Warum der Aufstieg von CO2-Speicherung eine schlechte Nachricht ist
Die Schweizer Firma Climeworks in Island, in der Nähe von Reykjavik. Bild: ANTHONY ANEX / Keystone / picturedesk.com
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Magdalena Klemun
Kolumnistin

Warum der Aufstieg von CO2-Speicherung eine schlechte Nachricht ist

Einst eine umstrittene Technologie, sprießen nun Testanlagen und Start-ups für CO2-Speicherung aus dem Boden. Haben wir das CO2-Problem gelöst?

Lange ließ sich die Debatte rund um CCS, kurz für "Carbon Capture and Storage" oder zu Deutsch CO2-Abscheidung und -Speicherung, mit zwei Worten  zusammenfassen: entweder, oder. Entweder, so argumentierten Gegner, investiert die Welt ernsthaft in CO2-arme Technologien und verabschiedet sich von fossilen Brennstoffen. Oder sie entwickelt Technologien, um Öl und Gas weiterhin nützen zu können, allerdings weitgehend ohne Emissionen. Beides könne man nicht mit gutem Gewissen unterstützen.

Mittlerweile hat sich die Diskussion vom "entweder, oder" zum "auch" gewandelt. ___STEADY_PAYWALL___ Das sind schlechte Nachrichten, weil dahinter der mangelnde Fortschritt bei Emissionsreduktionen steckt – und die Einsicht, dass der Kampf gegen den fortschreitenden Klimawandel alle verfügbaren Technologien benötigen wird. In Modellrechnungen, in denen das 1,5- oder 2-Grad-Ziel mittels massiven Ausbaus von CO2-armen Technologien erreicht wird, findet sich ohnehin auch CO2-Abscheidung und -Speicherung im Portfolio. Die Frage ist also weniger, ob, sondern wie viel CCS gebraucht wird – momentan sieht es nach mehr aus.

Was bedeutet eigentlich CCS?

Doch von vorne: Was genau bedeutet eigentlich CCS? Und wie marktreif ist die Technologie?

CCS ist ein Sammelbegriff für eine ganze Reihe natürlicher und technischer Verfahren zur Abscheidung, industriellem Einsatz, und Speicherung von CO2. Dazu zählt die Aufforstung, also das Ausweiten von Waldflächen zum CO2-Abbau, genauso wie die CO2-Abscheidung in Kraftwerken und direkt aus der Luft. Beim Einsatz von CCS in Kohlekraftwerken werden etwa CO2-reiche Abgase statt direkt in die Atmosphäre zunächst in eine Art Filterbad geleitet, wo Chemikalien CO2 absorbieren. Bei der sogenannten direkten CO2-Abscheidung hingegen wird CO2 nicht aus Abgasen, sondern direkt aus der Luft gewonnen (DAC, direct air capture), sodass die Anlagen im Prinzip überall platziert werden können. In beiden Varianten wird das abgeschiedene CO2 verflüssigt und mittels Pipeline zur industriellen Verwendung (CCU, carbon capture and utilization) oder direkt zur Speicherung in tiefen Gesteinsschichten oder unter dem Meeresboden transportiert.

Klingt aufwendig? Ist es auch. Im kanadischen Kraftwerk Boundary Dam, dem weltweit ersten Kohlekraftwerk mit CCS, gab es Startschwierigkeiten. So lag zum Beispiel die CO2-Abbau-Rate so weit unter den Erwartungen, dass Strafzahlungen an Geschäftspartner fällig waren.  

Trotzdem: Boundary Dam hat die CCS-Industrie einen Schritt weiter von der Theorie in die Praxis gerückt. Zwei britische Projekte waren kurz zuvor, im Jahr 2015, aufgrund von Finanzierungsschwierigkeiten und politischer Unsicherheit kläglich gescheitert. Die europäische CCS-Industrie erholt sich danach erst langsam.

Der Umgang mit CCS ist widersprüchlich

Heute heißt europäisch nicht notwendigerweise "EU" — so zählen etwa Climeworks, ein DAC-Spinoff-Unternehmen der Schweizer Universität ETH Zürich, sowie ein isländisches Projekt mit neuem geologischem Speicherverfahren, zu den erfolgreichsten Beispielen außerhalb Nordamerikas.

Doch die Anlagen sind großteils kleine Prototypen. Und sie brauchen viel Energie, um das CO2 aus den Absorberchemikalien wieder herauszulösen, damit ein neuer Abscheidungszyklus beginnen kann.

Trotzdem sind die laufenden Projekte dieser und anderer Pioniere essentiell, um praktische Erfahrung und Daten zu sammeln, etwa über Anlagenkosten. Neben 35 CCUS-Anlagen sind weltweit derzeit 18 kleine DAC-Anlagen in Betrieb, 11 weitere sind in Planung. Werden sie alle gebaut, sollte im Jahr 2030 rund 700 mal so viel CO2 abgebaut werden wie heute.

Das klingt beeindruckend, ist allerdings laut Schätzungen der Internationalen Energieagentur immer nur noch nur ein Zehntel so viel, wie nötig wäre, um Klimaziele zu erreichen.

Und mit der Abscheidung allein ist es nicht getan. Geologische Speicherung ist das Endziel, das bisher aber nur an wenigen Orten realisiert wird. Rein theoretisch ist das globale Speicherpotenzial viel größer als die zu speichernden CO2-Mengen. In der Praxis drohen lange Genehmigungsverfahren und Bürger*innenproteste. Jüngste Schätzungen rechnen mit einer Vorlaufzeit von 10 Jahren. Neben den Speichern braucht es eine entsprechende Transport-Infrastruktur, Stichwort Pipelines. Alle Komponenten müssen geplant, finanziert, getestet, und auf mögliche Lecks überwacht werden.

Trotz diese langen “To-do Liste” ist der politische Umgang mit CCS nach wie vor widersprüchlich. In Österreich und Deutschland ist die geologische Speicherung von CO2 sogar verboten, wirtschaftliche Anreize fehlen. Dennoch reiste etwa der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck im Jänner 2023 nach Norwegen, um sich über neue Abscheidungsverfahren zu informieren.

Die derzeitige Evaluierung, ob Bedarf zur Änderung des österreichischen Bundesgesetzes über das Verbot der geologischen Speicherung von CO2 besteht, ist zumindest ein erster Schritt. Denn wenn CCS beitragen soll, müssten erste Investitionen nicht heute, sondern gestern erfolgen. Für Entweder-oder bleibt keine Zeit.

Autor*in: Magdalena Klemun

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