Das Wasserkraft-Land Österreich steht vor einem Dilemma
So idyllisch es oft scheint: Den Flüssen in Österreich geht es nicht gut. 8.000 Kilometer müssten saniert werden. So wie der Inn, der hier in Stams in Tirol erweitert wurde. Bild: Laura Anninger
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Laura Anninger
Reporterin

Das Wasserkraft-Land Österreich steht vor einem Dilemma

Wasserkraftwerke helfen bei der Energiewende, doch sie schädigen das Leben in unseren Flüssen. Wie kann beides gelingen: die Energiewende und der Schutz der Umwelt?

Eben noch war Klaus Feistlmantl in seinem Firmenauto auf der Inntal-Autobahn unterwegs. Jetzt steht er am Ufer des Inns. Mit dem Smartphone in den Händen dreht er sich behutsam um die eigene Achse. Er macht ein Panorama-Foto, es zeigt den mattblauen Inn, der sich durch die Landschaft schlängelt, eine Insel darauf, einen Fischreiher. 


Feistmantl arbeitet für die Tiroler Wasserkraft AG (TIWAG), das größte Tiroler Energie-Erzeugungs-Unternehmen, das hier in Stams den Inn aufgeweitet hat. Auf einer Länge von drei Kilometern ließ man Wasserbausteine entfernen, die den Fluss in engen Bahnen hielten und seine Ufer befestigten. Man ließ Geschiebe, also Gesteinsmaterial, wegbaggern, schuf einen Nebenarm, pflanzte Weiden. Jetzt hat der Inn wieder Platz, um natürlicher zu fließen und wieder Kinderstube und Lebensraum für verschiedene Tiere und Pflanzen zu sein.

„Ich bin schon gespannt, was der Inn macht, wenn das erste Hochwasser kommt“, sagt Klaus Feistmantl. Er ist schlank, trägt seine Haare zusammengebunden und spricht bedacht.  

Klaus Feistmantl, Mitarbeiter der Tiroler Wasserkraft AG, am Ufer des Inns. Bild: Laura Anninger

Der Ausbau der Wasserkraft wird die Landschaft zerstören, warnen Ökolog*innen

Feistmantl ist viel unterwegs. Seit elf Jahren koordiniert er das „Erweiterungsprojekt Kühtai“, ein Megaprojekt, bei dem die TIWAG einen Jahresspeicher, einen Druckstollen und ein Pumpspeicherkraftwerk in die Stubaier Alpen baut. Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke entstehen landesweit. Sie produzieren Strom, wenn es windstill oder bewölkt ist. Deshalb nennt die Interessensvertretung der heimischen Energiewirtschaft das Projekt auch einen „Leuchtturm der Energiewende“.

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Doch Umwelt-NGOs und Ökolog*innen warnen davor. Der Ausbau werde die Landschaft zerstören, ganze Lebensgemeinschaften vernichten, sagen sie. Um diese negativen Umweltfolgen zum kleinen Teil auszugleichen, setzte und setzt die TIWAG insgesamt 14 „hydromorphologische“ Maßnahmen, das heißt Maßnahmen, die das Wasser betreffen, um. Eine davon ist die Inn-Aufweitung in Stams, die das Bundesverwaltungsgericht dem Unternehmen vorgeschrieben hat und die Klaus Feistmantl an diesem trüben Tag im Mai besichtigt.  

„Drei Viertel der 65 heimischen Fischarten sind auf eine gewisse Art gefährdet“ Stefan Schmutz, Wissenschafter

Denn Österreich steht vor einem Dilemma. Es muss Solar, Wasser und Windkraft ausbauen, um unabhängig von fossilen Energiequellen zu werden. Bis 2030, so steht es im Regierungsprogramm, soll das gelingen. Die Wasserkraft soll dann 47 statt wie bisher 42 Terawattstunden Leistung pro Jahr beisteuern. Bis 2027, so schreibt es die EU-Wasserrahmenrichtlinie vor, müssen zudem alle heimischen Gewässer einen guten ökologischen Zustand erreicht haben. Oder zumindest ihr Potential voll ausschöpfen, das heißt etwa, als künstliches Gewässer einen so ökologisch guten Zustand wie möglich zu erreichen. Heute schafft das nicht einmal die Hälfte. Österreich muss also einen Spagat vollziehen: Es will mehr Wasserkraft und braucht gesündere Flüsse. Kann das gelingen? 

Österreichs Flüssen geht es nicht gut

Um das herauszufinden, muss man sich ansehen, wie es den heimischen Flüssen geht. Die Daten zeigen: nicht so gut. 8.000 Kilometer müssten saniert werden, damit sich das Leben in ihnen wieder natürlich entwickeln könnte.

Das zeigt sich bei ihren bekanntesten Bewohnern: den Fischen. „Drei Viertel der 65 heimischen Fischarten sind auf eine gewisse Art gefährdet“, sagt Stefan Schmutz von der Universität für Bodenkultur in Wien (BOKU). Er ist Limnologe, beforscht also die Ökologie von Binnengewässern. Fische brauchen lockeren Untergrund, der sich natürlich verlagert, klares Wasser, Nahrungsangebot und freie Wanderstrecken, erklärt er.

Es gibt viele Gründe dafür, dass es den Fischen in Österreichs Flüssen nicht gut geht: Rückstände von Pestiziden und Medikamenten, Regulierungen für den Hochwasserschutz. Ein Problem ist auch, dass nur mehr 15 Prozent der heimischen Flüsse frei fließen. Rund 27.000 Querbauwerke hindern sie am Wandern. Das sind etwa Wehre, aber auch rund 3.000 Wasserkraftwerke. Diese allein verantwortlich zu machen, ist zu kurz gegriffen, aber: Sie verursachen viele Probleme. Fische kommen durch sie schwerer flussaufwärts und flussabwärts, werden verletzt, weggespült oder liegen auf dem Trockenen.

Die gute Nachricht: Es gibt auch Lösungen. 

Problem 1: Fische können nicht wandern

Viele heimische Fischarten müssen wandern, um laichen zu können. Schon ab einer Schwelle von 20 Zentimetern kommen viele allerdings nicht mehr flussaufwärts. Die einfache Lösung für dieses Problem heißt: Fischaufstiegshilfe. Oft sind das flache Treppen aus Beton oder Gestein, auch sogenannte Fischlifte gibt es schon in Österreich. 

An einem kalten Tag im Frühjahr steht Georg Loy unweit der bayerisch-oberösterreichischen Grenze auf feinem Kies an einer anderen Stelle des Inns. Neben seinen Wanderschuhen wächst eine junge Weide hoch, hinter ihm staut sich der Inn vor dem Flusskraftwerk Ering-Frauenstein. Loy ist Wasserbauingenieur, arbeitet für die Verbund AG, Österreichs größtes Stromunternehmen, und entwickelt Lösungen, um deren Kraftwerke ökologisch verträglicher zu gestalten. 

„Hier“, sagt er und deutet vor sich, „haben wir einen Fluss gebaut“. Er meint das Umgehungsgewässer, das die Verbund AG hier umgesetzt hat – eine der natürlichsten Fischaufstiegshilfen, die es aktuell gibt. Innwasser schlängelt sich parallel zum Kraftwerk auf einer Länge von 2,6 Kilometern vor einer Au durch ein Kiesbett.

„Einmal im Frühjahr spielen wir künstliches Hochwasser“, erklärt Loy. Dann bringen Mitarbeitende feinen Kies an die Mündung des Begleitbaches und spülen durch. So können Fische nicht nur wandern, sondern auch ihre Eier ablegen, und Jungfische können aufwachsen. Dass sie hier schon junge Huchen – eine heute vom Aussterben bedrohte Fischart – gesehen haben, zeigt Loy und seinem Team, dass ihre Lösung funktioniert. Sie ist aber nicht überall umsetzbar: weil es keine Flächen dafür gibt oder Betreiber diese nicht kaufen können oder wollen. 

Die gute Nachricht ist: die meisten großen Kraftwerke sind schon mit Fischaufstiegshilfen ausgestattet. In den Jahren 2015 bis 2021 haben Betreiber 111 davon gebaut. Eine Rundmail zeigt, dass viele weitere bald nachgerüstet werden. Die schlechte Nachricht ist: das passiert immer noch viel zu langsam. Um das Ziel der EU-Wasserrahmenrichtlinie zu erreichen, müssen in den kommenden vier Jahren noch 370 Kraftwerke mit Aufstiegshilfen ausgestattet werden – vor allem ältere Anlagen an kleinen Strömen. Bei Staukraftwerken werden Betreiber wohl erst spät Wanderhilfen bauen. Denn ihre hohen Staumauern durchwanderbar zu machen, ist teuer.

Problem 2: Fische werden zerstückelt

Viele Fischarten wandern nicht nur flussaufwärts, sondern nach dem Laichen wieder flussabwärts. Dabei kommen sie direkt in die sogenannte Turbinenpassage, wo sie „mechanisch beeinträchtigt“ werden. So nennen es viele in der Branche, wenn die Schaufelblätter die Fische zerstückeln oder verletzen. Durch den Druckunterschied kann die Schwimmblase platzen. Viele sind so verwirrt und verletzt, dass sie flussabwärts verenden. „Je nach Fischart, Größe und Turbinenart können bis zu 100 Prozent der abwandernden Fische sterben“, erklärt der Experte Stefan Schmutz. Die Betreiber würden das Problem aber vernachlässigen. 

Fast 90 Prozent der heimischen Kraftwerke sind Kleinwasserkraftwerke. In ihnen sind meist sogenannte Francis- und Kaplanturbinen verbaut. Spätestens seit einem Forschungsprojekt aus dem Jahr 2019 weiß das verantwortliche Ministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft, dass diese Turbinen Fische schädigen. Eine Schweizer Studie zeigt, dass bis zu 70 Prozent der Fische beim Passieren sterben. Bei anderen Turbinenarten ist die Sterblichkeit viel geringer. Das Ministerium schreibt den Betreibern allerdings bis heute nicht vor, die weniger tödlichen Alternativen einzubauen. 

Dabei entwickeln viele, auch heimische, Unternehmen diese in großem Stil. Man „konzentriere sich intensiv auf die Entwicklung von fisch-freundlichen Lösungen, um das Überleben von Fischpopulationen zu sichern“, schreibt die Andritz Hydro, eine Tochter des Maschinen- und Anlagenbauers Andritz AG. Ihre Ingenieur*innen planen Turbinen, die an die örtliche Ökologie und die Anforderungen der Betreiber angepasst sind. Seit 2019 laufen etwa am Xayaburi-Staudamm am Mekong in Vietnam Andritz-Turbinen mit niedrigerer Drehzahl, dickeren Vorderkanten und weniger Laufradschaufeln. 90 Prozent der Fische überleben dort laut Andritz AG die Turbinenpassage. In Österreich habe man im vergangenen Jahrzehnt keine Anfrage für „fisch-freundliche“ Turbinen erhalten.

„Österreich ist bei dieser Thematik sehr weit hinten“ Stefan Schmutz, Wissenschafter

In Deutschland und der Schweiz verbreitet sich eine weitere Lösung, vor allem für kleine Kraftwerke: ein feiner Rechen vor der Turbine, der Fische zu einem Nebenabstieg, einem sogenannten Bypass, umleitet.

In deutschen und Schweizer Gewässern leben mehr große Fische wie Aale und Lachse, die lange wandern und eher durch Turbinen geschädigt werden können. Deshalb sei das Wissen dort vorhanden, heißt es aus dem Landwirtschaftsministerium, und weiter: „Hinsichtlich eines gut funktionierenden Fischschutzes und Fischabstiegs sind in Österreich noch wesentliche Fragen offen, sodass bisher noch kein Stand der Technik definiert ist und noch keine gesetzliche Regelung erfolgt ist“. Übersetzt heißt das: man weiß hierzulande noch nicht genug, um Betreibern solche Lösungen vorzuschreiben.  

Bei großen Flusskraftwerken würden sich solche Fischrechen nicht rechnen, weil man sie oft reinigen müsse, geben heimische Betreiber zu bedenken. Bei Neubauten werden Abstiegsmöglichkeiten oft mitgeplant, das weiß das Ministerium aus der Bewilligungspraxis der Bundesländer. Wie viele Fischrechen es hierzulande gibt, weiß es nicht. „Österreich ist bei dieser Thematik sehr weit hinten“, fasst der Experte Stefan Schmutz nüchtern zusammen. 

Problem 3: Fische liegen auf dem Trockenen

Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke verursachen für Fische Extremereignisse. Wird Wasser durch ihre Turbinen geleitet, was mehrmals täglich passieren kann, steigt und sinkt der Wasserspiegel rasant. „Man kann sich den Schwall, der so erzeugt wird, wie eine Hochwasserwelle vorstellen“, erklärt Stefan Schmutz. Sie spült unter anderem Fischlaich mit. Jungfische halten sich bei hohem Pegelstand oft am Uferbereich auf. Geht dann das Wasser zurück, stranden und ersticken sie in trocken gefallenen Wasserlöchern oder auf Kiesbänken. Rund 200 Millionen Jungfische, so schätzt die Naturschutzorganisation WWF, verenden so jährlich, am Inn vor allem Bachforellen, Koppen und Äschen. 

Im Tiroler Silz zeigt Klaus Feistmantl, Projektleiters des „Erweiterungsprojekt Kühtai“, nur wenige Kilometer Luftlinie vom Inn entfernt, wie die TIWAG das Problem lindern will: mit einem sogenannten Schwallausgleichsbecken, dem ersten seiner Art in Österreich und dem größten weltweit. Er steht auf einer Brücke, hinter ihm befindet sich ein Gebäude des Kraftwerkes Silz. Unter der Brücke fließt milchig-blaues Wasser durch einen Kanal.

Es hat einen langen Weg hinter sich. Von den Bächen der Stubaier Alpen auf über 2.000 Metern kam es in einen Zwischenspeicher, wurde weiter in einen Jahresspeicher hochgepumpt und floss durch einen Felsstollen zu den Turbinen des Kraftwerks Sellrain-Silz. Durch den Kanal gelangt es weiter in den Inn. Kommendes Jahr soll es hinter den Turbinen in das Schotterbecken fließen, auf das Feistmantl nun deutet.

„Ist das Projekt fertig, können wir hier 300.000 Kubikmeter Wasser zwischenspeichern“, erklärt er. Zwölf Hektar groß wird das Becken dann sein. Ist das Schwallausgleichsbecken in Silz fertig, soll der Wasserstand des Inn dort, wo das Wasser einfließt, nur mehr um 20 Zentimeter schwanken, wenn ein Wasserschwall durch die Turbinen schießt. Aktuell schwankt er noch um rund 48 Zentimeter. Ein sanfterer Schwall bedeutet weniger tote Fische. 

Ein Teil des Schwallausgleichsbecken in Silz. Bild: Laura Anninger

Auch das 2022 eröffnete „Gemeinschaftskraftwerk Inn“ im Tiroler Prutz fängt den Wasserschwall, der flussaufwärts im Schweizer Flussabschnitt entsteht in einem Becken und leitet ihn in einem Tunnel bis zum nächsten Staubecken weiter. Stefan Schmutz von der BOKU erforscht hier, ob diese neue Art, Kraftwerke zu bauen, dem Leben im Fluss hilft. „Wir erhoffen uns, dass sich der ökologische Zustand des Flusses deutlich verbessert“, sagt der Limnologe. 

Das Problem ist auf Bundesebene angekommen. Zu spät, meinen Naturschützer*innen und Ökolog*innen, aber immerhin. Das Landwirtschaftsministerium schreibt Kraftwerksbetreibern vor, in den kommenden beiden Jahren Machbarkeitsstudien vorzulegen. Damit müssen sie zeigen, wie sie die Schwall-Problematik mildern wollen. 

Doch nicht nur die großen Kraftwerke wie jenes in Silz setzen Fische aufs Trockene. Auch Betreiber von Kleinwasserkraftwerken müssen sich der Problematik annehmen. Ein Großteil der heimischen Kleinwasserkraftwerke sind sogenannte Ausleitungskraftwerke. Sie leiten Wasser aus einem Bach, stauen es vor einer Wehr und leiten es über ein Gefälle zum sogenannten Maschinenhaus. Das reißt auch Fische mit. Laich, den diese abgelegt haben, kann im Oberlauf verenden.

Rund 800 Kraftwerken schreibt das Ministerium bereits vor, wie viel Wasser im Oberlauf bleiben muss, bis 2027 sollen 900 weitere dazukommen. Für die Betreiber kann das je nach Größe Investitionen im fünfstelligen Bereich bedeuten. Außerdem können Kraftwerke einer Schätzung zufolge um bis zu ein Drittel weniger Strom produzieren. Ein Grund, warum ein Betreiber mitteilt, dass man erwägt, kleinere Kraftwerke abzustellen.  

Maßnahmen wurden vorgeschrieben, aber nicht umgesetzt

Ziehen wir eine Zwischenbilanz: Österreichs Wasserkraft schadet dem Leben in unseren Flüssen. Es gibt Lösungen, die dazu beitragen, dass sie dies in Zukunft weniger tut. Jedoch, so Stefan Schmutz, stelle die Wasserkraft-Lobby ökologische Umbauten immer noch infrage, wehre sich teils vehement. „Viele Maßnahmen wurden vorgeschrieben, werden aber nicht umgesetzt“, sagt er. Wieso?

Ein Grund ist wohl das Geld. Fischaufstiegshilfen etwa kosten Betreiber je nach Lage und Größe zwischen 120.000 und neun Millionen Euro. In das Schwallausgleichsbecken in Sellrain-Silz investierte die TIWAG rund 14 Millionen – und da ist nicht eingerechnet, was der Kauf der Flächen kostete. Das Verbund-Umgehungsgewässer beim Kraftwerk Ering-Frauenstein hat mitsamt den Restrukturierungen der umliegenden Landschaft rund 9,5 Millionen Euro gekostet. Betreiber von Kleinwasserkraftwerken haben von 2009 bis 2021 rund 180 Millionen Euro in ökologische Maßnahmen investiert. 

Die Investitionen müsse man aber im Verhältnis sehen, merkt Stefan Schmutz an. „Sie machen für Kraftwerksbetreiber oft nur einige wenige Prozent der Errichtungskosten aus“, sagt der Limnologe, der auch Lösungen von Betreibern erforscht. Von Unternehmen, die enorme Übergewinne eingefahren hätten, seien sie erwartbar. 

Goldgräberstimmung unter den Kraftwerksbetreibern

Bis die bestehenden Kraftwerke fischfreundlich sind, ist also noch viel Arbeit angesagt. Dennoch geht der massive Ausbau weiter. Zur Erinnerung: Fünf Terawattstunden Energie mehr pro Jahr als heute soll die Wasserkraft ab 2030 liefern. 

„Dieses Ziel ist mit wirtschaftlich und ökologisch sinnvollen Ausbauten an und von Speicher- und Laufkraftwerken erreichbar“, sagt Günther Pauritsch. Er leitet den Bereich Energiewirtschaft und Infrastruktur der österreichischen Energieagentur (EEA). Indem man weitere Turbinen in Laufkraftwerke einbaut oder bestehende durch optimierte Turbinen ersetzt, lässt sich ein Teil der zusätzlichen Energie gewinnen. Allzu viel sollte man sich davon aber nicht erwarten, sagt Günther Pauritsch: „Das Potenzial von Revitalisierungen ist überschaubar.“

Also wird gebaggert und betoniert. „Es herrscht eine Goldgräberstimmung unter den Kraftwerksbetreibern“, sagt der Ökologe Leopold Füreder von der Universität Innsbruck. Aufgrund der Klima- und Energiekrise wurden viele Pläne, die in den Schubladen lagen, wieder eingereicht. 21 Wasserkraftwerke sind mit Stand Oktober 2023 im Bau. 35 sind in Planung, dazu läuft eine Vielzahl an Projekten, die die Effizienz von Kraftwerken steigern sollen. 

Eine Katastrophe für die Biodiversität

Ökolog*innen wie Stefan Schmutz und Leopold Füreder sehen den weiteren Ausbau der Wasserkraft kritisch. Denn wir alle brauchen biodiverse Flüsse: Sie liefern Nahrung, reinigen sich selbst, in ihnen breiten sich Krankheiten schlechter aus, wir können uns in ihnen während der immer heißeren Sommer abkühlen. Sie beherbergen auch einen wichtigen Schatz: die fein verwobenen und dichten Lebensgemeinschaften von Tieren, Pflanzen, Pilzen und Bakterien.

„Setzen wir den Vollausbau um, erzeugen wir ein Artensterben von massivem Ausmaß“, warnt darum der Limnologe Stefan Schmutz. Man müsse unbedingt die 15 Prozent unserer Flüsse, die noch frei fließen, dies auch tun lassen. Denn dorthin haben sich Fischbestände und seltene Arten zurückgezogen. Jedes neue Kraftwerk auf einer dieser freien Strecken sei von der Warte der Biodiversität aus betrachtet eine Katastrophe.

Eine, die sich etwa an einer 50 Kilometer langen Strecke der Mur ereignet. Dort baut der Energieerzeuger Energie Steiermark die Kleinwasserkraftwerke St. Michael und Zeltweg. Dort lebt auch Österreichs letzte sich selbsterhaltende Population bereits erwähnten Huchen, oder auch Donaulachs – ein Weitstreckenwanderer und laut dem Limnologen Stefan Schmutz „eigentlich ein Allerweltsfisch“. Weil er immer noch befischt wird und kaum mehr wandern kann, gilt er hierzulande als stark gefährdet. Die neuen Kleinwasserkraftwerke werden fatal für die Population an Huchen, die dort noch laicht, schlüpft, aufwächst und schwimmt. 

„Die Flüsse haben ihren Teil geleistet“ Stefan Schmutz, Wissenschafter

Österreich rühmt sich gerne als „Wasserkraft-Land“. Betreiber vermarkten die Wasserkraft in Werbespots als die erneuerbare Energie, die sie auch ist. Aber anders als die Kraft der Sonne sei die des Wassers nicht unendlich verfügbar, betont Stefan Schmutz. Denn Flüsse sind auch Lebensräume. Wenn man Wasserkraft ökologisch verträglich einsetze, könne man viele negative Auswirkungen minimieren, so der Limnologe. Dafür dürfe es aber keine Ausbauten an den frei fließenden Strecken geben.

Der Ökologe Leopold Füreder von der Universität Innsbruck sagt, Energiesicherheit schaffe man einerseits durch Einsparung von Energie, etwa indem man Gebäude dämme, andererseits durch den massiven Ausbau von Photovoltaik und Windkraft. Energie solle man dort erzeugen, wo sie möglichst wenig Umweltschäden anrichte. „Die Flüsse“, stimmt sein Kollege Stefan Schmutz zu, „haben ihren Teil geleistet.“

Autor*in: Laura Anninger

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