Können wir die Malaria besiegen?
Ein Plakat an der Ewim-Poliklinik in Capecoast in Ghana klärt über die Malaria-Impfung für Babys und Kleinkinder auf. Bild: Benjamin Breitegger
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Benjamin Breitegger
Reporter

Können wir die Malaria besiegen?

An Malaria sterben mehr als 600.000 Menschen im Jahr. Besonders betroffen sind Kleinkinder in Afrika. Nun gibt es für sie zwei von der Weltgesundheitsorganisation empfohlene Impfstoffe, die 2024 in Afrika ankommen. Was bedeutet das im Kampf gegen die Krankheit?


Das gefährlichste Tier der Welt? Ist winzig. Nicht größer als fünf Millimeter. Es fühlt sich wohl in Sümpfen und Wasserlachen und hat es gerne warm. ___STEADY_PAYWALL___ Die weibliche Anopheles-Mücke kann einen Parasiten übertragen, der Malaria auslöst. Eine Tropenkrankheit, an der jährlich geschätzt mehr als 600.000 Menschen sterben, die allermeisten in Afrika. Dazu muss gleich gesagt werden: Sie müssten nicht sterben, denn Malaria ist im Grunde gut heilbar. Jedoch wird die Krankheit nicht immer rechtzeitig erkannt und behandelt.

„100 Jahre Malaria-Impfstoffforschung haben bisher Nullkommanull gebracht – und jetzt gibt es Mosquirix.“ Peter Kremsner, Malaria-Experte

Mehr als 600.000 Todesfälle durch Malaria. Die absoluten Zahlen schrecken. Doch diese Geschichte will nicht schrecken. Sie soll davon berichten, wie der Mensch die Mücke in die Schranken weisen will. Wie er Erfolge erzielt. Dazu dient ein Blick auf die historische Malaria-Statistik: So ist die Zahl der Todesfälle zwischen 2000 und 2019 um fast 40 Prozent gesunken. Und immer wieder erklärt die Weltgesundheitsorganisation Malaria in einzelnen Ländern für besiegt: 2021 in China und zuletzt in Aserbaidschan und Tadschikistan.

Erfolge nach 100 Jahren Forschung

„Wir haben in den vergangenen 20 Jahren unglaubliche Fortschritte gemacht“, sagt Michael Ramharter, ein gebürtiger Wiener, der die klinische Forschung am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg leitet. Heute kann Malaria schneller diagnostiziert werden, es gibt besser imprägnierte Moskitonetze, neue Insektizide und Therapien. Seit 2019 außerdem: die weltweit erste, von der Weltgesundheitsorganisation empfohlene Malaria-Impfung mit dem Namen Mosquirix – erst im Oktober 2023 folgte eine zweite. Die Impfstoffe werden an Kinder unter fünf Jahren verimpft, jene, die am häufigsten an der Krankheit sterben.

Es sind Erfolge. Dass es überhaupt eine Impfung gibt, wertet der Malaria-Experte Peter Kremsner sogar als Meilenstein: „100 Jahre Malaria-Impfstoffforschung haben bisher Nullkommanull gebracht – und jetzt gibt es Mosquirix.“ Kremsner war an den klinischen Studien zu Mosquirix beteiligt und forscht am Universitätsklinikum Tübingen an eigenen Malaria-Impfstoffen. Die seien wesentlich komplexer als Impfstoffe gegen Virus-Erkrankungen wie etwa SARS-CoV-2 (Coronavirus), erklärt er. Denn bei der Malaria gebe es nicht nur wenige, sondern tausende Möglichkeiten, Ansätze für Antigene zu finden. 

Am besten, die Mücke sticht erst gar nicht: Die Impfung bleibt ein Teilwerkzeug im Kampf gegen die Malaria. Vorbeugung, wie etwa unter einem Moskitonetz zu schlafen, ist weiterhin wichtig. Bild: Benjamin Breitegger

Impfstoffe als neues Werkzeug gegen Malaria kommen gerade recht. Denn, auch das ist Teil der Geschichte: Der Fortschritt stockt. Durch die Coronapandemie und Lockdowns starben wieder mehr Menschen an Malaria als in den Jahren davor, weil etwa weniger Moskitonetze verteilt wurden. Medikamenten- und Insektizid-Resistenzen treten auf. Eine neue Moskitoart breitet sich in Städten aus. Und der Klimawandel könnte Malaria weiter gen Norden tragen.

Ein Pflanzenstoff als Basis für aktuelle Therapien

Mensch gegen Mücke – das war schon immer ein ständiges Hin und Her: Der Mensch erfindet ein Medikament, Erreger werden dagegen resistent, der Mensch antwortet mit einem neuen Medikament. So wurde eine Malaria-Erkrankung jahrzehntelang mit Chloroquin behandelt, bis es nicht mehr wirkte. Die Lösung um die Jahrtausendwende brachten sogenannte Kombinationstherapien auf Artemisinin-Basis (ACTs). „Die sind heute immer noch sehr gut wirksam, trotz erster vereinzelter Artemisinin-Resistenzen in Südostasien“, sagt Peter Kremsner. Artemisinin ist ein Stoff, der in der Pflanze Einjähriger Beifuß (Artemisia annua) vorkommt. Die chinesische Pharmakologin Tu Youyou und ihr Team hatten ihn schon in den siebziger Jahren isoliert, 2015 erhielt sie den Medizinnobelpreis „für ihre Entdeckungen zu einer neuartigen Therapie gegen Malaria“. Um Erkrankte zu behandeln, wird seit den Nullerjahren standardmäßig mit ACTs therapiert.

Fakt ist: Malaria ist eine komplexe und kompliziert zu bekämpfende Infektionskrankheit. Der Parasit durchläuft verschiedene Stadien in der Leber und im Blut. Jede einzelne an Malaria erkrankte Person kann über einen Moskitostich hunderte weitere Menschen anstecken; Malaria gilt als die ansteckendste Krankheit der Welt. Und wer einmal erkrankt, kann gleich darauf wieder erkranken. Um zumindest teilweise immun zu werden, müsse man wahrscheinlich „mindestens fünf bis zehn Mal ziemlich rasch hintereinander infiziert werden“, sagt Peter Kremsner.

Vier Impfungen für Babys

Die Impfung mit Mosquirix kann davor schützen, gar nicht erst schwer zu erkranken. Weit verbreitet ist sie noch nicht. Bislang profitieren nur Kinder in drei Pilotgebieten, in den afrikanischen Ländern Malawi, Kenia und Ghana.

„Ihr müsst weiter unter Moskitonetzen schlafen und euer Zimmer besprühen, wenn ihr Moskitos seht. Der Impfstoff ist nur eine weitere Maßnahme.“ Edna Domenya, Krankenschwester

An einem schwülen Apriltag führt die Krankenschwester Edna Domenya durch die Kinderstation der Ewim-Poliklinik der Stadt Cape Coast an der Küste Ghanas in Westafrika. Draußen warten Mütter und Großmütter mit Babys auf Plastikstühlen, drinnen wuseln Mitarbeiterinnen umher, Patient*innen-Akten stapeln sich auf Holztischen in der Station. In einer Kühltruhe lagert der Impfstoff.

Vier Mal verimpfen die Krankenpflegerinnen Mosquirix: Die erste Teilimpfung erhalten Kinder im sechsten Lebensmonat, die zweite im siebten, die dritte im neunten Monat, und die vierte, den Booster, erhalten Kinder mit 24 Monaten. Edna Domenya berichtet, dass Mütter ihr die Frage stellen, ob ihr Kind je an Malaria erkranken wird. „Ihr müsst weiter unter Moskitonetzen schlafen und euer Zimmer besprühen, wenn ihr Moskitos seht“, sage sie ihnen dann, „der Impfstoff ist nur eine weitere Maßnahme“. Der WHO zufolge zeigt das Pilotprojekt: Der Malaria-Impfstoff kann den Kindern helfen. Er ist sicher und lässt sich einfach verabreichen.

In diesen Kühltruhen wird der Impfstoff gelagert. Bild: Benjamin Breitegger

Günstiger zweiter Impfstoff?

Im April 2023 gaben Ghana und Nigeria bekannt, einen weiteren Malaria-Impfstoff vorläufig zuzulassen. Sein Name: R21, entwickelt an der Universität Oxford. Die Arzneimittelbehörden der westafrikanischen Länder konnten Studiendaten vorab einsehen. Im Oktober 2023 folgte die Weltgesundheitsorganisation mit ihrer Empfehlung. „Als Malariaforscher träumte ich immer von dem Tag, an dem wir einen sicheren und wirksamen Impfstoff gegen Malaria haben würden. Jetzt haben wir zwei“, sagte Tedros Ghebreyesus, Generaldirektor der WHO. R21 ist Mosquirix ähnlich, hat aber entscheidende Vorteile: Er kann millionenfach produziert werden – und soll nur wenige US-Dollar pro Dosis kosten.

Weitere Impfstoffe sind in der Pipeline: So arbeitet etwa Biontech, bekannt für seinen Covid19-Impfstoff, an Malaria-Impfungen auf mRNA-Basis. Das deutsche Unternehmen will in Zukunft vor Ort in Ruanda, Senegal und Südafrika produzieren. Im Dezember 2022 hat es mit klinischen Studien begonnen.

Nun sind auch Impfungen kein Wundermittel gegen Malaria. Das vorhandene Mosquirix ist nicht perfekt – die Weltgesundheitsorganisation gab bei ihrer Empfehlung vor zwei Jahren einen 30-prozentigen Rückgang der tödlichen schweren Malaria an. R21 wurde von seinen Entwicklern als effektiver vermarktet, doch die Weltgesundheitsorganisation sieht dafür bisher keine Beweise.

Hoch wirksam sind beide Impfstoffe in Gebieten, in denen die Malariaübertragung weitgehend auf vier oder fünf Monate im Jahr beschränkt ist – und zwar, wenn sie kurz vor der Malariasaison verabreicht werden. Eine Dreifach-Impfserie mit R21 zeigt der WHO zufolge eine 75-prozentige Reduktion der symptomatischen Malariafälle im ersten Jahr. Eine vierte Impfung (Booster) nach einem Jahr hält den Schutz aufrecht. Mosquirix sei, saisonal verabreicht, ähnlich wirksam.

Und die Impfungen sollen die Kinder auch erreichen: Mosquirix wird Anfang 2024 in einigen afrikanischen Ländern eingeführt, Mitte des Jahres soll dann R21 verfügbar sein. Mindestens 28 Länder in Afrika planen routinemäßig gegen Malaria zu impfen, wie es Ghana schon im Zuge seiner Pilotphase macht. 

Kann die Malaria besiegt werden?

Bleibt die Frage an den Experten: Kann die Malaria endgültig besiegt werden? Zwei Kommissionen hätten sich dieser Frage gewidmet, sagt Ramharter. Mit konträren Ergebnissen. Ein Team aus 41 Forscherinnen und Forschern kam in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ 2019 zum Schluss: Das sei bis zum Jahr 2050 möglich. Ein paar Wochen zuvor hatte die Weltgesundheitsorganisation eine Kurzfassung ihres eigenen Berichts veröffentlicht. Das Ergebnis: pessimistischer. Malaria könne in absehbarer Zeit nicht ausgerottet werden, so der Schluss. Und die Warnung: Sich unrealistische Ziele zu setzen, könnte nur zur Frustration und Gegenreaktionen führen.

Michael Ramharter selbst steht auf der skeptischen Seite: Im Moment gebe es nicht die Werkzeuge, um Malaria in Hochendemiegebieten zu eliminieren, sagt er. Was es benötige? „Einen Impfstoff mit 80 bis 100 Prozent Schutzrate.“ Peter Kremsner vom Universitätsklinikum Tübingen sieht das ähnlich. Es bräuchte eine nahezu hundert Prozent wirksame, sehr gut verträgliche Impfung, sagt er. Idealerweise wirke sie mehrere Jahre lang, am besten natürlich lebenslang. 

An der Ewim-Poliklinik in der Stadt Cape Coast in Ghana wird im Rahmen eines Pilotprojekts seit 2019 gegen Malaria geimpft. Bild: Benjamin Breitegger

So weit ist man noch nicht. Impfungen ergänzen Bewährtes wie unter Moskitonetzen schlafen und Insektizide sprühen. Denn am besten ist: Die Mücke sticht erst gar nicht. Sticht sie doch und überträgt den Parasiten, können Erkrankte geheilt werden. Eigentlich. Denn, das ist zentral: Man weiß viel über Malaria, es gibt wirksame Medikamente. Dass noch immer jährlich Hundertausende sterben, sei vor allem ein Versorgungsproblem, sagt Ramharter. Das heißt: Die Gesundheitssysteme der betroffenen Staaten sind zu schwach. Rasche Tests und Therapien nicht immer möglich, die nächsten Krankenstationen zu weit entfernt.

In der Ewim-Poliklinik in Ghana impfen die Kinder-Krankenpflegerinnen seit 2019 gegen Malaria. Jeder Säugling profitiert, der erste Stich erfolgt im sechsten Lebensmonat. Noch ist das dem glücklichen Zufall zu verdanken, dass ihre Eltern in der Gegend leben und hierherkommen, in die Poliklinik in Capecoast. In den nächsten Jahren muss es nicht mehr Zufall sein. Dann könnten Kinder in Ghana und später in ganz Afrika so selbstverständlich gegen Malaria geimpft werden wie heute schon gegen Masern.

Dieser Artikel wurde am 23.10.2023 aktualisiert.

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Aram Ghadimi
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