Der Lebensmittelhandel ist zu mächtig
Der fehlende Wettbewerb gilt als einer der Gründe, warum in Österreich Lebensmittel vergleichsweise teuer sind. Bild: GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com
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Markus Sulzbacher
Reporter

Der Lebensmittelhandel ist zu mächtig

Die Inflation in Österreich ist nach wie vor hoch. Das spürt man besonders an den Preisen für Lebensmittel. Muss das sein? 

Es ist ein Thema, über das der Lebensmittelhandel nicht gerne redet. Dementsprechend knapp fielen die Antworten der großen Ketten auf die Frage aus, ob aktuell, in Zeiten der Teuerung, mehr in ihren Läden gestohlen wird. „Aus Sicherheitsgründen gibt es keine Auskunft zu Ladendiebstählen“, heißt es seitens Spar auf Anfrage von tag eins. Bei Rewe (dazu gehören die Ketten Billa, Penny, Adeg, Bipa) kann eine Zunahme von Diebstählen „nicht bestätigt“ werden, ebenso bei Hofer. Lediglich Lidl bestätigt „einen Anstieg der Diebstähle bzw. Diebstahl-Versuche“.

Solche Anfragen sind für den Lebensmittelhandel wohl eher ungewöhnlich. Neu ist auch, dass er seine Preisgestaltung überhaupt erklären muss. Etwa, warum in Österreich identische Marken-Lebensmittel teurer sind als im deutschen Nachbarland. Einzelne Produkte, wie Philadelphia-Frischkäse, sind in Österreich sogar schon mal um über 150 Prozent teurer. Durchschnittlich sind es 15 Prozent, wie die Arbeiterkammer ausgerechnet hat. 

Manner-Schnitten, Almdudler und Gösser-Radler: Gibt's in Deutschland günstiger

Für Aufregung sorgen meist in Österreich produzierte Lebensmittel, die in Deutschland günstiger zu haben sind. ___STEADY_PAYWALL___ Der „Natur Radler“ von Gösser kostet in einem Rewe-Supermarkt in Berlin schon mal weniger als in einer ebenfalls zu Rewe gehörenden Billa-Filiale in Leoben, die nur einen halben Kilometer von der Brauerei entfernt ist. In Berlin kostete die Dose 99 Cent, im steirischen Leoben 1,49 Euro. Aber auch die beliebten Manner-Schnitten und Almdudler sind in Deutschland wesentlich billiger zu haben.

Für Rewe ist der „Vergleich der Nettoverkaufspreise von Einzelprodukten wenig aussagekräftig, da es immer Produkte gibt, die im Ausland billiger oder teurer sind“, wie es in einer Stellungnahme heißt. Zum Preisunterschied trügen viele Faktoren bei, so ist der „deutsche Markt zehnmal so groß wie Österreich, was zu unterschiedlichen Einkaufskonditionen in einzelnen Warengruppen führt“. Auch sei die Umsatzsteuer in Deutschland niedriger, ebenso die Lohnkosten, führt Rewe aus.

Ein Werbeplakat zu den aktuellen Preisen in einem Wiener Billa. Bild: Markus Sulzbacher

Des Weiteren handle es sich bei Billa in Österreich und Rewe in Deutschland um unterschiedliche Unternehmen mit getrenntem Einkauf. Der Lieferant (in diesem Fall Gösser) verhandle mit Rewe in Österreich und Deutschland daher die Preise separat.

Es sind Argumente, die auch vom Handelsverband, der Lobbygruppe des Handels, immer wieder ins Treffen geführt werden. Der Verband betont auch, dass es in Europa zehn Länder gibt, „in denen das Preisniveau teils deutlich über unserem liegt.“

Die Marktmacht des Lebensmittelhandels

Die Handelskette Spar betont auf X, vormals Twitter, dass internationale Markenartikel-Hersteller für jedes Land eigene Preise haben. „Philadelphia wird österreichischen Handelsketten teurer verkauft als den deutschen.“ Das Unternehmen verhandle hart, aber „dennoch sind wir dabei von den Preisen abhängig, zu denen Produkte von den Herstellern angeboten werden.“

Neu ist, dass solche Themen auch von den großen Medien aufgegriffen werden. Früher waren Artikel oder TV-Beiträge über die Preisgestaltung im österreichischen Handel seltener zu finden.

Ein Grund könnte die ungeheure Marktmacht des Lebensmittelhandels sein, der zu den größten Inserenten des Landes zählt. Wie stark der Einfluss ist, lässt ein Artikel im „Falter“ erahnen. Darin wird berichtet, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft im Juli dieses Jahres den ehemaligen Österreich-Ressortleiter der „Kronen Zeitung“ zu sich in die Wiener Dampfschiffgasse lud.

Mehr als 20 Jahre hat Thomas Schrems bei der „Krone“ gearbeitet, bevor er 2014 aus freien Stücken ausschied. Weil er, so erklärte er es in einem Interview im „Falter“ vor zwei Jahren, das „korrupte System einfach nicht mehr ertragen“ habe. In einer Einvernahme hat er dieses „korrupte System“ nun gegenüber der WKStA aus seiner Sicht aufgezeichnet, wie der „Falter“ schreibt.

Er erzählte der Staatsanwaltschaft auch, wie Artikel über zu hohe Pestizidwerte in Supermarktketten aus den Druckfahnen verschwunden seien, „mit deutlichem Hinweis auf das Inseratenvolumen und die diesbezüglichen kommerziellen Interessen“. Ein Hinweis, mit welchen Methoden in der „Kronen Zeitung“ brenzlige Themen künstlich am Boden gehalten worden sein sollen. Die „Krone“ dementiert dieses Vorgehen jedoch und betont, dass Schrems seit einigen Jahren nicht mehr für die Zeitung tätig ist.

Die Regierung handelt zögerlich

Die Teuerung bei Lebensmitteln hat die schwarz-grüne Regierung auf den Plan gerufen. Mit großem Tamtam kündigte Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) nach einem Lebensmittelgipfel Anfang Mai eine Preisdatenbank an, um Konsument*innen beim Einkauf zu mehr Durchblick zu verhelfen. Im September wurde das Vorhaben wieder abgeblasen, da es bereits privat auf die Beine gestellte Vergleichsportale gibt, die genau das bereits tun, etwa heisse-preise.io.   

Am 20. September demonstrierten etwa 20.000 Menschen in Wien gegen die Teuerung. Bild: Markus Sulzbacher

Seit Juli gibt es einen Bericht zur Preistransparenz im Lebensmittelhandel. „Mit dem Lebensmittel-Transparenzbericht ermöglichen wir es Konsumentinnen und Konsumenten, anhand von 22 Produkten zu sehen, zu welchen Einkaufspreisen der Lebensmittelhandel einkauft und ob sinkende Einkaufspreise auch tatsächlich bei ihnen ankommen“, erklärte Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) dazu. Monatlich wird veröffentlicht, um wie viel Geld der Handel Butter, Käse, Fleisch, Geflügel, Zucker, Mehl und verschiedene Obstsorten kauft.

Was Konsument*innen davon haben, ist allerdings fraglich. Es bringt wenig zu wissen, dass die Einkaufspreise der Händler im Schnitt zuletzt für ein Kilo Butter (in 250-Gramm-Packungen) bei 6,19 Euro lagen.

Fehlender Wettbewerb

Darüber hinaus ist die Wettbewerbsbehörde (BWB) im Rahmen ihrer Branchenuntersuchung mit der Lebensmittelbranche befasst. Schon seit über einem Jahr. Man will den Markt genau analysieren: Gibt es ausreichend Wettbewerb, wie spielen Unternehmen und die Marktmachtmechanismen zusammen? Mit 2.200 befragten Unternehmen ist es die größte Untersuchung, die die Behörde je durchgeführt hat, schrieb die BWB vor Kurzem in einer Aussendung. Mit einem Abschlussbericht sei noch im Oktober 2023 zu rechnen.

Der Handelsverband heiße die Überprüfung der Branche durch die BWB gut und hoffe, „dass mit Vorliegen des finalen Berichts im Oktober Klarheit besteht, wer übergebührlich von der Teuerung profitiert hat und wer nicht“, sagt der Geschäftsführer Rainer Will. Bei einer ähnlichen Überprüfung der britischen Behörde sei herausgekommen, dass die hohen Preise bei Lebensmitteln nicht durch die britischen Handelsunternehmen verursacht wurden.

Tatsächlich gilt der fehlende Wettbewerb in Österreich als einer der Gründe, warum Lebensmittel vergleichsweise teuer sind. Spar, Rewe, Hofer und Lidl dominieren mit zusammen über 90 Prozent Marktanteil.

Preisvergleich: Ein Tropfen auf dem heißen Stein

Ein Indiz für fehlenden Wettbewerb liefern die Preise der günstigen Eigenmarken der Händler. Meist sind die Preise für die Artikel gleich. Die S-Budget-Schokolade bei Spar kostet genauso viel die Clever-Schokolade bei Billa.

Wie sich Wettbewerb auf Preise auswirken kann, zeigt die Mobilfunkbranche. In Österreich gibt es aktuell über 30 Mobilfunkmarken, die um Kund*innen rittern. Besonders Discounter heizen den Wettbewerb seit Jahren an. Wer sich darum kümmert, bekommt vergleichsweise günstige Handytarife. 

Die großen Anbieter haben in den vergangenen Monaten ihre Tarife nicht erhöht, da sie Sorge hatten, zahlreiche Kund*innen würden zu Discountern wechseln. Tatsächlich kann man sich mit dem Wechsel des Anbieters einiges ersparen. 

Zwar kann mit dem Vergleichen von Preisen – oder mit Rabattklebern – beim Einkauf gespart werden, aber das sind nur Tropfen auf den heißen Stein. Es braucht wohl mehr Bewusstsein und Druck von außen, damit Preise sinken. Zumindest ist das eine Hoffnung. 

Autor*in: Markus Sulzbacher

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Saskia Hödl
Kolumnistin

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Die Inflation beutelt in Österreich die Bürger*innen durch. Nun steigen auch noch die Richtwertmieten gehörig, denn die Mietpreisbremse ist vom Tisch. Wieso gehen hier nicht längst alle auf die Straße?