Ich mache doch schon so viel!
Die Öko-Hanna macht schon vieles richtig. Leider dient ihr das aber als Ausrede für die großen Klimasünden. Bild: CC-BY-ND Annechien Hoeben, klimapsychologie.com.
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Thomas Brudermann
Kolumnist

Ich mache doch schon so viel!

Klimaschutz ist eh irgendwie gut. Darauf können sich die meisten Menschen einigen. Trotzdem flüchten sich viele in Ausreden, wenn es um konkreten Klimaschutz geht. Der Psychologe Thomas Brudermann nimmt diese Ausreden in unserer Serie unter die Lupe. Heute: Die Öko-Hanna.


Die Öko-Hanna begegnet uns häufig, vielleicht sogar im Spiegel: Sie trennt brav den Müll, schimpft über die vielen Kunststoffverpackungen im Supermarkt und achtet beim Einkauf auf das Bio-Gütesiegel. Fleisch steht nur noch selten auf ihrem Speiseplan und kommt direkt vom Bauern im Nachbarort. Außerdem hat sie einen Sticker mit der Aufschrift „Bitte kein Plastik in die Biotonne!“ am Müllplatz der Wohnanlage angebracht, nachdem sie sich über den noch originalverpackten Räucherlachs im Biomüll geärgert hat.

In ihrer Selbstwahrnehmung ist die Öko-Hanna überdurchschnittlich umweltfreundlich. Sie ist gerne in der Natur und pro Klimaschutz. So ganz funktioniert der klimaneutrale Lebensstil aber dann doch nicht: Die gelegentliche Flugreise muss sein, und völlig ohne Auto geht es auch nicht. 

„Ich mache doch schon einiges und mehr als andere“ lautet eine beliebte Rechtfertigung. Als Ersatz für die Plastiksackerl liegen jede Menge Stofftaschen im Kofferraum des Autos und die Heizung wurde klimabewusst etwas niedriger eingestellt. Zumindest in Teilen finden sich wohl viele von uns in dieser fiktiven Öko-Hanna wieder. 

Jedes eingesparte Plastiksackerl und jede kürzere Dusche geben der Öko-Hanna ein gutes Gefühl

Eine zentrale menschliche Wahrnehmungsverzerrung betrifft das eigene Selbstbild: Die meisten von uns nehmen sich selbst tendenziell positiv wahr, also als einen guten, ehrlichen, liebenswerten Menschen. Oder eben als eine überdurchschnittlich begabte Autofahrerin, einen überdurchschnittlichen Klimafreund oder als jemanden, der*die überdurchschnittlich gut Bescheid weiß. Mit der Realität muss sich dieses Selbstbild nicht zwangsläufig decken, wie wir aus Studien wissen. 

Fakten interpretieren wir so, dass sie zu unserem positiven Selbstbild passen. An Misserfolgen sind demnach oft andere oder ungünstige Umstände schuld. Eigenen Erfolg führen wir hingegen auf Intelligenz und Eifer zurück. „Self-serving bias“ nennt das die Verhaltensökonomie (die umständliche deutsche Übersetzung lautet „selbstwertdienliche Wahrnehmungsverzerrung")

Jedes eingesparte Plastiksackerl und jede kürzere Dusche geben der Öko-Hanna ein gutes Gefühl. Denn diese – durchaus sinnvollen – Taten bestätigen die eigenen Öko-Einstellungen. In der Selbstwahrnehmung sieht man dann schnell eine Super-Hanna und Umweltheldin.

„Ich tu' ja sonst schon so viel, da gönne ich mir jetzt den Flug.“ In der Fachsprache bezeichnet man das als moralisches Lizensieren.

Kleine Alltagshandlungen, große Klimasünden

Der Urlaubsflug nach Südostasien passt zu diesem Selbstbild naturgemäß nicht gut dazu. Der innerer Widerspruch lässt sich aber mit Rechtfertigungen gut überbrücken. Zum Beispiel: „Ich tu' ja sonst schon so viel, da gönne ich mir jetzt den Flug.“ In der Fachsprache bezeichnet man das als moralisches Lizensieren.

Man wiegt die guten Klimataten mit den weniger guten Taten auf. Aus psychologischer Sicht geht das auf. Beim Blick auf die Emissionsbilanz allerdings nicht: Ein Flug nach Bali und zurück verursacht pro Passagier*in in etwa acht Tonnen CO2-Äquivalente. Zum Vergleich: Das ist jene Menge, die für die Beleuchtung eines Durchschnittshaushalts mit dem österreichischen Strommix in ein paar hundert Jahren anfallen würden. Oder bei der Verwendung mehrerer Plastiksäcke täglich bis zum Lebensende. So sinnvoll die kleinen Alltagsmaßnahmen sind, die größeren Klimasünden machen sie nicht gut. 

Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Klimawirkung kann für klimabewusste Menschen schnell unangenehm werden. Glücklicherweise lässt sich das Selbstbild aber auch mit anderen Argumenten retten: „Kleinvieh macht auch Mist“ hört man dann, oder eben: „Das System ist schuld und nicht ich“. Wenn du dich mit letzterem Gedanken angefreundet hast, dann überspringe besser meine kommenden Beiträge.

Thomas Brudermann ist Psychologe und Professor für Innovations- und Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Graz. Sein Buch „Die Kunst der Ausrede. Warum wir uns lieber selbst täuschen, statt klimafreundlich zu leben“ ist 2022 erschienen.
Autor*in: Thomas Brudermann

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