Warum sich ein Wissenschaftler in kein Flugzeug einer amerikanischen Fluglinie setzen darf
"Vorsicht Schußwaffen!" - mit dieser Warnung wurde Christoph S. als RAF-Verdächtiger gesucht. Das Fahndungsplakat mit seinem Foto hing auch in jedem österreichischen Gendamerieposten. © ACTION PRESS/Action Press/picturedesk.com
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Markus Sulzbacher
Reporter

Warum sich ein Wissenschaftler in kein Flugzeug einer amerikanischen Fluglinie setzen darf

Durch eine Sicherheitslücke ist die strenggeheime, amerikanische No-Fly-List öffentlich geworden. Die Liste soll fast 1,5 Millionen Personen von amerikanischen Flugzeugen fernhalten. Eine Verurteilung oder Anklage braucht es aber nicht für die Brandmarkung als "gefährlich".

Nein, überrascht war Christoph S. nicht, dass sich sein Name auf der Flugverbotsliste der US-Regierung findet. "Das habe ich mir gedacht", sagt der in Deutschland lebende Wissenschaftler zu tag eins.

S. war Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre einer der meistgesuchten Männer Europas. Weltweit wurde nach ihm gefahndet. Selbst in kleinen Gendarmerieposten in Österreich hingen Fahndungsplakate, die sein Gesicht zeigten. "Terroristen – Vorsicht Schusswaffen!", stand ganz groß darauf.

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Damals warfen die deutschen Behörden S. vor, Mitglied der linksradikalen Terrororganisation Roten Armee Fraktion (RAF) zu sein und sich 1989 an der Ermordung des Bankiers Alfred Herrhausen beteiligt zu haben. Die Polizei stützte sich dabei auch auf die Aussagen eines ehemaligen V-Manns des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz.

Dieser Mann war aber alles andere als ein idealer Kronzeuge. Erst hatte er sich aus eigenem Antrieb als einer offenbart, der im Beisein von S. und einer Frau an der Vorbereitung des Herrhausen-Attentates beteiligt gewesen sei. Dann widerrief er dies in einem Fernsehbeitrag der ARD mit der Begründung, vom Verfassungsschutz zu einer solchen Aussage genötigt worden zu sein. Doch auch das dementierte er später. Diesmal sollen ihn die Fernsehmacher unter Druck gesetzt haben.

Nie verurteilt, aber de facto Flugverbot


S. hatte sich 1996 sieben Jahre nach dem Herrhausen-Attentat freiwillig gestellt und die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurückgewiesen. Zur Tatzeit habe er im Libanon gelebt und sei nie Mitglied der RAF gewesen. Der deutsche Bundesgerichtshof hob auch kurz nach seiner Rückkehr den Haftbefehl auf, da kein dringender Tatverdacht bestand. Die Aussagen des V-Manns galten als unglaubwürdig, sie beruhten auf Erfindungen oder "akuten Wahnvorstellungen", schrieb der Bundesgerichtshof.

S. war 1984 untergetaucht. Als Teil der linksradikalen Szene hatte er damals Kontakte zur RAF und stand im Visier der Behörden. Er verließ Deutschland, um "einer Verhaftung zuvorzukommen und der ständigen Überwachung zu entgehen. Manchmal hatte man damals bis zu sechs Begleiter, wenn man nur morgens die Brötchen holte", wie er dem Spiegel in einem Interview sagte.

Im Jahr 2007 wurden schließlich die letzten Verfahren eingestellt, erzählt S. Heute lebt er ein eher unscheinbares Leben, arbeitet als Zeithistoriker. Seine Zeit im Untergrund im Libanon gibt er im offiziellen Lebenslauf trocken an: Mehrjähriger Auslandsaufenthalt bis 1996, hauptsächlich im Nahen Osten.

Er wurde nie wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt oder verurteilt.

"Innerhalb Europas hatte ich bisher keine Probleme, aber dass es bei Flügen in die USA Probleme geben könnte, dachte ich mir."

"Innerhalb Europas hatte ich bisher keine Probleme, aber dass es bei Flügen in die USA Probleme geben könnte, dachte ich mir." Wie S. jemals von der sogenannten No-Flight-List wieder runterkommen kann? Unklar.


Nofly.csv


Dass S. nun weiß, dass er auf der "No Flight"-Liste steht, verdankt er einer Schweizer Hackerin, Maia Arson Crimew, die auf einem Server der kleinen US-Fluggesellschaft CommuteAir im Jänner dieses Jahres eine 80 MByte große Datei namens "Nofly.csv" gefunden hat. Crimew hatte die Liste zusammen mit anderen Dateien, die unter anderem personenbezogene Daten von Crewmitgliedern der Fluggesellschaft enthielten, über eine spezielle Suchmaschine entdeckt.

Die Liste stammt von der für die Flugsicherheit zuständigen US-Behörde TSA (Terrorist Screening Center,) und umfasst über 1,56 Millionen Einträge. Darunter sind aber viele Alias-Namen sowie Schreibweisen von immer gleichen Namen, sodass die Zahl der tatsächlich Betroffenen kleiner sein dürfte. Trotzdem ist es eine beachtlich lange Liste. Wer darauf steht, darf nicht einmal ein Flugzeug in den oder in die USA besteigen – das Boarding wird verweigert.

Factbox: No Flight List
  • Die US-Flugverbotsliste wurde von der TSA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 eingeführt.
  • Erklärtes Ziel ist es, potenziell gefährliche Personen von Flugzeugen fernzuhalten.
  • Die Datensammlung ist in den letzten Jahren stark gewachsen, noch im Jahr 2006 sollen sich lediglich 44.000 Menschen darauf befunden haben.

Fluglinie bestätigt Echtheit der Flugverbotsliste


Gegenüber US-Medien bestätigte die Fluggesellschaft den Zwischenfall und hat den Server offline genommen. Nachdem die Hackerin ihren Fund öffentlich machte, sorgte er weltweit für Schlagzeilen und auch politisch für hohe Wellen – im Raum steht eine Untersuchung durch den US-Kongress. "Abgesehen von der Tatsache, dass die Liste ein Alptraum für die Bürgerrechte ist, stellt sich die Frage, wie diese Informationen so leicht zugänglich waren", twitterte dazu etwa der republikanische Abgeordnete Dan Bishop.

Über die Enthüllungsplattform Distributed Denial of Secrets wird die Liste Journalist*innen zur Verfügung gestellt. "Auch wenn diese Informationen sensibel sind, glaube ich, dass es im öffentlichen Interesse ist, sie Journalisten und Menschenrechtsorganisationen zugänglich zu machen", schrieb die Hackerin Maia Arson Crimew in einem Blogpost dazu.



Attentäter vom 2. November 2020 auf der Liste

Einer Erklärung der betroffenen Airline zufolge handelt es sich um eine veraltete Version der US-Flugverbotsliste, die aus dem Jahr 2019 datiert. In der Datei findet sich alles versammelt, was im Terrorismus in den letzten Jahrzehnten Rang und Namen hatte. Der 2022 bei einem US-Drohnenangriff getötete Al-Kaida-Chef Aiman Az-Zawahiri findet sich ebenso darauf wie der türkische Rechtsterrorist Ali Agca, der 1981 in Rom ein Attentat auf Papst Johannes Paul II. verübte.

Dazu kommen zahlreiche Personen, die dem sogenannten Islamischen Staat (IS) zugerechnet werden, darunter auch Österreicher und Österreicherinnen - wie Kujtim F., der im April 2019 in Wien wegen Mitgliedschaft in der Terrororganisation IS zu 22 Monaten Haft verurteilt wurde. Am 2. November 2022 sollte dieser Kujtim F. dann vier Personen in der Wiener Innenstadt töten.

Auf der Liste findet sich auch die Salzburgerin Maria Golser, die sich als Jugendliche Ende Juni 2014 der Terrormiliz in Syrien angeschlossen hat. Infolge der militärischen Niederlage des IS wird Golser mit ihren Söhnen nun in einem Camp in Nordsyrien festgehalten, das kurdische Kämpfer*innen bewachen. In den vergangenen Jahren versuchten Angehörige immer wieder, Golser eine Rückkehr nach Österreich zu ermöglichen. Das zuständige Außenministerium zeigte ihnen jedoch die kalte Schulter.

Ebenfalls auf der Flugverbotsliste steht der Wiener Mohamed Mahmoud, der sich dem IS in Syrien angeschlossen hat und vermutlich 2018 bei einem Luftangriff getötet wurde. Mahmoud, 2008 wegen Terrordelikten verurteilt, war zeitweise einer der bekanntesten Islamisten des Landes.


Auf der Liste, über 30 Jahre nach Haftentlassung

Das US-Flugverbolt gilt auch für die in Innsbruck geborene und heute in Köln lebende Journalistin und Buchautorin Ingrid Strobl ("Sag nie, du gehst den letzten Weg. Frauen im bewaffneten Widerstand gegen Faschismus und deutsche Besatzung"). Sie saß von Weihnachten 1987 bis Mai 1990 in Isolationshaft, weil sie einen Wecker gekauft hatte, der bei einem Sprengstoffanschlag der linksterroristischen "Revolutionären Zellen" auf das Lufthansa-Gebäude in Köln benutzt wurde. Menschen wurden dabei nicht verletzt, aber es entstand ein Sachschaden. Mit dem Anschlag wurde gegen die Abschiebepraxis von Asylsuchenden protestiert. Strobl weigert sich, den Namen des Bekannten zu nennen, und bleibt in Untersuchungshaft. 1990 verurteilt sie schließlich ein Gericht wegen Beihilfe zu einem Sprengstoffanschlag zu drei Jahren Haft.

In ihrem 2020 veröffentlichten Buch "Vermessene Zeit. Der Wecker, der Knast und ich" beschreibt sie die Jahre im Gefängnis und bestätigt, dass sie wusste, wozu der Wecker gebraucht wurde.

Mitglieder der "Revolutionären Zellen" finden sich ebenso auf der amerikanischen Flugverbotsliste, wie Ilich Ramírez Sánchez, besser bekannt als "Carlos", der 1975 mit anderen die OPEC-Zentrale in Wien überfallen hat.



Unklar, wer warum auf dieser Liste steht


Die US-Flugverbotsliste wurde von der TSA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 eingeführt. Erklärtes Ziel ist es, potenziell gefährliche Personen von Flugzeugen fernzuhalten. Die Datensammlung ist in den letzten Jahren stark gewachsen, noch im Jahr 2006 sollen sich lediglich 44.000 Menschen darauf befunden haben.

Einen wirksamen Rechtsschutz gegen einen fälschlichen Eintrag gibt es nicht. US-Behörden verweigern grundsätzlich Auskunft darüber, ob jemand auf der Liste steht oder warum.

Auch ist unklar, wer die Listung der genannten Personen angeregt hat. Bei der Analyse durch tag eins fällt auf, dass vorwiegend islamistische und linke Terrorist*innen geführt werden. So fehlen beispielsweise bekannte deutsche Rechtsterroristen oder Terrorist*innen, die in den vergangenen Jahrzehnten Bombenanschläge in Südtirol durchführten.

Autor*in: Markus Sulzbacher

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