Wenn Hitze tödlich wird
Drei Personen, die unter Hitze leiden
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Rico Grimm
Reporter

Wenn Hitze tödlich wird

Es wird heißer und es wird feuchter: Schon jetzt wird ein Effekt beobachtet, der laut Prognosen von Forscher*innen eigentlich erst in ferner Zukunft stattfinden sollte: der Hitzetod, für den schon 32 Grad ausreichen. ‌Was hilft dagegen?

Wie wurde der Stadtstaat Singapur vom Fischerdorf zur Weltmetropole? Als Staatsgründer Lee Kuan Yew diese Frage einmal gestellt wurde, antwortete er, dass ein Geheimnis die Toleranz zwschen den vielen Ethnien in der Stadt sei. Er gab aber noch eine zweite, viel überraschendere Antwort: "Die Klimaanlage." Sie sei die vielleicht wichtigste Erfindung der Geschichte gewesen. Denn "sie veränderte das Gesicht der Zivilisation, indem sie wirtschaftliche Entwicklung in den Tropen ermöglichte." Ohne Klimaanlage hätte man nur in den frühen Morgen- und späten Abendstunden arbeiten können, so Kuan Yew.

"Wir gehen davon aus, dass wir viel widerstandsfähiger sind als wir es tatsächlich sind."

Die Klimaanlage als wichtigste Erfindung der Geschichte. So eine Antwort kann nur von jemandem kommen, der sein Leben wie Lee Kuan Yew in feuchter Hitze in den Tropen verbracht hat. Eine Österreicherin, ein Niederländer oder gar eine Finnin wären nicht auf die Idee gekommen. Vielleicht aber ändert sich das gerade jetzt.

Lange, heiße, gefährliche Tage

Viele Menschen in Europa spüren in diesen Wochen, was Klimawissenschaftler*innen als "Hitzestress" bezeichnen: Die Tage sind lange heiß und nur kurz kühl, sie reihen sich immer öfter aneinander. Und sie sind gefährlich.Hitzestress gehört zu denjenigen Folgen der Erderwärmung, die im Vergleich zum Meeresspiegelanstieg wenig thematisiert werden. Denn heiße Tage gab es schließlich schon immer.

Und überhaupt solle man sich über das schöne Wetter freuen, heißt es dann auch schon einmal. So wird Hitze bagatellisiert. Auf die Spitze trieb das kürzlich eine britische Fernsehmoderatorin, die einem Meteorologen, der auf die gefährlichen Folgen großer Hitze hinwies, zurief: "Oh John, ich möchte, dass wir uns über das Wetter freuen!" Eine Szene, die für jeden Menschen, der sich ein bisschen mit der Klimakrise beschäftigt hat, so absurd ist, dass sie wie eine Parodie wirkt.

Claudia Traidl-Hoffmann, Autorin des Buches "Überhitzt", Medizinerin und Professorin am Lehrstuhl für Umweltmedizin in Augsburg sagt: "Wir gehen davon aus, dass wir viel widerstandsfähiger sind als wir es tatsächlich sind. Wir bagatellisieren das: 'In Spanien und Afrika sterben sie ja auch nicht', wird dann gesagt." Aber das stimme nicht. Gerade dort sterben Menschen auch an den Folgen großer Hitze.

Nichtstun in der Hitze und trotzdem tot

Besonders große Sorgen sollte uns bei der Erderwärmung eigentlich ein Effekt machen, der bisher nur theoretischer Natur war. Der von Forscher*innen zwar vorhergesagt wurde, aber erst in ferner Zukunft. Der aber sehr wahrscheinlich schon jetzt beobachtet wurde: Temperaturen, die tödlich sind für jeden Menschen. Egal wie alt, wie groß, wie sportlich, wie reich, wie arm, wie schön, wie schlau.

Es reicht, bei solchen sogenannten Kühlgrenztemperaturen, das Haus zu verlassen, sich hinzusetzen und nichts zu tun, um zu sterben. Sechs Stunden dauert das ungefähr. Diese tödlichen Level werden schon bei überraschend niedrigen Werten auf dem Thermometer erreicht: Mal 31 Grad Celsius, mal 33 Grad, mal 35 Grad. Sie sind tödlich nicht wegen der Hitze per se, sondern wegen der Luftfeuchtigkeit, die sie begleiten.

Denn es gibt zwei Arten über Wärme zu sprechen: die reine Hitze und die Hitze in Verbindung mit dem Wasser, das die Luft drumherum mit sich führt. Das ist wichtig, weil wir Menschen schwitzen, um unsere Körperwärme zu regulieren. Wird es warm, perlt der Schweiß die Haut hinab, verdunstet und führt dabei Wärme aus dem Körper ab. Wird es warm und sehr feucht, kann dieser Schweiß aber nirgendwo hin verdunsten. Die Luft ist ja schon gesättigt mit Wasser.

Eine gerade erschienene Studie, in der 24 gesunde junge Menschen gezielt bestimmten Kombinationen aus Wärme und Feuchtigkeit ausgesetzt wurden, zeigte, dass bei 100 Prozent Luftfeuchtigkeit schon 31 Grad Celsius reichten, um die gefährlichen Temperaturen zu erreichen.

Schwitzen geht nicht mehr

Traidl-Hoffmann erklärt die Abläufe: "Am Anfang gibt der Mensch sehr viel Wasser ab. Wenn nicht genug getrunken wird, dehydriert er." Dann kämen mehrere Mechanismen ins Spiel, die dazu führten, dass ein Mensch seine Körpertemperatur nicht mehr kontrollieren könne. "Wenn ich nicht mehr abkühlen kann, nehme ich Temperatur auf. Durch Hitzeeinwirkung auf einen ungeschützten Kopf kann eine Hirnhautreizung folgen; das Zusammenspiel führt dann zum klassischen Hitzschlag." Das ginge relativ schnell, sagt Traidl-Hoffmann. "Wir sehen die gesunden, jungen Straßenarbeiter und Dachdecker, die draußen in der Hitze arbeiten und zu uns in die Klinik mit 42 Grad Fieber kommen und innerhalb von Stunden an Multi-Organ-Versagen sterben können, wenn ein Kipp-Punkt überschritten ist. Das lässt sich auch nicht rückgängig machen. Es ist wie bei einem gekochten Ei. Wenn das Eiweiß einmal hart ist, kriegen sie es nicht mehr weich."

Die größte Gefahr stellen Kühlgrenztemperaturen aber noch nicht in Kontinentaleuropa dar, sondern in Regionen, die sehr warm und sehr feucht sind. Dazu zählen die östlichen USA, der Norden des indischen Subkontinents, Westafrika und Ostchina. Das sind Landstriche, die extrem dicht besiedelt sind. Zusammen leben in diesen Regionen circa zwei Milliarden Menschen.

Die Erderwärmung wirkt dabei doppelt: Sie erhöht die Lufttemperatur, aber auch die generelle Luftfeuchtigkeit. Forscher*innen gehen in Modellszenarien davon aus, dass am Ende des Jahrhunderts Millionen Menschen täglich mit Wetterlagen konfrontiert werden, die tödlicher sind als alle Hitzewellen, die die Menschheit bisher erlebt hat, aber wohl nicht die extremen Kühlgrenztemperaturen erreichen. Das aber auch nur in dem Fall, dass die Welt es schafft, mehr Klimaschutz umzusetzen. Tut sie es nicht, verdreifacht sich die Zahl der gefährdeten Menschen und Millionen Menschen könnten den tödlichen 35-Grad-Werten jedes Jahr ausgeliefert sein. Für die Tropen gäbe es im Grunde nur eine Chance, wenn die Erderwärmung auf bis zu zwei Grad begrenzt bleibt. Aktuell laufen wir auf drei Grad zu.

Tödliche Temperaturen in Dubai und Pakistan

Zwei Regionen auf der Erden haben die tödlichen Kühlgrenztemperaturen auch tatsächlich schon erreicht: Ras al-Khaimah in Dubai und Jacobobad in Pakistan, wo es im vergangenen Sommer bis zu 52 Grad Celsius heiß wurde. Die Daten aus den Wetterstationen, die ein Forscherteam analysierte, zeigen aber auch, dass diese Temperaturen nur kurz herrschten und nicht in der ganzen Region. Dennoch: Es wird heißer, es wird feuchter. Der Trend zeigt nach oben. Wenn Klimawissenschaftler*innen davor warnen, dass manche Regionen der Erde unbewohnbar werden, ist das keine Metapher. Sie warnen genau vor solchen Temperaturen. (Und vor dem Meeresspiegelanstieg und vor Ernteausfällen und vor Fluten.)

Hinzu kommt: "Die Temperaturen sind nicht gleich für jeden Menschen", sagt Traidl-Hoffmann. "Kinder zum Beispiel haben im Vergleich zu viel Masse und zu wenig Oberfläche, um die Hitze zu kompensieren." Ältere Menschen wiederum hätten weniger Schweißdrüsen.

Gegen Hitze helfen in der Stadt: Bäume, Bäume, Bäume

Was gegen solche Temperaturen hilft, ist sehr offensichtlich: weniger Treibhausgase in der Luft. Es gibt aber auch Dinge, die Städte und Gemeinden schon heute tun können, um sich nicht nur auf diese tödlichen Extremtemperaturen vorzubereiten, sondern auch auf die Hitzesommer, die allen Menschen so oder so in der Zukunft bevorstehen. Speziell in der Stadt ist die Antwort simpel: "Es fehlt an Grün." Das sagt Stephan Pauleit, Professor für Landschaftsentwicklung an der TU München. Bäume werfen Schatten und generieren Verdunstungskühle. "Wenn ich unter einem Baum stehe, ist die Lufttemperatur ein oder zwei Grad kühler als in der Umgebung. Das ist nicht so wahnsinnig eindrucksvoll. Aber die gefühlte Temperatur kann sechs bis acht Grad niedriger sein!", sagt Pauleit.

Ein anderer Weg könnte sein, mehr Flächen in den Städten hell zu streichen und sich zu Nutze zu machen, dass diese Flächen mehr Energie reflektieren als dunkle Flächen. So würde die Stadt auch nachts weniger weniger Wärme abgeben. "Das ist das klassische Griechenland-Dorf."

Ob solche Maßnahmen aber auch in den Tropen helfen? An den Küsten Chinas oder der USA? Die Menschheit wird es herausfinden. Müssen.

Dieser Artikel ist zuerst bei Krautreporter erschienen.

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Autor*in: Rico Grimm

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