Kurzarbeit und Corona: So stark hat der Staat Österreich die Medienlandschaft subventioniert
Die Pandemie hat verdeutlicht, wie abhängig Medien von öffentlichem Geld sind. Die Corona-Jahre waren für die Branche dank Kurzarbeit und Regierungsinseraten „finanziell nicht schlecht“.
❗
Hinweis: Um die Datenvisualisierungen sehen zu können, müssen alle Cookies akzeptieren werden.
Anfang 2020 erreicht das Coronavirus Österreich. Schulen und Universitäten schließen. Erste Gemeinden werden unter Quarantäne gestellt. Am 16. März beginnt der erste Corona-Lockdown.
Österreichs Medien berichten über die Krise und stecken doch selbst in einer. Die Bevölkerung braucht Informationen, und zwar dringend. Die Reichweite steigt. Aber die Werbewirtschaft, von der viele Publikationen abhängig sind, bricht ein.
Ein Artikel pro Monat als Geschenk für dich: Abonniere unseren gratis Newsletter!
Wir wollen, dass du unseren unabhängigen, erstklassigen Journalismus kennenlernst. Immer am tag eins des Monats bekommst du ein Geschenk von uns in deine Inbox.
Die Pandemie stürzt die gesamte Volkswirtschaft in eine Krise; die Wirtschaftsleistung schrumpft im ersten Pandemiejahr um 6,6 Prozent. Die Regierung verspricht, alles zu tun, um das Schlimmste abzuwenden und Arbeitsplätze zu retten. Eines der wichtigsten Mittel dafür: Kurzarbeit.
Abhängig von der öffentlichen Hand
Diese soll Betrieben helfen, wirtschaftliche Einbrüche zu überbrücken. Unternehmen setzen die Arbeitszeit herab, der Staat ersetzt über das AMS einen Teil des Gehaltes und rettet so Jobs. In den Anfängen der Corona-Pandemie konnten dank Kurzarbeit Massenkündigungen vermieden werden. In den ersten zwölf Monaten kostete das 7,8 Milliarden Euro.
Doch wie die öffentliche Hand diese Hilfen verteilt hat, war bis zuletzt geheim. Der Journalist und ORF-Moderator Martin Thür erstritt vor Gericht die Veröffentlichung der Daten zur Kurzarbeit – das dauerte Jahre. Erst im März 2024 bekommt er Recht.
Der Datensatz ist zwar immer noch nicht öffentlich zugänglich, das AMS hat ihn tag eins auf Anfrage zur Recherche aber zukommen lassen.
Die Datenanalyse zeigt, wie stark die österreichische Medienlandschaft während der Corona-Pandemie von Hilfen und Inseraten der öffentlichen Hand abhängig war.
38 Millionen Euro Kurzarbeitsgeld für Medien
Mehr als 38 Millionen Euro gingen laut Berechnungen von tag eins an österreichische Medien und Verlage – 35 Millionen Euro für das Jahr 2020, drei Millionen Euro für das Jahr 2021 und 115.000 Euro für das Jahr 2022. Mindestens zehn Medienmarken erhielten Kurzarbeitshilfen von über einer Million Euro.
tag eins hat über hundert Medienunternehmen identifiziert, die mindestens 100.000 Euro an Kurzarbeitsförderungen erhielten. Dafür glich das Team Unternehmen, die staatliche Medienförderung der Telekom Regulierungs-GmbH RTR erhielten, mit Empfängern von Kurzarbeitshilfe ab. ___STEADY_PAYWALL___
Die höchste Summe, rund 4,4 Millionen Euro, ging an den ORF, das größte Medienunternehmen des Landes.
Das öffentlich-rechtliche Medium schickte laut eigenen Angaben über 500 ORF-Mitarbeiter*innen in Kurzarbeit, was 470 Vollzeit-Äquivalenten (VZÄ) entspricht. Unter den redaktionellen Mitarbeiter*innen waren 38 Stellen im Sport, 14 in der Unterhaltung und neun in der Kultur betroffen. Im Newsbereich selbst gab es keine Kurzarbeit; im Gegenteil: Mitarbeiter*innen aus anderen Abteilungen wurden hinzugezogen.
Auf dem zweiten Platz liegt die Mediengruppe Österreich mit rund 3,6 Millionen Euro. (Hierzu gehören: Mediengruppe „Österreich“ GmbH, OE24 GmbH, OE24 Redaktions- und Produktions GmbH, Radio Austria GmbH, A. Digital Errichtungs- und beteiligungs GmbH und A. Digital Content GmbH.) Auf mehrfache Anfragen von tag eins reagierte Österreich nicht.
Ein ehemaliger Mitarbeiter des oe24 Radio, der anonym bleiben möchte, war zu Beginn der Pandemie als freier Dienstnehmer in der Redaktion tätig. Gegenüber tag eins sagt er, dass seine Honorare um bis zu 20 Prozent gekürzt wurden. Entsprechende Honorarnoten liegen tag eins vor. Und weil er nicht fix angestellt war, konnte er auch nicht in Kurzarbeit. Von der staatlichen Hilfe hatte er also nichts.
Kurzarbeit war „alternativlos“
Der Standard erhielt für seine Verlagsgesellschaft und Medien AG rund 2,3 Millionen Euro. Von 322 Vollzeitäquivalenten in Kurzarbeit entfielen laut eigenen Angaben 142 auf die Redaktion. Journalist*innen aus Ressorts, in denen wenig zu tun war, halfen bei der Corona-Berichterstattung aus. So konnten redaktionelle Engpässe trotz einer kleineren Belegschaft vermieden werden.
Kurzarbeit sei am Anfang der Pandemie „sehr wichtig, um nicht zu sagen alternativlos“ gewesen, schreibt ein Sprecher der Tageszeitung in einem Statement an tag eins. Im Laufe des ersten Corona-Sommers wurde klar, dass sich das Geschäft erholen würde. Der Standard beendete daher die Kurzarbeit Ende September 2020.
Die Kleine Zeitung, die inklusive Anzeigen und Marketing-Gesellschaft über 2,1 Millionen Euro an Kurzarbeitsförderung erhalten hat, will keine Zahlen nennen. Man habe die Möglichkeit genutzt, sie war „jedenfalls eine Hilfe, über diese schwierige Phase wirtschaftlich hinwegzukommen“, sagt ein Sprecher des Styria Media Group, zu der die Zeitung gehört.
Ein ehemaliger Redakteur der Kleinen Zeitung erzählt uns anonym, dass seine Arbeitszeit um 50 Prozent reduziert wurde. Eine Woche arbeitete er Vollzeit, die nächste gar nicht. Der Umfang der Zeitung wurde zwar insgesamt reduziert, nicht aber der Innenpolitik-Teil.
Wie es das Team also geschafft hat, mit viel weniger Arbeitskräften die Seiten zu füllen? Mithilfe der Nachrichtenagenturen und viel Anspannung, sagt er. Außerdem halfen Kolleg*innen aus anderen Ressorts aus.
Die Fernsehsendergruppe um ProSieben, Puls 4 und ATV erlitt einen massiven Markteinbruch im Zuge des ersten Lockdowns. Die TV-Gruppe erhielt rund 1,4 Millionen Euro an Kurzarbeitshilfe.
Im Durchschnitt waren daher von Anfang April bis Ende August 2020 135 der insgesamt rund 550 Mitarbeiter*innen in Kurzarbeit. „Der journalistische Bereich war von der Kurzarbeit bis auf einige wenige Ausnahmen ausgeschlossen“, sagt eine Unternehmenssprecherin zu tag eins.
Andere Medienunternehmen lehnten ab, auf die Fragen von tag eins zu antworten. Die Förderungen seien Gegenstand einer üblichen Prüfung, sagte ein Sprecher der Gratiszeitung Heute. „Solange die nicht abgeschlossen ist, möchten wir uns dazu nicht äußern.“ Der AHVV Verlag, der die Zeitung Heute herausgibt, erhielt über 920.000 Euro.
Auch der Kurier will sich zum Thema Kurzarbeit nicht äußern. Die Tageszeitung erhielt rund 560.000 Euro. Dazu kamen Hilfen für das Tech-Ressort Futurezone (9.000 Euro) und den Sender Schau TV, der mittlerweile Kurier TV heißt (92.000 Euro).
Ein ehemaliger Kurier-Mitarbeiter, der rund zwei Jahrzehnte im Sport-Ressort beschäftigt war, erinnert sich, dass darauf geachtet wurde, dass die Arbeitszeit korrekt eingehalten und eingetragen wurde. Journalist*innen aus anderen Medien, die tag eins stichprobenartig befragte, bestätigten das auch für ihre Arbeitgeber*innen.
Anfang der Pandemie steigen der User-Zahlen
Der Bedarf an Journalismus sei in den ersten Monaten der Pandemie besonders hoch gewesen, sagt Denise Voci, die an der Universität Klagenfurt am Institut für Medien und Kommunikationswissenschaften forscht und lehrt. Sie koordiniert ein Forschungsprojekt des Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF zu den Effekten der Pandemie auf die Medienindustrie. Dafür laufen unter anderem Befragungen zu Kurzarbeit in der Medienbranche.
Dieser Mehrbedarf an Journalismus zeigt sich auch an den Online-Reichweiten, die im März 2020 Rekordzahlen brachten.
Während der Trend bei Plattformen wie derstandard.at und orf.at übers Jahr positiv blieb, konnten andere Online-Medien den Zuwachs nicht halten. Beispielsweise lagen die Userzahlen bei oe24.at in manchen Monaten des Jahres 2020 unter dem Niveau des Vorjahres.
Wieso? Laut Voci würden Österreicher*innen gerade in Krisenzeiten die Medien konsumieren, denen sie am meisten vertrauen. Bei Informationen zum Coronavirus haben Befragte etwa ORF und Standard als glaubwürdig eingestuft.
Newshunger zu News-Fatigue
Nach den Anfängen der Pandemie ging es dann schnell „vom Newshunger zur News-Fatigue“, sagt Voci. „Das Vertrauen in die Medien ist im Keller“, weiß sie aus Befragungen.
Das sei eine direkte Folge der Pandemie. Menschen hatten vor allem zu Beginn der Corona-Krise den Eindruck, Medien hätten sich an „Panikmache“ beteiligt, anstatt aufzuklären. Kritisch sehen Befragte außerdem die Verbindungen zwischen Politik und Medien. Weniger als ein Fünftel der Befragten in einer Gallup-Studie gaben an, dass Medien geholfen haben, die Krise einzudämmen. Fast doppelt so viele sagten stattdessen, Medien hätten Panik verbreitet.
Inseratengeld finanziert den Boulevard
Der Staat nahm viel Geld in die Hand, um Medien über die Krise zu helfen. Neben Kurzarbeit waren wirtschaftlich vor allem Werbeinserate relevant.
Von 2020 bis 2021 schaltete die Regierung Werbung im Wert von fast 93 Millionen Euro in Österreichs Medien, im ersten Corona-Jahr mehr als doppelt so viel wie 2019 – das zeigt eine Analyse der Daten, die von öffentlichen Stellen der Rundfunkbehörde RTR gemeldet werden müssen. Das heißt, Medien flossen über Regierungsinserate mehr öffentliche Gelder zu als durch das arbeitsmarktpolitische Instrument Kurzarbeit.
Boulevardmedien wie Krone, Heute und Österreich liegen auf den Spitzenplätzen. Zeitung, Website und TV-Sender der Krone erhielten in den zwei Jahren 2020 und 2021 rund 17 Millionen Euro aus Regierungsinseraten, und damit mit Abstand am meisten. Nach wie vor ist die Krone die meistgelesene Tageszeitung des Landes.
„Einige Medienmanager*innen haben gesagt: Eigentlich waren die Corona-Jahre finanziell nicht schlecht“, sagt Voci.
Großzügige staatliche Hilfen und Inserate haben am Anfang der Pandemie einige Stellen im Journalismus gerettet, weiß Voci aus Befragungen von Medienmanager*innen. Doch diese Zeiten sind vorbei.
Medienexperte Andy Kaltenbrunner attestierte der heimischen Branche schon vor Jahren eine steigende Abhängigkeit von staatlichen Inseraten und Förderungen. Bei vielen Zeitungsverlagen zeigte sich schon 2018 und 2019, dass die Einnahmen aus öffentlichen Anzeigen und Förderungen höher als der Gewinn sind.
„Der Medienmanager Staat beeinflusst also unmittelbar ökonomisch den Markt, seine Ausgestaltung und damit die Möglichkeiten von Journalismus stärker denn je“, schreibt Kaltenbrunner in seinem Buch „Scheinbar transparent“, das 2021 erschienen ist.
Die Corona-Krise habe allgegenwärtige Probleme in der Branche sichtbar gemacht, stimmt Voci zu: „Die Medienlandschaft in Österreich war vorher anscheinend nicht mehr marktfähig und jetzt, nach dem Stopp der Förderungen und Unterstützungen, zeigt sich das auch.“
Gewalt zwischen migrantischen Jugendlichen bestimmt in den vergangenen Wochen die Schlagzeilen – besonders in Boulevardmedien. Der Sozialarbeiter Fabian Reicher kennt die Szene bestens. Im Interview macht er Polizei und Boulevardmedien schwere Vorwürfe.
Politische Diskussionssendungen boomen im österreichischen Fernsehen. Eine exklusive Datenauswertung zeigt, dass nur rund ein Drittel der Gäste Frauen sind – und ständig die gleichen Personen zu Wort kommen.
Der Chefredakteur der „Kleinen Zeitung“ Hubert Patterer wurde vergangene Woche mit dem renommierten Kurt-Vorhofer-Preis ausgezeichnet. In seiner Dankesrede hat er vor allem ausgeteilt – Richtung links und gegen jüngere Menschen. Eine Replik.
Kinder und Bildschirmzeit – das ist ein Thema, das viele Eltern verunsichert. Die Autorin Nora Imlau plädiert für mehr Gelassenheit. Ein Auszug aus ihrem jetzt erschienenen Buch „Bindung ohne Burnout“.