Meine, deine, unsere Leut’
Wo die Trennlinie zwischen „unseren Leuten“ und „allen anderen“ verläuft, war schon immer unklar. Bild: Zoe / Adobe Stock 
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Saskia Hödl
Kolumnistin

Meine, deine, unsere Leut’

Der SPÖ-Chef Andreas Babler benennt in einem Tweet seine Zielgruppe als „unsere Leute“. Nun wird diskutiert, wer das genau sein soll. Doch worum geht es eigentlich?

Im ersten Moment bin ich zusammengezuckt, als ich die Formulierung „unsere Leute“ im Tweet von Andreas Babler gelesen habe. Zu tief sitzt die negative Konnotation. In dem Tweet des SPÖ-Chefs ging es um ein Sommerfest der SPÖ Gmunden, an dem er teilnahm, direkt am Traunsee. Er schreibt, dass der ASKÖ Gmunden – das Akronym steht für Arbeitsgemeinschaft für Sport und Körperkultur in Österreich – die direkte Nutzung des Traunsees ermöglicht, „auch für unsere Leute, die nicht mit goldenem Löffel im Mund geboren wurden.“ Ein Angriff nach oben. Dazu eine minimale persönliche Note, ein Hinweis, dass ihm früher beim ASKÖ das Skifahren ermöglicht wurde, was natürlich den Zweck hat, den SPÖ-Chef selbst glaubwürdig woanders als „oben“ zu positionieren. Und fertig ist die Aufregung.

In der Debatte geht es jetzt um Einkommensgrenzen, um Vermögen, um Zugehörigkeit. ___STEADY_PAYWALL___ Es geht um die ASKÖ selbst, darum, was für Boote da in Gmunden eigentlich liegen und ob das weit genug „unten“ ist, um gegen „oben“ zu wettern. Es geht um vermeintlichen Neid und natürlich um Jörg Haider, dessen Geschäftsmodell es in den 90er-Jahren war, in ein rassistisches Wir und Ihr zu teilen.

Es ist richtig, dass „unsere Leute“ als Abgrenzung bisher vor allem rechte Parteien verwenden – wörtlich oder zwischen den Zeilen –, um zu markieren, wen sie als österreichisch genug empfinden, um in Österreich zu leben. Aber auch, wen sie als zu wenig österreichisch empfinden, obwohl er*sie Österreicher*in ist. So wird die Staatsbürgerschaft, wie ein Fähnlein im Wind, entweder als zentrales Charaktermerkmal eines Menschen gehandelt, oder als komplett nichtssagend. 

Eingeteilt wird hier nach äußerem Erscheinungsbild, nach Melaningehalt der Haut, nach Klang des Namens und nach erkennbarer oder vermuteter Religionszugehörigkeit. „Unsere Leute“ ist schon immer eine sehr unscharfe Trennlinie. Dennoch werden in Österreich entlang dieser Linie nun schon so lange Wahlkämpfe geführt, dass ich mich nicht erinnern kann, dass es jemals anders war. Inland – Ausland. Wir – ihr. Gut – böse. Mehr ist es im Grunde nicht. Nun hat Andreas Babler diese Linie verschoben, und erstmal irritiert das viele. Darf er das? 

Die Gespaltenen spalten 

Andreas Babler wird jetzt unter anderem vorgeworfen, er würde mit dem Begriff „unsere Leute“ Populismus betreiben. Und ja, das tut er. Er zeigt damit sehr grob jene Fronten auf, an denen heute und in Zukunft ausgehandelt werden wird, wie mit knapper werdenden Ressourcen umgegangen werden kann, ohne dass sich eine Seite immerzu an der bloßen Existenz der anderen bereichert. Es geht hier gar nicht um eine exakte Definition. Es geht um große Verteilungsfragen, um ein Gefühl, das heute weit in die Mittelschicht hinein wirkt. Das Gefühl zu verlieren, keinen Zugang zu haben – nicht nur zu den Seen, wenn es immer heißer wird, sondern auch zu einem Leben, das sie sich bis zum Schluss leisten können. 

Man könnte jetzt lang und breit darüber diskutieren, wo die Einkommensgrenze „unserer Leute“ liegen könnte. Ob damit alle Menschen gemeint sind, die von ihrer Arbeit und ihrem Lohn leben. Ob man mit einem Haushaltseinkommen von 180.000 Euro pro Jahr noch zu den Arbeiter*innen gehört, nur weil man nicht geerbt hat. Ob der Traunsee, der im Gegensatz zum Wörthersee, dem Attersee oder dem Ossiacher See noch relativ gut öffentlich zugänglich ist, überhaupt das Problem ist.

Im Grunde wissen alle, wer mit „unsere Leute“ gemeint ist. Und wer nicht. Denn die Fronten sind nicht neu. Babler betreibt nicht die Spaltung, er benennt sie. Sie war immer da und sie verläuft unter anderem zwischen arm und reich. Doch nicht nur da, denn das Land ist auch in sehr vielen anderen Dingen „gespalten“. Eigentlich in allem – oder können Sie sich erinnern, dass ganz Österreich sich schon jemals in irgendetwas einig war? So zu tun, als habe es diesen Zustand gegeben und als wäre er verloren gegangen, ist in erster Linie irreführend, aber auch gefährlich, vor allem wenn dieses Narrativ von Journalist*innen übernommen wird.

Populismus aus allen Richtungen 

Was Babler offenbar verstanden hat, ist, dass sich Populismus nur mit Populismus bekämpfen lässt. Nicht mit exakten Zahlen, Verständnis oder Empathie. Und schon gar nicht mit der Zurückhaltung der vergangenen Jahre, der die SPÖ nun zu entkommen scheint. Populismus ist schon längst kein Alleinstellungsmerkmal der FPÖ oder ihres Chefs und Kanzleraspiranten Herbert Kickl. Auch die ÖVP ist längst eine Meisterin der Kunst geworden, alles und nichts zu sagen. Altkanzler Sebastian Kurz hat einen großen Teil dazu beigetragen.

Statt Lösungen für drängende Themen findet die ÖVP stets vor allem neue Probleme. Hervorragend ließ sich das zuletzt beobachten in der ZIB 2, als Bundeskanzler Karl Nehammer bei Armin Wolf zum Interview saß. Johanna Mikl-Leitner, die in Niederösterreich mit der FPÖ koaliert, hatte zuvor in Leserbriefen und Kommentaren beklagt, dass „die Radikalen den öffentlichen Diskurs“ beherrschten, und angekündigt, „Kante für die normal denkende Mitte unserer Gesellschaft zu zeigen“. 

Wolf fragt also bei Nehammer nach, wer diese „normal denkende Mitte“ denn sei. Der weicht aus und sagt, dass es schon mal nicht normal sei, „dass wir über das Wort Normalität in einer der wichtigsten Nachrichtensendungen des Landes diskutieren, wo wir von großen Problemen bedrückt werden.“ Doch Wolf lässt nicht locker. Nehammer betont dann noch, er sei kein Spalter, um gleich danach zwischen Schnitzelesser*innen und Veganer*innen, zwischen Autofahrer*innen und Radfahrer*innen, seine eigenen Fronten aufzuziehen.

Willkommen im Wahlkampf

Bereits vor diesem Interview hatte der Bundeskanzler den FPÖ-Chef Kickl bei einem Gespräch mit Journalist*innen als „Sicherheitsrisiko für dieses Land“ bezeichnet.

Man darf das alles durchaus als Anpfiff für den Wahlkampf zur kommenden Nationalratswahl  verstehen. Regulär ist die zwar erst für Herbst 2024 geplant, aber so recht scheint niemand daran zu glauben. 

Die Taktik der Parteien scheint klar. Die ÖVP wird vor allem versuchen Kickl anzugreifen, denn in Sonntagsfragen liegt die FPÖ immer noch mit 30 Prozent an erster Stelle. Wir werden außerdem jenen Drahtseilakt bestaunen können, in dem die ÖVP – jene Partei, die vor gar nicht so langer Zeit in Chats ihres Ex-Finanzgeneralsekretärs Thomas Schmid mit dem Satz „Vergiss nicht – du hackelst im ÖVP-Kabinett. Du bist die Hure für die Reichen” beschrieben wurde – versucht, sich als Partei der „Normalos“ zu inszenieren. Gleichzeitig wird versucht werden, Babler als jemanden darzustellen, der den Leuten das Geld aus dem Börsel und den Schmuck aus der Schatulle nehmen will. Kickl wird von rechts wie gewohnt nach unten, oben und links treten. Babler von links nach oben und rechts. Es wird also vor allem viel getreten werden, aber neu ist, dass es dabei sehr viel mehr um Geld gehen wird, darum wer Leistungsträger*in der Gesellschaft ist und wer was verdient hat. 

Auch deshalb wird derzeit vermehrt von einem Kulturkampf der Parteien gesprochen, der uns nun nach Vorbild Ungarn oder USA drohen soll. Doch bei genauerer Betrachtung der vergangenen Jahre, der aktuellen Koalitionen und ihrer Regierungsprogramme sollte eigentlich klar sein, dass Österreich schon längst mittendrin steckt.

Autor*in: Saskia Hödl

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