Klimaschutz, eine „staatsgefährdende Ideologie“
Polizist*innen aus Tirol kesseln bei der Demonstration am 27.März über hundert Demonstrierende. Foto: Markus Sulzbacher
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Markus Sulzbacher
Reporter

Klimaschutz, eine „staatsgefährdende Ideologie“

Pfefferspray auf eingekesselte Demonstrant*innen: Warum geht die Polizei so hart gegen Klimaaktivist*innen vor? Ein Dokument, das tag eins vorliegt, liefert Hinweise: Darin stellt der Verfassungsschutz Tier- und Klimaschützer*innen in eine Reihe mit Neonazis und der Terrormiliz IS.

Die Wiener Polizei fuhr beinahe alles auf, was sie zu bieten hatte: Drohnen, Wasserwerfer, die Hundestaffel – und ein enormes Aufgebot an Uniformierten, Beamt*innen in Zivil und jene des Verfassungsschutzes. Sogar Einheiten aus den Bundesländern wurden angefordert. „Lediglich der grüne Räumpanzer fehlt“, bemerkte ein Demonstrant in spöttischem Ton. Der Mann war gemeinsam mit einigen Tausend Klimaaktivist*innen am 28.März auf der Straße, um gegen die internationale Gaskonferenz im Hotel Marriott am Parkring zu demonstrieren, in den Worten der Demonstrierenden eine “Ansammlung von Gaslobbyist*innen, die für etwas Profit unsere Zukunft verscherbeln“. Die Demonstration verlief ohne große Zwischenfälle.

Tags zuvor bot sich noch ein anderes Bild, das sich schnell über Twitter und andere Kanäle verbreitete: Polizist*innen kesselten Demonstrierende ein und versprühten literweise Pfefferspray. Dabei stachen Beamt*innen aus Tirol hervor. Als “unverhältnismäßig” und „sehr aggressiv“ beschrieb die NGO Amnesty International den Einsatz. Das Bündnis „BlockGas“, das zu den Protesten mit aufgerufen hatte, warf der Exekutive „unverhältnismäßig brutale Gewaltanwendung“ vor. „Die Klimabewegung wurde in diesen Tagen in einer in Österreich noch nie dagewesenen Weise kriminalisiert", heißt es in einer Aussendung.

„Die Klimabewegung wurde in diesen Tagen in einer in Österreich noch nie dagewesenen Weise kriminalisiert", heißt es in einer Aussendung von "Block Gas".

Eine Einschätzung, die mit Blick in die österreichische Geschichte eher übertrieben scheint. Beim Urknall der hiesigen Umweltbewegung, der Besetzung der Hainburger Au 1984, knüppelten 2.000 Polizist*innen die Aktivist*innen nieder, die “Krone” brachte Fotos der Gewalt und titelte: “Die Schande von Hainburg”.

Tatsächlich weist eine Präsentation des niederösterreichischen Landesamts für Verfassungsschutz eher darauf hin, dass sich an der Sicht der Exekutive auf Teile der Umweltbewegung wenig geändert hat: Sie werden noch immer vor allem als Bedrohung für den Staat und die innere Sicherheit angesehen – was offensichtlich nicht gerade zur Deeskalation beiträgt.

In einer Reihe mit dem Mörder Breivik

___STEADY_PAYWALL___Die Präsentation mit dem Titel “Aktuelle staatspolizeiliche Bedrohungen und Phänomen-Entwicklung“ des niederösterreichischen Landesamts für Verfassungsschutz aus dem Jahr 2019 gibt einen Einblick in die Sichtweise des Verfassungsschutzes. Auf einer Folie werden darin Tierschützer*innen und Antifaschist*innen in eine Reihe mit islamistischen Terroristen und dem norwegischen Rechtsterroristen Anders Behring Breivik gestellt, der im Jahr 2011 77 Menschen ermordete, darunter 69 meist jugendliche Teilnehmer*innen eines Zeltlagers der Jugendorganisation AUF der sozialdemokratischen Arbeiderpartiet auf der Insel Utøya.

Screenshot aus der Präsentation "Aktuelle staatspolizeliche Bedrohungen und Phänomen-Entwicklung" des Landesamt für Verfassungsschutz Niederösterreich aus dem Jahr 2019.
Screenshot aus der Präsentation "Aktuelle staatspolizeliche Bedrohungen und Phänomen-Entwicklung" des Landesamt für Verfassungsschutz Niederösterreich aus dem Jahr 2019.

Eine andere Folie stellt „Fridays for Future“ als eine Gruppe dar, in der sich „Personen mit krimineller Energie“ und mit „staatsgefährdender Ideologie“ engagieren. Immerhin wird vermerkt, dass “Fridays for Future” ihre Ziele „legal“ verfolge, im Gegensatz zu Neonazis oder den Anhänger*innen des sogenannten Islamischen Staates.

Schüler*innen, die nach dem Vorbild der Initiatorin Greta Thunberg für eine wirksame Klimapolitik demonstrieren, neben mörderischen Terroristen? Im Verfassungsschutz hält man diese Kinder und Jugendliche offenbar für potentielle Staatsfeinde – zumindest legt dies die Präsentation nahe.

Screenshot aus der Präsentation "Aktuelle staatspolizeliche Bedrohungen und Phänomen-Entwicklung" des Landesamt für Verfassungsschutz Niederösterreich aus dem Jahr 2019.
Screenshot aus der Präsentation "Aktuelle staatspolizeliche Bedrohungen und Phänomen-Entwicklung" des Landesamt für Verfassungsschutz Niederösterreich aus dem Jahr 2019.


“Friedlich war da überhaupt nichts”

In dieser Logik des Verfassungsschutzes bewegen sich auch die Vertreter der Polizei, die den massiven Einsatz der Polizei gegen die Klimaaktivist*innen am Wiener Marriott-Hotel rechtfertigten. Er könne “überhaupt kein Fehlverhalten feststellen”, sagte Wiens Polizeipräsident Gerhard Pürstl. Die Aktivisten hätten einfach nicht kooperiert: “Friedlich war da überhaupt nichts”. Ähnlich äußerte sich Innenminister Gerhard Karner von der ÖVP: „Unter den Klima-Aktivisten waren gewaltbereite Demonstranten aus dem Ausland, die das Hotel stürmen wollten.“ Karner lobte das „entschlossene Vorgehen“ der Beamten. Diese hätten „höchstsensibel und erfolgreich“ verhindert, dass bei uns „ganze Straßenzüge brennen“, wie das in anderen Ländern bereits üblich sei. Tatsächlich schafften es übrigens zwei Aktivistinnen auf das Abschlussdinner der Konferenz im Palais Ferstel: Sie riefen einige Slogans und ließen sich widerstandslos von der Security abführen.

Die Polizei begründete ihr Vorgehen gegen die eingekesselten Aktivist*innen damit, dass wegen „schwerer gemeinschaftlicher Gewalt“ (Paragraf 274 StGB) eingeschritten wurde und daher Identitätsfeststellungen vorgenommen werden mussten. Acht Personen haben sich laut Polizei ausgewiesen und wurden auf freiem Fuß angezeigt. 143 Personen hätten sich nicht legitimiert und seien vorläufig gemäß der Strafprozessordnung festgenommen worden. Demonstrierende hätten sich angeblich „im Vorhinein mit Steinen ausgerüstet“ und „von Beginn an ein gewaltbereites Vorgehen gegen die Einsatzkräfte der Polizei“ gezeigt, hieß es später in einer Aussendung. Auch seien zwei Polizisten verletzt worden. Einer „erlitt eine Platzwunde und einer eine Kontamination durch Pfefferspray“, heißt es dazu seitens der Polizei.

Die Vertreter*innen von “Amnesty International”, die das Geschehen vor Ort beobachteten, konnten die Angaben der Polizei nicht nachvollziehen. Die Menschenrechtsorganisation zeigte sich besorgt über „die Kriminalisierung friedlicher Proteste“, der Staat habe „die Pflicht, friedliche Proteste zu ermöglichen und nicht zu verhindern, wie wir es heute gesehen haben“.

Tatsächlich fällt die Versammlungsfreiheit unter die verfassungsmäßig garantierten Grundrechte, die selbst dann gelten, wenn Demonstrationen nicht angemeldet werden. Sie dürfen nur aufgelöst werden, wenn die öffentliche Sicherheit in Gefahr ist. Nur: Wie wird die Polizei wohl im Einzelfall entscheiden, wenn Klimaaktivisten den Sicherheitsbehörden per Definition als Risiko gelten?

Grüne und Neos bringen Anfragen ein

Amnesty International erklärt, dass mehr Verständnis dafür herrschen müsse, dass Protest etwas Richtiges und Wichtiges in einem Rechtsstaat sei, und zwar „sowohl in der Bevölkerung als auch bei den Entscheidungsträger*innen und bei der Polizei.  Damit sie mit diesem Wissen und Verständnis in einen Einsatz rund um Proteste gehen.“

Natürlich wird etwa das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in der Ausbildung der Polizist*innen erwähnt – nur trifft dieses Lehrbuchwissen dann auf die Dynamik der Realität, und auf die tief verankerte Kultur innerhalb der Exekutive, die der einflussreiche deutsche Polizeiwissenschaftler Rafael Behr “Cop Culture” nannte. Dazu gehört, wie die Polizei mit Kritik an ihren Einsätzen umgeht. Oftmals, so beschreibt es Behr in seiner Forschung, reagiert sie nach den Regeln des “Korpsgeists”: Reihen schließen, Fehler abstreiten, Aufarbeitung sabotieren.

Im Falle des Wiener Einsatzes haken nicht nur die Aktivist*innen und Menschenrechts-Organisationen nach, sondern auch die Neos und die Grünen. Sie bringen parlamentarische Anfragen ein. „Wir können nicht nachvollziehen, dass die Wiener Polizei auf junge Menschen, die sich für den Erhalt unserer Umwelt einsetzen, mit Gummiknüppeln, Pfefferspray und einer Hundestaffel losgeht, über einhundertvierzig von ihnen festnimmt und sie zudem noch kriminalisiert“, begründete Georg Bürstmayr, Sicherheitssprecher der Grünen, die Anfrage.

Überwachung aus Tradition

Besonders FPÖ-Politiker*innen fordern viel strengere Strafen und Überwachungsmaßnahmen gegen die vermeintlichen "Klimaterroristen". Auch wenn rechts stehende Politiker*innen den Begriff der "Kriminalisierung" weit von sich und der Exekutive weisen würden, Tatsache ist: Die Klimaaktivist*innen in Österreich stehen unter Verdacht, und unter Überwachung des Verfassungsschutzes.

Das wurde beim Wiener Neujahrskonzert offenbar: Noch vor Beginn des Konzerts wurden Aktivist*innen der “Letzten Generation” von Beamt*innen des Verfassungsschutzes erkannt und vorübergehend festgenommen. Sie sollen eine Störung geplant haben, so der Vorwurf. Der Verfassungsschutz war vorbereitet, hatte „konkrete Informationen“ zur Aktion.  Innenminister Karner wertete die Festnahmen als Erfolg des Verfassungsschutzes, der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN).

Nicht erfolgreich war die DSN bei einem anderen Einsatz zu Neujahr: Unbekannte verübten einen Brandanschlag auf eine Moschee im 16. Wiener Gemeindebezirk, bis heute sind die Täter*innen nicht ausgeforscht.

Die staatliche Beobachtung von Umweltaktivist*innen hat in Österreich Tradition. Seit es sie in Österreich gibt, also den 1970er Jahren und den Protesten gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf, werden Umweltaktivist*innen vom Verfassungsschutz überwacht. Begründet wird dies heute mit der „Schnittmenge zwischen militanten Umweltgruppierungen und linksextremen Gruppierungen“. Auch könnten sich „militante Umweltgruppierungen“ zu „einer ernstzunehmenden Bedrohung entwickeln“, sagte DSN-Chef Omar Haijawi-Pirchner Mitte März bei einer Pressekonferenz.

Mit einer derartigen Begründung wurden Umweltschutzgruppen in Österreich seit jeher bespitzelt. In den 1980er Jahren wurde bekannt, dass der damalige Verfassungsschutz, die Staatspolizei, von Amts wegen zehntausende Akte über unbescholtene Bürger*innen anlegte. Darin wurde etwa vermerkt, ob Personen für die Grünen bei Wahlen antreten, an angemeldeten Demonstrationen gegen Atomkraftwerke teilnahmen oder der Elterninitiative "Für gesunde Luft in Simmering" tätig waren. Viele der Einträge waren auch falsch. Ein Beispiel: Ein Geologe, der im Burgenland beschäftigt war, wurde von einem Wirt, mit dem er in Streit geraten war, denunziert. Noch 15 Jahre später hieß es im Stapo-Akt des Geologen, dass er als "Geometer" verdächtige Landvermessungen nahe des Eisernen Vorhangs durchgeführt habe.

Es war der damalige Innenminister Franz Löschnak, der die Überwachung beendete. Er gab die berüchtigten Stapo-Akten in den frühen 1990er-Jahren frei, rund 90.000 Bürger begehrten Einsicht, anschließend wurden die Akten offiziell vernichtet oder dem Staatsarchiv übergeben.

Rettung der Stopfenreuther Au

Und auch einer der unrühmlichsten Einsätze der Polizei in Österreich führte letztlich zu einem Kompromiss: Am 19. Dezember 1984 gingen 2.000 Polizisten mit Knüppeln auf Aktivist*innen los, die wenige Tage zuvor die Stopfenreuther Au bei Hainburg besetzten, um den geplanten Bau eines Donaukraftwerks zu verhindern. 20 Menschen wurden dabei verletzt.

In Wien zogen 40.000 Menschen spontan auf die Straße, um gegen die Polizeigewalt zu demonstrieren. Am 21. Dezember 1984 rief SPÖ-Bundeskanzler Fred Sinowatz den „Weihnachtsfrieden“ aus, es folgte eine „Nachdenkpause“, und im folgenden Jahr untersagte der Verwaltungsgerichtshof den Baubeginn. Angewandte Deeskalation, auf die die neue Generation der Umweltaktivist*innen aktuell noch wartet.

Autor*in: Markus Sulzbacher

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