Die Teilzeitfalle
Der Moment als Arbeitsminister Martin Kocher Teilzeitjobs als Wirtschafts- und Tourismusminister annimmt. © ROLAND SCHLAGER / APA / picturedesk.com
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Saskia Hödl
Kolumnistin

Die Teilzeitfalle

Nach Wirtschaft- und Arbeitsminister Martin Kochers Ansage Sozialleistung bei Teilzeitstellen reduzieren zu wollen, reden wir über Teilzeitarbeit. Worüber wir eigentlich reden sollten.

Nun wird im ganzen Land seit Wochen über Teilzeitarbeit diskutiert. Nicht aus dem erfreulichen Grund, dass Großbritannien im weltweit größten Versuch mit 61 Unternehmen zu dem Ergebnis gekommen ist, dass eine Vier-Tage-Woche bei gleichem Lohn nicht nur motiviertere Arbeitnehmer*innen, sondern auch eine höhere Arbeitsleistung bedeutet. Nein, es wäre nicht Österreich, stände man raschen Verbesserungen nicht grundsätzlich skeptisch gegenüber.

Angefangen hat es mit dem Vorschlag von Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher, Teilzeitarbeit mit einer Kürzung von Sozialleistungen zu sanktionieren. Konkret hat er zuvor im Interview mit dem Kurier gesagt: “In Österreich wird wenig unterschieden bei Sozial- und Familienleistungen, ob jemand 20 oder 38 Stunden arbeitet. Wenn Menschen freiwillig weniger arbeiten, dann gibt es weniger Grund, Sozialleistungen zu zahlen.”

Kocher ist inzwischen zurückgerudert: Menschen mit Betreuungspflichten (Mütter) seien natürlich tabu, hieß es später von Martin Kocher und Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP). Die große Gefahr sei aber, dass die Leute, also vor allem Frauen, im Alter nichts übrigbleibe, wenn sie immer nur Teilzeit arbeiten. Davor müsse man warnen. Es ginge auch gar nicht um Kürzungen, sondern darum, bei künftigen Reformen der Sozialleistungen den Aspekt der Teilzeitarbeit zu berücksichtigen.

Viele offene Fragen

Aber wenn er Eltern gar nicht gemeint hat, wen meint er dann? Wer sind diese Leute ohne Betreuungspflichten, die “freiwillig” Teilzeit arbeiten und gleichzeitig Familien- und Sozialleistungen beziehen? Meint er Leute, die aus physischen und psychischen Gründen Teilzeit arbeiten? Um wie viele Personen geht es bei diesem Vorschlag grob und um welche Leistungen? Kurz: über welches konkrete Einsparpotential reden wir hier? Ich würde Ihnen das alles an dieser Stelle sehr gern erläutern können, aber leider hat die Pressestelle des Ministeriums meine Fragen bis Redaktionsschluss nicht beantwortet.

Wir könnten nun also weiter darüber debattieren, dass Teilzeit in den wenigsten Fällen eine freiwillige Entscheidung ist und selbst wenn, es das gute Recht eines jeden Menschen ist, über seine Lebenszeit zu verfügen. Oder darüber, dass in vielen Arbeitsbereichen pure Anwesenheit nicht automatisch zu mehr Produktivität führt. Oder darüber, dass die Produktivität in Österreich in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen ist, woran vor allem Unternehmer*innen verdient haben. Dass die Arbeitszeit dieser Entwicklung zuletzt 1975 angepasst wurde.

Und natürlich, dass Menschen im Alter nicht nur wegen ihrer Teilzeitarbeit wenig übrigbleiben wird, sondern auch, weil sie in der Covid-19-Pandemie Einkommen verloren haben. Oder, weil auf Inflation und Gasabhängigkeit hierzulande nur hasenfüßig reagiert wird. Während die Inflationsrate in anderen EU-Ländern bereits sinkt, ist sie hier im Januar weiter angestiegen. Der Wocheneinkauf frisst also ungebremst die Ersparnisse auf, während man hier über Sinn und Unsinn von Teilzeit redet.

Ein Drittel der Wirtschaftsleistung

Wir könnten abermals feststellen, dass Frauen nicht nur mehr Teilzeit arbeiten, sondern insgesamt mehr arbeiten als Männer. Kindererziehung, Haushalt - die unbezahlte Care-Arbeit erledigen immer noch vor allem Frauen. Wir könnten darüber reden, dass unbezahlte Arbeit etwa einem Drittel der Wirtschaftsleistung Österreichs entspricht. Dass die Erwerbstätigkeitsquote in Österreich gestiegen ist, auch wegen der Teilzeitarbeit. Dass sich Freiwilligkeit am Ende sowieso nicht messen lässt und dass Sozialleistungen sich an Bedürftigkeit orientieren sollten und nicht an Arbeitszeit.

Wir könnten auch darüber reden, dass der Fachkräftemangel hausgemacht ist, auch von einer ÖVP, die seit 1986 immer Teil der Regierung war. Dass geburtenschwache Jahrgänge immer auch eine Folge schlechter Familienpolitik sind. Übrigens wird Familienleistungen sanktionieren zu wollen, das Recht auf Teilzeit für Eltern auszuhöhlen und sich vor dem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz und dem Ausbau der Kindertagesbetreuung zu drücken, ebenfalls nicht dazu führen, dass die Geburtenrate durch die Decke geht. Wir könnten auch darüber reden, dass höhere Löhne und gute Arbeitsbedingungen sich vielleicht besser eignen, um Arbeitnehmer*innen zu motivieren, als Drohungen.

Das alles müsste ein Verhaltensökonom, ein Wirtschafts- und Arbeitsminister aber eigentlich wissen. Vielleicht reden wir also stattdessen darüber, ob sich Kocher überhaupt als Arbeitsminister eignet. Im Mai vergangenen Jahres, als der Fachkräftemangel offenbar dann auch im Nationalrat angekommen war, hat er neben der Arbeit auch noch Wirtschaft und Tourismus (inklusive Staatssekretärin) dazu bekommen. Offensichtlich ist jeder Arbeitsbereich für sich nur ein kleiner Teilzeitjob, sonst ließe sich das ja niemals vereinbaren. Vielleicht ist der in diesem Zusammenhang viel bemühte Euphemismus “Superminister” aber auch das einzige, das hier noch positiv klingt.

Wohin soll es gehen?

Denn man muss keine linke Aktivistin sein, um zu verstehen, dass das Wirtschafts- und Arbeitsministerium nicht in eine Hand gehört. Das ist, als würde man das Gesundheitsministerium der Tabakindustrie überlassen. Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen haben naturgemäß grundverschiedene Interessen. Es ist abzusehen, dass bei einer Zusammenlegung eine Seite unter die Räder kommt. Für gewöhnlich jene, die weniger Lobby im Rücken hat. Wessen Wohlstand wollen wir hier also erhalten?

Was uns zu dem Versuch in Großbritannien zurückbringt. Denn hier geht es darum, Leuten bei weniger Arbeitszeit das gleiche zu bezahlen. Eine Maßnahme, die auch der drohenden Altersarmut von vor allem Frauen entgegenwirken könnte. Die Stoßrichtung des Ministers geht aber genau in die entgegengesetzte Richtung.

Ohnehin stellt sich die Frage, wieso es ein akzeptables Vorgehen zu sein scheint, dass ein amtierender Minister in einem Presseinterview einen Vorschlag hinausposaunt, der so wenig durchdacht war, dass er umgehend zurückrudern muss. Sollte es nicht eine Art Verhaltenskodex geben, der verlangt, dass bevor politische Maßnahmen der Öffentlichkeit unterbreitet werden, diese zumindest grundlegend auf Machbarkeit, Haltbarkeit im juristischen Sinn und einer einfachen Kosten-Nutzen-Rechnung geprüft werden? Populismus ist im Wahlkampf schon mühsam, aber in diesem Amt und zu diesen Zeiten ist er mehr als unangebracht. Immerhin stellte Kocher einen Vorschlag in den Raum, der die Existenzgrundlage jener Menschen gefährden könnte, die mit ihren Steuergeldern auch das Gehalt für seine drei Teilzeitjobs finanzieren.

Autor*in: Saskia Hödl

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Elisabeth Oberndorfer
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