Baby, retten wir die Welt
Damit es auf der Welt nicht bald so aussieht, gar nicht erst Kinder bekommen? Bild: Tri / Adobe Stock
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Saskia Hödl
Kolumnistin

Baby, retten wir die Welt

Die Birthstrike-Bewegung ist sich sicher: Man sollte heute allein aus Klimaschutzgründen keine Kinder mehr bekommen. So könne man als Individuum die allermeisten Treibhausgasemissionen einsparen. Aber kann man Menschen wirklich so einfach in CO2-Kosten umrechnen?



Die Gesellschaft liefert schon mannigfaltig Gründe, wieso man es sich gut überlegen sollte, ob man heute überhaupt noch Kinder in die Welt setzen möchte: Von der Gender Pay Gap über die Gender Wealth Gap, hin zu den fehlenden Kinderbetreuungsplätzen und dem angestaubten Bildungssystem, bis zur gesellschaftlichen Abwertung des Mutterseins an sich. Wenn wir ehrlich sind – und das sind viele Eltern heute mehr denn je – klingt das alles nicht besonders verlockend. 

Doch einige Leute denken aus ganz anderen Gründen und sehr viel grundsätzlicher darüber nach, ob es wirklich noch okay ist, Kinder zu bekommen. Denn für sie ist das eine Frage des Klimaschutzes. Die Bewegung zu diesem Gedanken wird „Birthstrike-Movement“ genannt und setzt sich unter dem Motto „Save the earth, don’t give birth“ für eine CO2-Einsparung durch Gebärstreik ein. 

Ein Gebärstreik ist historisch gesehen nichts Neues, war aber bisher vielmehr ein Mittel der Drohung gegen patriarchale Strukturen und für politische Veränderung, als eine klimapolitische Kritik an Entscheidungen von Individuen. Somit steht das Birthstrike-Movement gar nicht so sehr in der Tradition des Gebärstreiks, sondern ist dem philosophisch motivierten Antinatalismus näher, der aus ethischen Gründen zum Geburtenrückgang aufruft – womit je nach Strömung wahlweise das Überleben oder das Aussterben der Menschheit gesichert werden soll. Im Fall der Birthstrike-Bewegung geht es klar ums Überleben.

Trend oder Theorie?

Wie viele Menschen in Österreich tatsächlich gerade für das Klima auf Kinder verzichten, kann man nicht sagen. Bisher gibt es dazu keine Zahlen. Aber wie in vielen anderen „westlichen“ Ländern lässt sich hier zumindest eine gesellschaftliche Debatte erkennen, die sich in Sachbüchern („Kinderfrei statt kinderlos“ von Verena Brunschweiger, 2019), Romanen („Eva“ von Verena Keßler, 2023), Dokumentationen (Arte, „Kinder trotz Klimakrise?“) und diversen Zeitungsartikeln niederschlägt. 

Ein Argument, das in dieser Debatte immer wieder und hauptsächlich zitiert wird, ist ein Artikel von Seth Wynes und Kimberly Nicholas aus dem Jahr 2017. Die Wissenschafter*innen Wynes und Nicholas forschen zu Klima und Nachhaltigkeit, für den Artikel haben sie verschiedene Studien untersucht und wollten feststellen, wie eine einzelne Person in unterschiedlichen Szenarien möglichst viele Treibhausgasemissionen verhindern kann. Die beiden kommen zu dem Ergebnis, dass der Verzicht auf ein Kind 58,6 Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr einsparen kann. Bei einem Leben ohne Auto kann laut Wynes und Nicholas mit einem Einsparpotential von 2,4 Tonnen pro Jahr gerechnet werden und bei einem Verzicht aufs Fliegen spart man 1,6 Tonnen pro Jahr. Beim Umstieg auf eine pflanzliche Ernährung, seien es hingegen nur 0,8 Tonnen pro Jahr. 

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Was sind CO2-Äquivalente (CO2e)?

Der Mensch verursacht vor allem das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2), doch es gibt auch noch andere Treibhausgase, wie Methan oder Lachgas. Da die unterschiedlichen Gase aber nicht alle in gleicher Weise und Dauer zum Treibhauseffekt beitragen, wurde ihr „Globales Erwärmungspotenzial“ oder „Treibhauspotential“ definiert.

Das bedeutet, dass die Gase umgerechnet werden in einen Index, der angibt welche Erwärmungswirkung eine bestimmte Menge eines Treibhausgases über einen definierten Zeitraum hat im Vergleich zur gleichen Masse CO2. Zum Beispiel bleibt Methan mit 12,4 Jahren wesentlich kürzer in der Atmosphäre als CO2, das hunderte Jahre da verweilen kann. Dennoch ist Methan essentiell für den Treibhauseffekt, weil es 25-mal so wirksam ist wie Kohlendioxid. 

Wynes und Nicholas argumentieren, dass die Entscheidung, ein Kind zu kriegen, in Hinblick auf den Klimaschutz weitaus bedeutsamer sei als jede andere Entscheidung, die ein Einzelner oder eine Einzelne treffen könnte. Weiter kritisieren sie, dass Pädagog*innen und Politiker*innen es versäumen würden, über die Klimafolgen dieser Entscheidung aufzuklären. 

Eine Existenz berechnen

Diese Zahlen sind auf den ersten Blick schockierend und genauso wurden sie auch in vielen Medienberichten dargestellt. Kein Wunder, dass nun einige Leute überlegen, ob sie es verantworten können, Kinder zu bekommen. Denn bei oberflächlicher Betrachtung, könnte man aus diesen Zahlen durchaus schließen, dass man den Klimawandel nur durch Kinderlosigkeit aufhalten kann. Man könnte auch daraus schließen, dass man als Person ohne Kinder quasi einen Freiflugschein hat – denn so viel kann man doch gar nicht fliegen, um pro Jahr so viele Emissionen zu verursachen, wie ein einzelnes Baby. Oder?

Doch schon eine kurze Recherche zu den angeführten Zahlen wirft grundsätzliche Fragen auf. ___STEADY_PAYWALL___ So lagen im Jahr 2021 die Treibhausgas-Emissionen pro Kopf in der EU durchschnittlich bei 7,8 Tonnen CO2-Äquivalente. In Österreich im selben Jahr bei einem Wert 8,7 CO2-Äquivalente. Da stellt sich sehr deutlich die Frage, wie diese Babys aus dem Artikel schon ab Geburt und pro Jahr auf das über Siebenfache einer durchschnittlichen EU-Bürger*in kommen? Haben die alle ein Privatjet?

Die Grenzen der Verantwortung

Der Grund ist, dass für die anfangs genannten 58,6 Tonnen pro Jahr und pro Kind eine Art Doppelzählung stattgefunden hat. Wie auch die Wissenschaftler Philippe van Basshuysen und Eric Brandstedt in einem Kommentar zum Artikel von Wynes und Nicholas kritisierten, wurden hier verschiedene Berechnungen herangezogen. Van Basshuysen und Brandstedt streiten grundsätzlich nicht ab, dass Kinderkriegen hohe Emissionen verursachen kann, dennoch ersuchen sie ihre Kolleg*innen – vereinfacht gesagt die Kirche im Dorf zu lassen und beanstanden in ihrem Kommentar die Methodik dieses Vergleichs.

Denn während Wynes und Nicholas bei den anderen Berechnungen in diesem Vergleich, etwa von Mobilität und Ernährung, nur die direkten Emissionen der entscheidenden Person angeführt haben, greifen sie beim Kinderkriegen auf eine andere Berechnung zurück, die aus einem Artikel von Paul A. Murtaugh und Michael G. Schlax von 2009 stammt. Darin wird summiert, zu welchem CO2-Vermächtnis das Kinderkriegen über mehrere Generationen führt. Die Grundannahme ist hier also nicht, dass jede Person nur für sich selbst verantwortlich ist, sondern dass die Eltern je zur Hälfte für die Emissionen ihrer Nachkommen und zu einem Viertel für der Emissionen ihrer Enkel verantwortlich sind und so weiter. So kommt man dann auf über 58 Tonnen pro Kind und Jahr, da hier eine Emissionsverantwortung quasi bis in die Unendlichkeit entsteht. 

Nicht alle Daten sind vergleichbar

Barbara Truger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Graz, forscht zu nachhaltigem Bauen und hat an der Entwicklung eines Online-CO2-Fußabdruck-Rechners mitgearbeitet. Sie hat sich den Artikel von Wynes und Nicholas und auch die dafür verwendeten Daten aus der Studie von Murthough und Schlax angesehen und ihr ist dabei unter anderem aufgefallen, dass in deren ursprünglichen Berechnungen drei unterschiedliche Emissionsszenarien betrachtet werden. Ein optimistisches Szenario, in dem über die nächsten Jahre pro Kopf und pro Jahr weniger CO2 ausgestoßen wird, ein konstantes und ein pessimistisches mit steigenden Emissionen pro Kopf und pro Jahr.

„Die 58,6 Tonnen pro Kopf und pro Jahr stammen aus dem konstanten Szenario, in dem also die Emissionen pro Kopf fortan gleich bleiben wie im Jahr 2005“, sagt Barbara Truger im Zoom-Gespräch. Die 58,6 Tonnen seien also ein Mittelwert aus diesem Jahr mit einer Schwankung von rund 24 bis 118 Tonnen je nach betrachtetem Land, sagt Truger. Die Emissionen schwanken also stark zwischen diesen Szenarien. „Wenn man nach den Berechnungen von Murtagh und Schlax etwa nur die USA betrachtet, ergeben sich im konstanten Szenario 117,7 Tonnen pro zusätzlichem Kind und Jahr. Beim optimistischen Szenario wären es nur 7 Tonnen pro zusätzlichem Kind und Jahr.“

Das bedeutet also, dass in dieser Berechnung alle Maßnahmen der vergangenen zwanzig Jahre, Emissionen zu senken, wie etwa die Pariser Klimaziele und alle technologischen Entwicklungen, nicht berücksichtigt sind. Im Jahr 2005 war auch noch keine Rede von jenen Zielen, die heute in der EU gelten: Bis 2050 will die Staatengemeinschaft klimaneutral sein. Das heißt, die wenigen Klimagase, die dann noch ausgestoßen werden, sollen beispielsweise durch Aufforstung oder technologische Maßnahmen wieder kompensiert werden. Diese Politik wird konkret umgesetzt, die Zwischenziele für 2040 sind gerade erst verschärft worden. Spätestens jetzt müsste man also eine CO2-Schuld in dieser Höhe verwerfen.

Ein persönliches Thema

„Die Herangehensweise an CO2-Schuld über Generationen ist eine ganz andere, als wenn ich berechnet, wie weit das durchschnittliche Auto pro Jahr fährt und wieviel Treibstoff es verbraucht. Eventuell ist da noch die Herstellung und die Entsorgung des Autos eingerechnet – aber schon da unterscheiden sich ebenfalls viele Studien“, erklärt Truger die schwierige Vergleichbarkeit der verwendeten Daten. „Die perfekte Wahrheit wird man nie abbilden können, denn in der Regel verwendet man – wie hier – Daten aus der Literatur oder aus Datenbanken. Alle Daten selbst zu erheben, ist kaum möglich“, sagt sie. Deshalb sei es aber auch so wichtig, sich die Studien näher anzuschauen, bevor man sie miteinander vergleicht.

Laut Truger wäre es für diesen Vergleich womöglich zielführender gewesen, nicht die Emissionen aller Nachkommen in die Verantwortung der Eltern zu übertragen, denn so werde nicht berücksichtigt, dass jeder Mensch eine Eigenverantwortung hat und Emissionen vom Lebensstil abhängen. „Wenn man die Kinder dennoch den Eltern zurechnen möchte, wäre es womöglich besser gewesen, das nur bis zum 18. Geburtstag zu tun.“ Grundsätzlich rät Truger, die sich selbst beruflich viel mit CO2-Bilanzen beschäftigt, aber davon ab, das Kinderkriegen an CO2-Berechnungen festzumachen. „Ich finde das persönlich nicht zielführend, weil das ein so viel komplexeres und persönliches Thema ist, als so eine Berechnung ausdrücken kann.“

Auch van Basshuysen und Brandstedt merken in ihrem Kommentar an, dass die Bevölkerungsvariable vermutlich an Bedeutung verlieren wird, wenn es der Welt gelingt, rechtzeitig zu einer CO2-neutralen Wirtschaft überzugehen.

Wie können Eltern das Klima schützen?

Erich Striessnig leitet das Institut für Demografie an der Universität Wien, wo auch zum Thema Klimawandel und Generationengerechtigkeit geforscht wird. Auf die Frage, ob Kinder von Geburt an Klimasünder seien, sagt Striessnig per Zoom, dass das doch sehr auf die Eltern ankomme und darauf, welche Werte sie vermitteln. 

Allerdings stellt Striessnig auch fest, dass die Höhe der CO2-Emissionen einer Familie mit kleinen Kindern auch sehr davon abhängen, welchen Handlungsspielraum die Politik Familien einräumt. „Junge Eltern sind nach der Geburt eines Kindes in einer recht vulnerablen Phase, selbst wenn sie vorher klimabewusst gelebt haben“, sagt er. Denn nun seien selbst überzeugte Radfahrer*innen damit konfrontiert, dass es sogar in einer Großstadt wie Wien ziemlich mühsam sein kann, mit einem kleinen Kind die Mobilität aufrechtzuerhalten. „Sie laufen Gefahr zu kippen, sich ein Auto anzuschaffen – und wir wissen aus Studien, dass diese Leute dann nicht mehr zurückkommen. Sie gewöhnen sich an den Komfort“, sagt Striessnig. 

Er sieht hier die Politik in der Pflicht, Anreize zu setzen. So hält er das Klimaticket für 18-Jährige grundsätzlich für eine gute Maßnahme. „Was man aber zusätzlich machen sollte und was wahrscheinlich eine noch wirksamere Maßnahme wäre, ist, dass man jungen Eltern in den ersten Jahren nach der Geburt eines Kindes das gratis Klimaticket gibt.“ So könnte man Eltern in ihrer Entscheidung gegen ein Auto unterstützen, gleichzeitig Kinder an den öffentlichen Verkehr gewöhnen und könnte sicherstellen, dass auch Kinder, die in Gegenden leben, in denen es nicht viel Grün gibt, sich Ausflüge in die Natur leisten können. „Man hat in Studien gesehen, dass Kinder sehr viel eher ein eigenes ökologisches Bewusstsein entwickeln, wenn sie viel Zeit im Grünen verbringen.“

Ökologisch zu handeln sei in vielen Fällen eine Frage des Einkommens, sagt Striessnig. „Wer kann sich denn die Bio-Lebensmittel in Zeiten von hoher Inflation und Preissteigerung noch leisten? Das kommt für breite Bevölkerungsschichten nicht in Frage.“ Er sieht auch hier die Politik in der Pflicht gegenzusteuern. Man müsse sicherstellen, dass Eltern in der Lage sind, als Konsument*innen ökologisch so zu handeln, dass ihre Kinder nicht gleich von Anfang an mit einem unglaublich großen ökologischen Rucksack ausgestattet sind. 

Kinder sind also nicht von Geburt an Klimasünder*innen und die Zahlen, die wir in den letzten Jahren immer und immer wieder zum Thema Kinderverzicht fürs Klima lesen konnten, sind nur mit Vorsicht und zusätzlichen Informationen zu betrachten. Eine naheliegende Frage, die man zum Kinderverzicht für den Klimaschutz natürlich auch noch stellen könnte, ist: Wenn Klimaschützer*innen fürs Klima keine Kinder bekommen wollen, wer erzieht dann die ganzen kleinen Weltretter*innen, die es auch in Zukunft noch brauchen wird, um für Klimaneutralität und Nachhaltigkeit weiter einzustehen?

Autor*in: Saskia Hödl

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