Was gegen die Inflation helfen könnte
Nach Jahren der Abwesenheit hat die Inflation 2022 mit 8,6 Prozent (2021: 2,8%) ein fulminantes Comeback in Österreich hingelegt. Bild: Adobe Stock
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Fabian Graber
Reporter

Was gegen die Inflation helfen könnte

Steigende Preise können ins Verderben führen – das zeigt die Geschichte. Wie Nationalbanken und Regierungen gegen die Inflation vorgehen sollen, darüber wird bis heute gestritten. Die Rufe nach mehr staatlichen Eingriffen werden jedenfalls wieder lauter.

Inflation – das ruft böse Erinnerungen wach, gerade in Österreich. Knapp mehr als hundert Jahre ist es her, da hatte der Staat in der jungen Ersten Republik die Kontrolle über die Geldentwertung verloren. Mit der Folge, dass die Ersparnisse und damit der Wohlstand sehr vieler Menschen weg-inflationiert wurden. In den zehn Jahren bis 1924 sind die Preise um knapp das 14.000-fache gestiegen. Auf die Melange im Kaffeehaus umgelegt hätte die dann – ein Jahrzehnt später – ein stattliches Jahresgehalt gekostet.

Nach Jahren der Abwesenheit hat die Inflation 2022 mit 8,6 Prozent (2021: 2,8%) ein fulminantes Comeback in Österreich hingelegt. Hauptgrund sind die gestiegenen Energiepreise als Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine, aber Kritiker*innen sagen, dass auch die Einmalzahlungen und üppigen Corona-Hilfen der Bundesregierung Öl ins Feuer gegossen haben. Grund genug, sich Lösungen aus der Vergangenheit und Gegenwart genauer anzusehen.___STEADY_PAYWALL___

Zurück in die Zwischenkriegszeit: Die Verarmung und hohe Arbeitslosigkeit in Österreich nach dem Ende der Monarchie erschüttern einen gewissen Friedrich Hayek in Wien, der es sich als Ökonom fortan zur Aufgabe macht, es nie wieder so weit kommen zu lassen. Seiner Ansicht nach führen hohe Staatsausgaben, Sozialleistungen und Eingriffe in den Markt unweigerlich zur wirtschaftlichen Katastrophe, zu mehr Armut, schlussendlich sogar zur Knechtschaft. Als Soldat hatte Hayek erlebt, wie die Monarchie die absurden Kosten des ersten Weltkriegs weitestgehend mit Schulden finanzierte, woraufhin der Staat noch mehr Geld druckte, um Österreich über Wasser zu halten. Es folgten Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit; später Nationalsozialismus, Holocaust und wieder Krieg.

Geht es nach Hayek, vermeidet der Staat hohe Ausgaben, um die Inflation nicht weiter anzuheizen. Das Geld muss teurer werden, die Zinsen also steigen, den Rest erledigt der sogenannte Markt. Die erhoffte Wirkung: Unternehmen würden dann weniger investieren, Arbeitsplätze abbauen, woraufhin die Arbeitslosigkeit steigt, die Menschen weniger konsumieren, die Nachfrage abkühlt und die Teuerung irgendwann nachlässt. Über eine lange Zeit stoßen Hayeks Ideen aber auf wenig Interesse.

Mehr Staat erwünscht

Die Welt schaut und hört nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem auf einen Kollegen von Hayek, John Maynard Keynes. Der Brite vertritt vereinfacht gesagt die These, dass der Staat in Wirtschaftskrisen investieren und höhere Schulden in Kauf nehmen sollte, um die Abwärtsspirale aus sinkenden Investitionen, steigender Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsabschwung aufzuhalten. Also mehr staatliche Eingriffe, um Schlimmeres zu verhindern.

Keynes' Ideen spielen auch bei der Inflationsbekämpfung in Österreich eine große Rolle, Mitte der 1970er-Jahre nämlich, als der Ölpreis stark zulegt und die Teuerung auf fast zehn Prozent klettert – ähnlich dem heutigen Niveau. Die Alleinregierung von Bruno Kreisky (SPÖ) macht sich einerseits daran, die Nachfrage einzudämmen, indem sie einen autofreien Tag, Energieferien und ein Tempolimit einführt. Seit den späten 1950ern existiert aber auch schon eine Preiskommission, die Obergrenzen für bestimmte Lebensmittel eingezogen und zwischen Arbeitgeber*innen und Gewerkschaften vermittelt hat, um Lohnerhöhungen nicht ausufern zu lassen. Die Inflation wird schwächer, im Jahr 1975 liegt sie bei 3,6%. Wegen der aktiven Rolle der Regierung spricht man daher auch vom „Austro-Keynesianismus“ der 1970er-Jahre.

Danach wenden sich die westlichen Regierungen aber zunehmend von Keynes ab, vor allem in den USA, wo Anfang der 1980er-Jahre die Inflation stark anzieht und die US-Notenbank beziehungsweise der konservative Präsident Ronald Reagan mit einer straffen Geldpolitik antworten – also massiven Zinserhöhungen auf knapp unter 20% und gekürzten Staatsausgaben, dafür weniger Steuern und weniger Regulierung.

Neoliberal übernimmt

Es folgt die Sternstunde des Neoliberalismus mit dem Namen „Reaganomics“ – in dem sich nun auch verstärkt die Ideen Hayeks wiederfinden, zumindest was den freien Markt betrifft. Die brutale Zinserhöhung zeigt in den USA auch Wirkung und bändigt die Inflation, löst aber auch eine tiefe Wirtschaftskrise aus.

Das veranlasst die US-Notenbank FED – die bei der Geldpolitik weltweit den Ton angibt – schließlich dazu, die Zinsen wieder zu senken. Ähnlich wie um die Jahrtausendwende, als ein Aktiencrash nach dem ersten Internet-Boom wiederum in eine Rezession führt. Die lockeren Regulierungen der Reagan-Ära und niedrigen Zinsen tragen dazu bei, dass der Immobilienmarkt in den USA Anfang der 2000er überhitzt, was zuerst in einer Finanz- und dann in einer globalen Wirtschaftskrise mündet und mit der Euro-Krise endet. Zunächst sinken die Zinsen weiter, auch in Europa. Im Jahr 2016 setzt die Europäische Zentralbank EZB den Leitzins auf null. Bis vergangenes Jahr, als die Inflation zurückkehrt und die Notenbanken die Zinsen wieder schrittwiese erhöhen – die EZB zuletzt Anfang Mai, auf mittlerweile 3,5%.

So viel zur Historie. Die Notenbanker*innen gehen davon aus, dass weitere Zinsschritte folgen werden. Denn die Inflation bleibt hoch und aus Sicht der Währungshüter*innen sind steigende Zinsen nach wie vor das effektivste Mittel, um die Teuerung in den Griff zu bekommen.

Preispolitik statt Geldpolitik

Markus Marterbauer sieht das anders. „Zinserhöhungen bringen wenig in dieser Lage, sie schaden der Konjunktur“, sagt der leitende Ökonom bei der Arbeiterkammer in Österreich. Auch Wirtschafsforscher*innen hätten Wertvorstellungen: Jene mit mehr Bezug zum sogenannten Monetarismus würden vor allem an die Möglichkeiten der Zentralbanken glauben, Wirtschaft und Inflation mit ihrer Geldpolitik zu steuern, also kurz gesagt Geld billiger und damit leichter verfügbar oder teurer und knapper zu machen. Die Anhänger*innen von Keynes sehen die Inflation laut Marterbauer vor allem als Problem, das von hohen Kosten getrieben wird – also etwa stark steigenden Energiepreisen wie in den 1970ern und heute.

Deshalb müsse man auch bei den Preisen ansetzten, um die Teuerung wieder zu drücken. „Sonst fressen sich die steigenden Preise tiefer in die Wirtschaft rein, was schließlich auch auf die Industrie umschlägt, dann auf andere Bereiche in der Wirtschaft“, so Marterbauer. Manche Firmen würden etwa steigende Energiekosten als Chance sehen, um die eigenen Preise zu erhöhen, obwohl sie gar nicht stark davon betroffen sind – woraus sich manchmal ungerechtfertigt hohe Gewinne ergeben würden.

Zu wenig und zu spät?

Deshalb hätte die Regierung bei den Preisen rasch eingreifen müssen, so der AK-Ökonom. Was in Österreich aber verabsäumt wurde, im Gegensatz etwa zu Spanien, wo der Staat frühzeitig bei Energie, Mieten und Lebensmitteln Preise reguliert hat. „In Österreich gab es vor allem Einmal-Hilfen zum Ausgleich der Inflation und sonst keine Eingriffe. Das ist der Grund, warum die Inflation hierzulande höher ist als in anderen Ländern“, sagt Marterbauer.

Im April lag die Teuerung in Österreich laut dem EU-Statistikamt Eurostat bei etwa 9,5%, in der Eurozone im Schnitt bei 7% und in Spanien bei nur 3,8%.

Die bisherigen Maßnahmen der Regierung gegen die Teuerung haben die Inflation also nicht nachhaltig gesenkt. Nach einer Einmalzahlung vorigen Sommer, einer Strompreisbremse für private Haushalte und Energiekosten-Zuschüssen für Unternehmen in Österreich haben ÖVP und Grüne dann vorige Woche nachgelegt. Mit dem neuen Maßnahmenpaket will die Regierung Gewinne von Energieversorgern abschöpfen, wenn diese Preissenkungen nicht weitergeben. Die Regierung wartet also wieder ab und belässt es bei sanften Maßnahmen, auch im Lebensmittelbereich – wo sie nun regelmäßig einen Transparenzbericht veröffentlichen will.

Das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) zeigte sich gegenüber den Maßnahmen skeptisch. Dessen Chef Gabriel Felbermayr lobte zwar die Schritte im Energiebereich. "Aber die Größe des Pakets erscheint angesichts fast zweistelliger Inflationsraten doch deutlich zu klein. Das wird nicht das letzte Paket gewesen sein, die Regierung muss weiter dranbleiben und weiter nachbessern“, so Felbermayr auf Twitter.

Fiskalrat-Chef Christoph Badelt reagierte mit der Aussage, dass vor allem der Druck auf den Lebensmittelhandel verstärkt werden müsse. Dass die Supermärkte in Deutschland und Italien viel günstiger seien, würde dafür sprechen, dass Österreich im Lebensmittelhandel ein Wettbewerbsproblem hätte, so Badelt.

Mangelnde Unterstützung

Felbermayr und Badelt kritisieren außerdem, dass Menschen mit sehr niedrigen Einkommen durch die Zahlungen der Regierung nicht ausreichend unterstützt worden seien. Bei Sozialhilfe, Notstandshilfe und Arbeitslosengeld müsste es deutliche Erhöhungen gegeben, um der steigenden Armut in Österreich entgegenzuwirken, sagt auch Marterbauer von der AK.

Immerhin: Am Mittwoch hat die Regierung ein Maßnahmenpaket für finanziell Schwächere präsentiert, von dem besonders Familien mit Kindern profitieren sollen. Bis Ende kommenden Jahres erhalten Bezieher*innen von Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld, Notstandshilfe oder Sozialhilfe pro Kind 60 Euro zusätzlich.

Marterbauer sieht aber vor allem bei den Mieten Handlungsbedarf: Die Regierung müsse die Steigerungen der vergangenen Monate rückgängig machen, weil die hohen Wohnkosten ärmere Menschen besonders hart treffen würden. Zur Erinnerung, im April 2023 sind etwa die Mieten für fast 800.000 Mieter*innen in Altbauwohnungen automatisch um 8,6 Prozent gestiegen. „Man hat die Mieten durchlaufen lassen. Das war eine strategische Fehlentscheidung“, so Marterbauer.

Eine Frage des Narrativs

Auch die Volkswirtin Lea Steininger von der Wirtschaftsuniversität Wien stellt infrage, wieso die Mieten um fast zehn Prozent steigen müssen, nur weil die Gaspreise als Folge des Angriffs Russlands auf die Ukraine im Vorjahr extrem zugelegt haben.

Die Mieten seien an einen Index für Verbraucherpreise gekoppelt, der von Statistiker*innen festgelegt werde und auf Durchschnittswerten beruhe. Die Gewichtung der Preise ist aus der Sicht Steiningers willkürlich und unpräzise. „Der Verbraucherpreisindex ist speziell uninteressant, weil der empirisch auf dünnem Eis steht, uns aber sagt, was gesellschaftlich passieren soll“. Nämlich, wie stark etwa die Mieten steigen.

„Auch dass Supermärkte jetzt die Preise anheben, ist überhaupt nur möglich, weil der Inflationsnarrativ besagt, dass die Preise jetzt steigen, es gibt jetzt diese Erwartungen.“

Laut Steininger besagt das „Inflationsdenken“, dass der Markt die Preise regle, die Unternehmen das Angebot bestimmen würde und die Teuerung nur dann zurückgehe, wenn man die Nachfrage drossle – Stichwort Zinsen anheben, höhere Arbeitslosigkeit und geringere Ausgaben. „Das ist ein sehr primitives Bild der Ökonomie. Auch die Zinserhöhungen funktionieren nicht, sie kommen nicht an“, kritisiert die Volkswirtin – denn die Inflation bleibe trotz der Zinsschritte sehr hoch. Umgekehrt sei die Inflation auch über viele Jahre lang extrem niedrig geblieben, obwohl die EZB eine sehr lockere Geldpolitik gefahren sei, sagt Steininger.

Die Vertreter*innen des neoliberalen Narrativs würden argumentieren, dass die Inflation jetzt eben so hoch und hartnäckig sei, gerade weil die Zinsen so lange niedrig gehalten wurden und die Staaten die schwächelnde Konjunktur über Jahre mit milliardenschweren Hilfsprogrammen aufgepäppelt hätten. Besonders während der Corona-Pandemie, als der Wirtschaft wegen Lockdowns und Lieferstopps der Kollaps drohte. Jetzt, wo die Menschen wieder uneingeschränkt arbeiten, kaufen und reisen können, sei die hohe Inflation eine logische Konsequenz – und die Lösung liege eben darin, die Zinsen zu erhöhen, Geld aus dem System herauszunehmen und die Nachfrage zu drücken.

Mehr Daten und Kontrolle?

Aus der Sicht Steiningers braucht es jetzt aber vor allem Preismaßnahmen – und die Forscherin spricht sich auch dafür aus, wieder eine Kommission einzusetzen, die bestimme Preise reguliert, etwa bei Lebensmitteln, Mieten und Energie. Bei Strom und Gas sollte aber nur der Grundbedarf preislich gedeckelt werden, darüber hinaus müssten die Kosten auch stark steigen, um den Verbrauch fossiler Energieträger zu senken.

Eine Preiskommission brauche allerdings mehr Daten über Firmen und deren Preisgestaltung, um überhaupt erkennen zu können, wo Eingriffe notwendig sind. „Es ist wichtig, dass sie schlagfertig ist, um Unternehmen zu signalisieren, dass sie Gewinne nicht gestalten können, wie sie wollen – vor allem bei Grundbedürfnissen“, so Steininger. Der Staat brauche insgesamt wieder mehr Handlungsfähigkeit in der Wirtschaft, in vielen Bereichen sei die Expertise aber an Beratungsunternehmen ausgelagert worden.

Überhaupt müssten sich die Menschen wegen der Klimakrise auf volatilere Zeiten und schwankende Preise einstellen, da gerade bei der Energieversorgung große Veränderungen und Investitionen notwendig seien.

„Wir werden uns jetzt mit Fragen beschäftigen müssen, die wir seit 50 Jahren vor uns her schieben und uns jetzt auf den Kopf fallen. Es geht um Werte – es ist eine Frage der Prioritätensetzung, warum in unserem System eine Pflegerin wenig verdient und eine Investmentbankerin reich wird“, sagt Steininger.

Das lasse sich auch auf die Inflation umlegen. Es bleibe eben doch eine Glaubensfrage, wie man sie am besten bekämpfen kann.

Autor*in: Fabian Graber

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