Österreich macht Studierenden aus Drittstaaten das Leben unnötig schwer
Medienaktion der Österreichischen Hochschüler*innenschaft zum Thema Studierende aus Drittstaaten anlässlich des Tages der Bildung. Foto: Martin Juen / SEPA.Media / picturedesk.com
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Clemens Schreiber

Österreich macht Studierenden aus Drittstaaten das Leben unnötig schwer

Österreich stellt an Studierende aus Drittstaaten hohe Anforderungen, gleichzeitig arbeitet die Bürokratie sehr langsam. Es rechtzeitig zum Semesterbeginn an die Uni zu schaffen, grenzt an ein Wunder. Zwei ägyptische Studentinnen erzählen, warum sie fast aufgegeben hätten, heute aber zufrieden in Wien und Klagenfurt studieren.


In Wien zu studieren hätte für Toqa Eissa so schön sein können. An der Universität für angewandte Kunst hat die 25-jährige Ägypterin einen Platz für das Studium Art & Science ergattert. Günstige Universitäten, leistbare Mieten – zumindest im internationalen Vergleich – und viele junge, kreative Menschen, die die österreichische Hauptstadt mit Leben füllen. So sehen viele der über 58.000 ausländischen Studierenden in Wien ihre neue Heimat. Die Vorfreude bei Eissa war groß, als im März 2022 der Zulassungsbescheid in ihrer Inbox landete. „Das war jedoch vor den Schwierigkeiten, die noch auf mich zukommen sollten“, erzählt Eissa.

Foto von Toqa Eissa
Toqa Eissa kam im Januar 2023 nach Wien und studiert an der Universität für angewandte Kunst. Foto: Toqa Eissa

Hohe Ausgaben für Dokumente  

 Wer von Ägypten aus einen Aufenthaltstitel für Studierende beantragen will, braucht viel Zeit und Geld. Zwischen Österreich und Ägypten gibt es kein Abkommen über Beglaubigungsfreiheit. Das heißt, dass für jedes wichtige Dokument – Studiendiplome, Zeugnisse, Geburtsurkunden und Strafregisterbescheinigungen – ungefähr 85 Euro anfallen. „Insgesamt ist das mehr als der monatliche Durchschnittslohn in Ägypten“, sagt Eissa.

Ausländische Studierende wie Eissa müssen nachweisen, dass sie sich das Leben in Österreich leisten können. Dafür müssen sie Rücklagen zwischen 8.040 und 14.604 Euro angespart haben. „Die besten Chancen auf einen gültigen Aufenthaltstitel hat man, wenn man das Geld auf dem Bankkonto hat“, weiß Peter Marhold, der seit 1993 ausländische Studierende in Rechtsfragen berät. Außerdem müssen die Antragsteller*innen für einen gültigen Aufenthaltstitel einen Wohnort in Österreich angeben, erzählt Marhold. Auch Eissa hat sich um eine Unterkunft in einem Student*innenwohnheim in Wien gekümmert. Als es zu Verzögerungen mit dem Aufenthaltstitel kam und sie somit nicht zu Beginn ihres Studiums nach Wien reisen konnte, lief der abgeschlossene Mietvertrag weiter. ___STEADY_PAYWALL___ Vier Monate lang musste sie Mietkosten für ein Zimmer in einer Stadt bezahlen, in der sie noch gar nicht wohnte.

Foto von Peter Marhold
Peter Marhold berät und vertritt seit 1993 ausländische Studierende in Rechtsangelegenheiten für die NGO Helping Hands. Foto: Clemens Schreiber

In Kairo gibt es kaum Termine

Die erste Anlaufstelle für ausländische Studierende, die nach Österreich wollen, ist immer die österreichische Botschaft oder das dazugehörige Konsulat. Diese nehmen die erforderlichen Dokumente entgegen und leiten den Antrag auf Aufenthaltsgenehmigung an die inländischen Behörden weiter. Doch wer Kontakt mit der österreichischen Botschaft in Kairo aufnehmen möchte, braucht einen langen Atem, denn dort mangelt es in erster Linie an verfügbaren Terminen. Auf der Webseite der Botschaft gibt es ein Reservierungssystem für Terminbuchungen. Zumindest theoretisch. Denn wer einen Termin buchen will, bekommt meistens folgende Antwort zu lesen: Für ihre Auswahl stehen derzeit leider keine Termine zur Verfügung.

Screenshot von der Website der österreichischen Botschaft in Kairo vom 10. Januar 2024

So erging es auch Toqa Eissa, als sie im April 2022 einen Termin buchen wollte. „Ich bekam über einen Monat lang keinen Termin“, erinnert sie sich. Das enttäuschende daran: Niemand weiß, wann neue Termine freigeschaltet werden. Die Botschaft verspricht zwar, dass sie in regelmäßigen Abständen Termine freischalte. Wann das genau passiert, ist nicht nachzuvollziehen. „Ich war so gut wie jeden Tag auf der Webseite, habe mir Erinnerungen am Handy eingestellt, um ja keinen neuen Termin zu verpassen“, sagt Eissa. Als sie im Juni einen Termin für August buchen konnte, stand eigentlich schon fest, dass sie es nicht pünktlich zum Semesterstart nach Wien schaffen wird. Denn die Webseite der österreichischen Botschaft warnt: die Inlandsbehörden brauchen bis zu sechs Monaten, um die Anträge zu bearbeiten. In Ausnahmefällen sogar noch länger.

Planänderung: Von Wien nach Klagenfurt

Noch länger musste Doaa Abdelkader warten. Die Ingenieurin aus Ägypten wollte ebenfalls für ein Studium nach Wien kommen. Doch auch für Abdelkader hieß es zunächst einmal: warten. „Als ich im Juli über das Online-Portal einen Termin buchen konnte, wurde mir ein Termin für Dezember zugewiesen“, sagt sie. Ihr ursprünglicher Plan, ein Masterstudium an der Wirtschaftsuniversität Wien im Oktober 2023 anzufangen, löste sich damit in Luft auf. Zum Zeitpunkt ihres Termins an der Botschaft, hätte das Semester in Wien bereits längst angefangen. Für sie hieß es dann: umsatteln, nach einem Plan B suchen und Alternativen abwägen. Statt nach Wien zu kommen, entschloss sich Abdelkader dafür, an der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt zu studieren. „Im Gegensatz zum Studium an der WU, konnte ich in Klagenfurt im Sommersemester einsteigen“, erklärt Abdelkader.

Foto von Doaa Abdelkader
Doaa Abdelkader studiert aufgrund des langwierigen Verfahrens in Klagenfurt statt wie geplant in Wien. Foto: Clemens Schreiber

Ob Toqa Eissa und Doaa Abdelkader einfach Pech hatten, ob die langen Wartezeiten an der österreichischen Botschaft in Kairo ungewollte Nachwirkungen der Corona-Pandemie oder gar die Norm sind, ist schwer zu sagen. Eine Anfrage diesbezüglich an die österreichische Botschaft in Kairo und das Außenministerium blieb unbeantwortet.

Das lange Warten auf den Zulassungsbescheid von österreichischen Universitäten

Um einen Antrag an der Botschaft einreichen zu können, muss ein Zulassungsbescheid einer österreichischen Universität vorliegen. Toqa Eissa konnte zum Beispiel erst nachdem sie offiziell von der Kunstuniversität aufgenommen wurde, einen entsprechenden Antrag stellen. Bei genauer Betrachtung der österreichischen Universitäten fällt auf, dass sie ihren Zulassungsbescheid, im internationalen Vergleich und in Anbetracht der Dauer des Aufenthaltsverfahrens, relativ spät verschicken. Dies kann zur Folge haben, dass Bewerber*innen aus Drittstaaten ihr Studium nicht zum angepeilten Semesterstart anfangen können.

Die Wirtschaftsuniversität, die Universität für angewandte Kunst und die Universität Wien empfehlen interessierten Student*innen aus Drittstaaten deswegen so früh wie möglich alle erforderlichen Dokumente vorzubereiten, wohlwissend, dass der Prozess lange dauert. Wer sich an der WU ein Jahr im Voraus für einen Studienplatz bewirbt, bekommt seinen Bescheid neun Monate vor Beginn des Studiums und hat somit die besten Aussichten, das Verfahren für die Aufenthaltserlaubnis fristgerecht zu durchlaufen. Anders sieht es bei der TU Wien oder der Universität Wien aus. Eine Sprecherin der Universität Wien bestätigt auf Anfrage, dass die ersten Zulassungsbescheide, je nach Studiengang, zwischen März und Juni verschickt werden.

Zum Vergleich: An niederländischen Universitäten wie der Universität von Amsterdam oder der Universität Utrecht werden in der Regel alle Zulassungsbescheide bereits vor Mai verschickt. Wer also erst im Juli einen Zulassungsbescheid von der Uni Wien bekommt und dann noch zur österreichischen Botschaft in Kairo muss, hat bei der derzeitigen Lage wenig Chancen, in Wien zu studieren.

Ein zähes Ende

Eissa und Abdelkader sind über Umwege nach Österreich gekommen und mussten dabei viel Zeit, Geld und Energie investieren. Als Abdelkader erzählt, dass sie sich unfreiwillig auf eine unbekannte Stadt samt neuem Studium einlassen musste, ist sie sichtlich nervös. Von der Melange, die sie bestellt hat, nimmt sie keinen einzigen Schluck und auch das Wasserglas daneben berührt sie nicht.

Eissa hingegen wirkt gefasst. Nur wenn sie von ihrem frühzeitig gekündigten Job an einer Universität in Kairo oder den Mietkosten für ein unbewohntes Zimmer erzählt, wird ihre Stimme lauter. Dass es Eissa doch noch nach Wien geschafft hat, liegt auch an ihrem Anwalt. Dieser wurde ihr von der Studierendenvertretung zur Seite gestellt und trat für sie mit der MA35, dem Wiener Magistrat für Einwanderung und Staatsbürgerschaft, in Kontakt. Gemeinsam überlegten sie sogar, Schadensersatz aufgrund der langen Bearbeitungszeit zu verlangen, entschieden sich später jedoch dagegen. „Aus Erfahrung weiß ich, dass Beschwerden bei der MA35 oft ins Leere laufen“, sagt ihr Anwalt, Oliver Ertl.

Mitleid wollen beide Frauen aber nicht. Abdelkader hilft nun anderen Ägypter*innen, die sich überlegen nach Österreich zu kommen und sich mit Anträgen, Beglaubigungen und langen Wartezeiten herumschlagen müssen. Und Eissa weiß, dass sie aus einer privilegierten Situation heraus spricht. Andere Personen verfügen nicht über das notwendige Geld, bekommen keinen Anwalt oder haben keine Botschaft in der Nähe und können deswegen nicht nach Österreich kommen, meint sie. Es sind Geschichten, über die niemand schreibt.

Autor*in: Clemens Schreiber

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