Als ich nach Österreich gekommen bin, habe ich zuerst im Burgenland gewohnt, fast sechs Jahre lang. Mir war es wichtig, die Sprache, die Kultur und die Mentalität kennenzulernen. 2021 bin ich nach Wien gezogen. Mittlerweile wohne ich im ersten Bezirk. Es ist eine kleine Wohnung, aber meine Kunden sind immer erstaunt darüber. Vor einem Jahr habe ich meinen eigenen Friseursalon im vierten Bezirk eröffnet, direkt am Naschmarkt. Die Firma läuft gut, ich habe hier Fuß gefasst. Ich habe mir einen Kundenstamm aufgebaut, großteils Österreicher. Ich habe auch fast nur Österreicher als Freunde. Ich fühle mich wirklich wohl hier. Österreich hat mich sehr unterstützt und mir viele Chancen gegeben, dafür bin ich sehr dankbar. Ich habe diese Chancen alle genutzt, weil ich auch etwas beitragen wollte. Ich finde auch, dass ich viel für dieses Land gemacht habe.
Als ich von Assads Sturz gehört habe und das Ausmaß seiner Verbrechen gesehen habe, als ich die Leute in Assads Gefängnis gesehen habe, habe ich geweint. Wie kann man diese Fotos, diese Videos sehen und nicht weinen? Viele Menschen, die dort inhaftiert waren, werden immer noch vermisst. Ich wünsche mir, dass die Medien Assads Verbrechen aufzeigen, damit er zur Rechenschaft gezogen werden kann. Oft wird in den Medien nur über den Islamismus gesprochen. Ich finde, das ist sehr oberflächlich.
Dass Assad weg ist, ist sehr wichtig. Aber trotzdem müssen wir abwarten. Ein paar Politiker sprechen sofort von Abschiebung, das ist nicht sehr menschlich. Weil ruhig ist es noch nicht: mit den Kurden, der Türkei oder Israel. Ich frage mich, wie es um die Sicherheit steht und wie sich die Wirtschaft entwickeln wird? Meine Mutter und Schwester sind in Syrien, sie sagen, dass es sehr chaotisch ist. Ich telefoniere jeden zweiten, dritten Tag mit ihnen. Je nachdem, ob sie Internet haben, denn Strom gibt es bei ihnen nur ungefähr sechs Stunden am Tag. In einigen Städten gibt es gar keinen Strom und kein Gas.
Ich habe Angst, dass Syrien radikal islamistisch wird, wir wollen das nicht. Ich hoffe, dass eine demokratische Regierung kommt. Man darf nicht vergessen, dass Assad und sein Vater 50 Jahre lang an der Macht waren. Das lässt sich nicht so schnell ungeschehen machen. Es dauert, bis ein Land wieder aufgebaut ist. Wenn ich auf Social Media Kommentare lese in Richtung Abschiebung, kann ich nur eines sagen: Das ist eine Katastrophe. Man soll auch ein bisschen menschlich sein. Wie ich haben sich viele Menschen hier gut integriert, sie haben eine Ausbildung gemacht, sie haben Arbeit gefunden oder sind selbstständig. Ich war vor kurzem im Krankenhaus und habe dort viele Krankenpfleger aus Syrien gesehen. Das finde ich super, wir werden gebraucht. Natürlich gibt es auch Syrer, die Probleme machen, aber es gibt auch viele fleißige Leute.
Ob ich wieder zurück nach Syrien möchte, sobald sich die Lage beruhigt? Die Frage kann ich nicht beantworten, ich fühle mich hier sehr wohl. Ich habe gute Freunde gefunden, sie sind wie eine Familie. Ein paar von ihnen laden mich jedes Jahr zu Weihnachten ein. Meine Heimat Syrien ist für mich nur eine Erinnerung. Ich kann mir vorstellen, dass ich zu Besuch komme, aber dort für immer leben? Das kann ich nicht sagen.
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