Das Sicherheitsverständnis der ÖVP ist veraltet
Wer in letzter Zeit auf einer Demo in Wien war, hat sie vielleicht gesehen: eine Polizeidrohne. Bild: Markus Sulzbacher
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Markus Sulzbacher
Reporter

Das Sicherheitsverständnis der ÖVP ist veraltet

Das Innenministerium baut die Drohnenüberwachung aus. Mit Hilfe von IMSI-Catchern, die von Datenschützer*innen kritisiert werden. Außerdem weiterhin ganz oben auf der Wunschliste der österreichischen Sicherheitsbehörden: Der Bundestrojaner.


Wer in letzter Zeit auf einer Demonstration in Wien war, hat sie vermutlich bemerkt: Die Polizei setzt Drohnen ein, um Teilnehmer*innen vom Himmel aus zu beobachten. Aktuell baut das Innenministerium die Drohnenüberwachung aus. Dafür legte es sich ein „IMSI-Catcher-System zur Verwendung mit Drohnen“ zu. Die Kosten dafür belaufen sich auf knapp 100.000 Euro, das System wurde beim deutschen Unternehmen Centum-Amm gekauft. 


Mit dieser Anschaffung wird eine neue Ära der Überwachung eingeläutet. Die Kombination aus Drohnen und IMSI-Catcher ermöglicht es, Personen unbemerkt zu überwachen oder Teilnehmer*innen von Versammlungen zu identifizieren. 

Standardausrüstung von Polizei und Geheimdiensten  

IMSI-Catcher sind weltweit Standardausrüstung für Sicherheitsbehörden und Geheimdienste, da sie so schnell und ohne Unterstützung von Mobilfunkern aktiv sein können. Die Geräte gaukeln den Handys vor, sie seien ein Handymast, mit dem sie sich verbinden können. Passiert das, schneiden IMSI-Catcher allerhand Daten mit, während sie die Signale an den echten Funkmast weiterleiten. Angefangen bei der International Mobile Subscriber Identity (IMSI), mit der sich ein Gerät dem Besitzer oder der Besitzerin zuordnen lässt. 

Mit Hilfe von IMSI-Catcher können Handys und somit auch ihre Besitzer*innen geortet und Bewegungsprofile erstellt werden. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, Handys abzuhören, Nummern herauszufinden, SMS abzufangen, gefälschte Nachrichten zu verschicken oder die Verbindung zum Netzbetreiber zu unterbrechen.

Das Innenministerium betont, dass die IMSI-Catcher nur von der „Sondereinheit für Observation“ eingesetzt werden.
___STEADY_PAYWALL___ Sie dienen der Standortbestimmung von Personen, beispielsweise bei der Suche nach Terrorverdächtigen, Entführungsopfern, Suizidankündigungen oder vermissten Personen. Dabei unterliegen die Einsätze strengen gesetzlichen und internen Regelungen und werden im Einzelfall geprüft.

Im Jahr 2022 wurden IMSI-Catcher in Österreich mindestens 117 Mal eingesetzt, für 2023 liegen noch keine Zahlen vor. Neben dem Innenministerium setzt auch der Zoll IMSI-Catcher ein, allerdings ausschließlich zur Ausforschung von Mobiltelefonen. Die Polizei verwendet Drohnen bereits seit 2019.  

Suche nach Lawinenopfer in Wien?  

In der Vergangenheit waren IMSI-Catcher ein Phantom der Sicherheitsbehörden. Als 2008 bekannt wurde, dass sowohl das Innen- als auch das Verteidigungsministerium solche Geräte einsetzen, sorgte das für große mediale Aufregung. Damit wurde ein neues Kapitel in der Überwachung aufgeschlagen.

Das Innenministerium rechtfertigte den Einsatz damals damit, dass verletzte Bergsteiger*innen und Lawinenopfer leichter geortet werden könnten. Datenschützer*innen wiesen jedoch darauf hin, dass die staatlichen IMSI-Catcher in Wien stationiert waren, wo es lediglich Dachlawinen gibt. 

Auch bei den Ermittlungen gegen Julian Hessenthaler, der mit seinem Ibiza-Video die ÖVP/FPÖ-Regierung 2019 zu Fall brachte, wurden IMSI-Catcher eingesetzt. Allerdings erfolgte der Einsatz auf Anfrage der österreichischen Behörden durch deutsche Behörden. Amnesty International und die Datenschützer*innen von Epicenter.works äußerten Bedenken über diese umfangreiche Strafverfolgung gegen Hessenthaler.

In Deutschland werden IMSI-Catcher eingesetzt, um Menschen bei Demonstrationen zu erfassen. 

Ständige Rufe nach dem Bundestrojaner  

Neben dem Ausbau der Drohnenüberwachung steht bei den österreichischen Sicherheitsbehörden auch der Einsatz von Spionagesoftware, sogenannten Bundestrojanern, ganz oben auf der Wunschliste. Der Chef des Verfassungsschutzes, Omar Haijawi-Pirchner, fordert regelmäßig den Einsatz dieser Software. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) unterstützt diese Forderung.

Der Bundestrojaner soll es den Behörden ermöglichen, verschlüsselte Inhalte auszulesen. Sie argumentieren, dass sie durch die zunehmende Verwendung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung in Messengern wie Whatsapp „blind“ geworden sind. Allerdings hat der Verfassungsgerichtshof im Jahr 2019 den Einsatz von Bundestrojanern als „verfassungswidrig“ eingestuft und somit faktisch unmöglich gemacht. Zuvor plante die türkis-blaue Regierung den Kauf und Einsatz dieser Software. 

Die Forderungen nach einem Bundestrojaner haben im vergangenen Jahr Datenschützer*innen auf den Plan gerufen. Neben den potenziell hohen Kosten dieser Überwachung haben sie Bedenken hinsichtlich des Hacking-Aufwands, der betrieben werden muss, um die Software auf einem Zielgerät zu installieren. Durch einen Bundestrojaner würden Sicherheitslücken nicht nur in Kauf genommen, sondern bewusst ausgenutzt, kritisieren Datenschützer*innen.

Kritik an der ÖVP

In Österreich gab es bereits drei gescheiterte Versuche, einen Bundestrojaner einzuführen. Jedes Mal konnten rechtliche und technische Bedenken diese Überwachungspläne vereiteln. „Der Verfassungsgerichtshof hat dem Vorhaben zuletzt eine Absage erteilt“, wie die Datenschutz-NGO epicenter.works in einer Stellungnahme sagt. Sie betont, dass die „Forderung der ÖVP nach einem Bundestrojaner veraltet wirkt und zeigt, welchen Stellenwert Datenschutz und Menschenrechte in der Partei haben“.

Kein großer Skandal war, dass das Innenministerium ohne rechtliche Grundlage bereits Bundestrojaner eingesetzt hat. Die Ziele waren ein Islamist und Tierschützer*innen, wie das Nachrichtenmagazin Profil im Jahr 2011 aufdeckte. Die deutsche Herstellerfirma bestätigte den Verkauf des speziell für österreichische Bedürfnisse entwickelten Computerprogramms an den österreichischen Kunden.

Als der Skandal ans Licht kam, schwieg das Innenministerium dazu. Die mediale Aufregung hielt sich in Grenzen, obwohl er zeigte, dass Sicherheitsbehörden völlig ungeniert agieren. Das macht es Sicherheitsbehörden leicht, Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes zu ignorieren. Unterstützend wirkt, dass Datenschutz seit einigen Jahren kein Aufregerthema mehr ist. Hatten die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden monatelang die Medien beschäftigt, ist nun die ausufernde Drohnenüberwachung kaum ein Thema.

Autor*in: Markus Sulzbacher

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