufladung des Berufsverständnis“ – explizit nennt Patterer die Berichterstattung rund um die „Flüchtlingswelle“ 2015 sowie die Corona-Pandemie. Patterer ist sich nicht zu schade, den rechten Verschwörungsmythos zu wiederholen, dass „Zeitungen und Rundfunk im Chor mit den Regierenden“ gesungen hätten. Er sieht „Glättungen im Dienst des Guten“ durch den Journalismus und erhebt damit den größten anzunehmenden Vorwurf gegenüber Journalist*innen. Nämlich den, bewusst die Wahrheit verschleiert zu haben. Aber anstatt das mit Fakten und Beispielen aufzuzeigen, argumentiert Patterer selbst „moralistisch“. 

Statt zu benennen was ist, beklagt Patterer „Zurufe aus kulturell privilegierten Welten“. Das ist wohl ein Code und steht für irgendetwas zwischen grünen Bobos und linker Twitter-Bubble. Beim Redigieren würde man so eine Formulierung rausstreichen und dazu schreiben: „Sag es konkret: Wer soll das sein?“ Aber wer einen Edelfederstatus hat, darf so schwammig formulieren.

Schuld sind die Linken

Das bürgerliche Kommentator*innen eine Art linke Oberschicht-Schickeria vermuten, die keine Ahnung von den echten Problemen habe, kennt man etwa auch von Oliver Pink von der Schwesternzeitung „Die Presse“ aus dem Styria-Verlag. „Ausgerechnet jene, die über den FPÖ-Erfolg nun am meisten erschüttert sein werden, die Linken und Liberalen, haben einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet. Indem sie damit einhergehende Probleme jahrelang weggewischt oder geleugnet haben. In einer Mischung aus Tugendterror und Doppelmoral. Alle waren willkommen, die Herkunft von Straftätern sollte nicht genannt werden, die eigenen Kinder wurden in die Privatschule geschickt“, schrieb Pink nach dem FPÖ-Wahlsieg bei der Europawahl.

Doch das Gegenteil ist wahr: Dort, wo viele Menschen mit Migrationshintergrund leben, bekommt die FPÖ auch weniger Stimmen. In Großstädten – egal, ob Wien, Graz oder Innsbruck – gibt es Mehrheiten links der Mitte; in den Dörfern, wo man Menschen mit Migrationsgeschichte oft nur aus der Zeitung kennt, sind die Ängste größer. Verwandte vom Land fragen mich schon, ob es wirklich so gefährlich wäre in Wien. Linke Menschen verschließen nicht die Augen, sondern sie sind es, die Probleme (ja, natürlich gibt es Probleme. Wo Menschen leben, gibt es auch Probleme) angehen – in der Geflüchtetenhilfe, in Sprachkursen, in Schulen, in der Sozialarbeit, überall dort arbeiten mutmaßlich überwiegend Menschen mit linker Einstellung. Weggewischt werden Probleme der Migration von jenen, die auf einfache Lösungen wie Grenzzäune oder Abschiebungen hoffen. Seit mindestens 30 Jahren baut die EU an der Festung Europa, die Migration wurde in der Zeit nicht weniger. Gesamtschule, Ethik- statt Religionsunterricht, sofortige Arbeitserlaubnis, Öffnung des Wahlrechts, Sozialarbeit – die Konzepte für ein funktionierendes Zusammenleben sind bekannt.

In österreichischen Großstädten ist die Gesellschaft im Zeitalter der Super-Diversität angekommen. Wer das nicht wahrhaben will – wie Wähler*innen der FPÖ – wischt damit einhergehende Probleme weg. Mit einer Mischung aus „Tugendterror und Doppelmoral“ könnte man sagen.

Inseratenkorruption und Verhaberung haben das Vertrauen in den Journalismus zerstört.

Aber zurück zur Rede: Der Beifall erfolgte von erwartbarer Stelle, etwa hier und hier. Der Versuch am rechten Rand Leser*innen und Vertrauen zurückzugewinnen ist verlockend; diese Gruppe wird derzeit von keiner Qualitätszeitung gut bedient. Marktwirtschaftlich macht es wohl Sinn. In jedem Fall ist es wohl die einfachere Conclusio, dass Medienmisstrauen dort zu verorten. 

Dabei glauben laut einer repräsentativen Gallup-Umfrage aus dem Jahr 2021 nur drei Prozent der Österreicher*innen, dass die Berichterstattung in privaten Medien prinzipiell nicht käuflich wäre. Mir würde ja diese Studie mehr Sorgen machen als die gefühlte Wahrheit, dass es 2015 eine zu positive Berichterstattung über Geflüchtete gab. Inseratenkorruption und Verhaberung haben das Vertrauen in den Journalismus zerstört.

Zum Ende geht es noch gegen die Jungen

Unerwartet macht die Dankesrede noch einen Schwenk und watscht eine andere Gruppe, bei der ich mich auch angesprochen fühle, ab. Patterer spricht von „wir“, meint aber wohl doch eher „ihr“. Ihr Journalist*innen der nächsten Generation, die auf Social Media aktiv sind, im Homoffice arbeiten möchten, die Wert auf eine Work-Life-Balance legen („Raus aus dem Korsett der Dienstpläne“).  

Wortreich beklagt Patterer das fehlende Maßhalten: Die Deportationsfantasien aus dem AfD-Umfeld sollte man nicht Wannsee 2.0 nennen, wegen ausländerfeindlichen Sprechchören in Sylt nicht die Staatskrise ausrufen und niemand rücke seiner Meinung nach den Unfug gerade, dass es doch falsch sein müsse, dass Österreich im Index der Pressefreiheit hinter Mauretanien liegt. Doch genau all dies passiert. Nicht immer von allen und zu aller Zeit; das wäre auch nur möglich, wenn Medien wirklich gleichgeschaltet wären.

Diese Behauptungen entsprechen nicht der Realität: „Der Freitag“ und der Zentralrat der Juden haben dargelegt, warum der Vergleich zwischen Wannseekonferenz und Potsdamer Treffen hinkt. Einzig die rechtsaußen Portale „Weltwoche“ und „Nius“ sprechen davon, dass die Sylter Ereignisse eine Staatskrise hervorrufen würden. Die Irritationen zum Pressefreiheitsindex haben im „Standard“ und auf Twitter viel Platz eingenommen.

All das, was Patterer im Diskurs als fehlend kritisiert, gibt es. Man muss nur hinsehen. Patterer schimpft über die „Selbstbezogenheit“, „falsches Blasenpublikum“ und „Eitelkeit“, nur um im nächsten Absatz zu fordern: „Raus aus der schlechten Laune, die wir verströmen.“ Ich wünschte, Hubert Patterer hätte sich bei seinem Lamento ein Beispiel daran genommen.



Hinweis und Update: In der ursprünglichen Fassung dieses Textes haben wir das Wort „Mauscheleien“ verwendet. Wegen der antisemitischen Konnotation des Wortes haben wir es durch das Wort „Freunderlwirtschaft“ ersetzt. Mehr Infos dazu gibt es hier und hier.

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