Die Zeitungen bellen den falschen Baum an
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Saskia Hödl
Kolumnistin

Die Zeitungen bellen den falschen Baum an

Die Meinungs- und Medienvielfalt in Österreich ist in Gefahr. Dafür gibt es 99 Gründe, aber der ORF ist keiner davon.

Manchmal ergeben Dinge erst im Nachhinein Sinn. Etwa wenn mich jemand nach meinem Weg in den Journalismus fragt. Meistens sind es jüngere Leute, die sich eine Blaupause erhoffen. Und dann erzähle ich und während ich spreche, formt sich das Gesagte scheinbar zu einem klaren Weg mit einem Start und einem Ziel. Dann nicken sie anerkennend. Dabei hatte ich auf diesem Weg so oft keine Ahnung, immer Sorgen, immer zu wenig Geld und habe mich so oft unwohl gefühlt zwischen den ganzen weißen Journalist*innen aus Akademiker*innen-Haushalten.

Als gute Berufswahl erschien mir der Journalismus nie, dafür war ich zu spät oder vielleicht auch zu früh dran. Als ich mich entschied Journalistin zu werden, es war 2009, schrumpfte die Medienlandschaft gerade gehörig. Als Folge der Finanzkrise brachen die Anzeigen weg. Die Printmedien fremdelten gleichzeitig immer noch stark mit diesem Internet. Obwohl gefremdelt hat man in anderen Ländern, in Österreich fühlte sich das eher an, als hätte sich eine ganze Branche bewaffnet in der Druckerei verbarrikadiert und darauf gewartet, dass dieser Spuk endlich vorbei ist.

Während die älteren Journalist*innen also vor allem abwarteten, liefen viele Jungjournalist*innen  mit ausgefahrenen Ellenbogen durch die Gegend. Alle hatten Angst, keinen Job mehr zu bekommen. Die angestellten Journalist*innen predigten derweil vom Ende des Berufes, saßen dabei aber  schön kuschelig auf ihren Drehstühlen in der Redaktion mit – damals noch – 15 Monatsgehältern. Sie rieten, man solle sich doch bitte einen anderen Job suchen.___STEADY_PAYWALL___

Schuld sind immer die anderen

Schon damals war orf.at der Zeitungsfeind Nummer eins. Vor allem die Tageszeitungen hatten sich darauf verbissen. Und so wurde die Webseite des ORF auf Druck des Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) stets eingepfercht in ihren, auf den ersten Blick eher unsexy erscheinenden, blauen Käfig. Alles was damals hip und neu war durfte orf.at nicht – da gab es kein Blinken, kein großen Erzählungen, kein multimediales Storytelling und keine reinen Digitalformate, wie man es etwa von den Öffentlich-Rechtlichen aus Deutschland kennt. Das sollte den Zeitungen vorbehalten bleiben, denn nur das würde sie vor dem Untergang bewahren, hieß es damals. So blieb orf.at eine blaue, klar strukturierte Meldungsseite, durfte nur Überblick geben und sollte – darauf legten die Printmedien sehr großen Wert – keinesfalls „zeitungsähnlich“ sein.

Wir Jungjournalist*innen haben das ganze Gezanke mit großen Augen verfolgt. Doch wir dachten damals, irgendwas wird schon dran sein. Immerhin war dieser Journalismus für uns so neu wie das Internet für den Journalismus. Sie werden schon wissen, was sie tun.

Doch die Nachrichtenbranche explodierte regelrecht und verteilte sich fortan über die alten Berufsgrenzen hinaus. Sie war nicht tot, aber es hat sie zerrissen, in viele kleine Fetzen, mit 140 oder 280 Zeichen, mit Fotos oder Video und ohne greifbare Abokosten. Man zahlte fortan mit seiner Aufmerksamkeit, seinen Informationen, seiner Anwesenheit. Die Medienhäuser blickten damals – und einige tun es  bis heute – fassungslos auf die Ruinen ihrer Medienwelt. Trotzdem wurde weitergewurschtelt,ohne große Visionen, dafür mit wachsender Abhängigkeit von staatlicher Förderung.

Im Nachhinein suchen die Zeitungshäuser nun einen Grund für ihren ungebremsten Niedergang. Wahlweise sagen sie, die digitale Revolution sei schuld. Die Konkurrenz. Oder das Publikum, das sich wie Schafe vom "seriösen" Journalismus auf Papier abgewandt hat und seither "Fake News" im Internet auf den Leim geht. In jedem dieser Argumente steckt ein Funken Wahrheit, mehr aber auch nicht. Denn schuld ist vor allem das Unvermögen der Medienhäuser auf Veränderung zu reagieren, ihr Publikum zu halten und neues zu gewinnen. Und wenn wir ehrlich sind, gab es "Fake News" in österreichischen Boulevardmedien schon lange bevor das Internet erfunden wurde.

Nun ja. Während wir damals also dachten, die Zeitungshäuser wüssten schon, was sie tun, ist uns mit den Jahren klar geworden: Sie wussten es nicht. Sicher kann man spätestens jetzt sein, wo zum Tag der Pressefreiheit am Mittwoch die Titelseiten eben dieser in der Lobbyorganisation VÖZ vertretenen Printmedien leer erschienen. Aus Protest gegen die geplanten ORF-Novellen der Bundesregierung. Verkürzt gesagt geht ihnen vor allem die weitere Beschränkung der Textbeiträge auf orf.at von 900 auf 350 pro Woche nicht weit genug. Auch, dass der ORF ab 2024 mehr digitale Angebote – auch eigens für Online - produzieren darf, stört die Printmedien. Man sieht insgesamt die österreichische Medienvielfalt bedroht. Es drohe gar ein Meinungsmonopol, steht in dem Offenen Brief der Verleger an die Bundesregierung.

Auf Vögel schießen

Das Ganze wäre schon fast lustig, wenn es nicht so traurig wäre. Denn es gibt viele Punkte, die schon bei oberflächlicher Betrachtung diesen Offenen Brief ad absurdum führen: Gerichtsverfahren, Inseratenaffäre, Chatnachrichten, Meinungsartikel die Politiker*innen derart streicheln, dass man selbst als Leser*in den Raum verlassen möchte. Oder, dass die Berichterstattung über österreichische Skandale wie die Ibiza-Affäre ohne deutsche Medien vermutlich verloren wäre. Aber all das geschenkt.

Bleiben wir der Einfachheit halber also bei orf.at. Was diese Printmedien offenbar nicht verstehen wollen, ist, dass es nicht der ORF ist, der ihre Existenz bedroht. Es sind sie selbst. Es sind festgefahrene Chefetagen, die immer nur Leute einstellen, die ihnen ähnlich scheinen. Es sind wahlweise langweilige, zu komplexe oder überemotionalisierte Artikel. Es sind unflexible redaktionelle Arbeitsweisen und starre Entscheidungsprozesse. Es ist der so oft fehlende Mut, journalistisch mal etwas zu wagen. Nicht nur etwas Neues, sondern es auch zu wagen Produkte einzustellen und Platz zu schaffen. Mal den Klammergriff von seinem Drehstuhl zu lösen und zu schauen, wieso diese blaue Nachrichtenseite, die man seit Jahren mit aller Kraft versucht zu verhindern, so erfolgreich ist und was man vielleicht sogar ironischerweise selbst dazu beigetragen hat.

Es stimmt natürlich, dass die Medienvielfalt in diesem Land stirbt und, dass das eine große Gefahr für unsere Demokratie ist. Dafür aber ausgerechnet den ORF verantwortlich zu machen ist in etwa, als würde man auf Vögel schießen, weil man selbst nicht fliegen kann –  während man sich stattdessen auch längst hätte ein Flugzeug bauen können.

Autor*in: Saskia Hödl

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