Es ist Freitagmorgen und du liest das tag eins briefing. Jede Woche bieten wir dir hier Perspektiven, Einschätzungen und Analysen zu Politik & Medien – so wie in einer guten Diskussion unter Freund*innen.
Nach der turbulenten vergangenen Woche war der Plan für diese Woche eigentlich: Bisschen runterkommen und tief durchatmen. So richtig hat das aber nicht geklappt. Das liegt wohl auch an der riesigen Feinstaubglocke, die Anfang dieser Woche über Wien gehangen ist. Alle Jahre wieder, findet der Smog im Herbst und Winter seinen Weg in unsere Lungen und in die Medien. So einen richtigen Durchblick beim Thema Luftqualität hatte ich bisher aber noch nicht. Diese Woche lichtete sich der Nebel dann, als uns Kollege Dominik Ritter-Wurnig, seines Zeichens Luftdatenexperte, in einer Sitzung das Phänomen Feinstaub verständlich erklärt und eingeordnet hat. Diese Expertise will ich dir nicht vorenthalten.
Wir wollen in diesem Newsletter aber auch rauszoomen, vom Kleinen ins Große, von der Alltagsbeobachtung in die Metaperspektive. Vom lokalen „Wetterphänomen“ geht es diese Woche deshalb auch zum aktuellen Hotspot der Klimakrisenbekämpfung (zumindest auf dem Papier), zur Weltklimakonferenz COP29 nach Baku, Aserbaidschan. Was der ganze Zirkus eigentlich bringt und ob sie in diesen Zeiten noch Hoffnung finden kann, erzählt die 23-jährige Theresa Öllinger, eine von Österreichs UNFCCC-Jugenddelegierten im Kurzinterview (auch als Audioversion verfügbar).
Ohne diese Einleitung unnötig in die Länge ziehen zu wollen, möchte ich dir jetzt auch noch gerne unsere neue Praktikantin Jolanda Allram vorstellen. Jolanda hat Betriebswirtschaftslehre studiert und viele Jahre in der Personalentwicklung und der Unternehmenskommunikation gearbeitet. Momentan absolviert sie das Journalismus-Masterstudium an der FH Wien. Ihr inhaltlicher Schwerpunkt liegt im Themenkomplex Care-Arbeit – diese Woche hat sie deshalb direkt über einen erstaunlichen Vorgang berichtet: Während ein Politiker mit den Tränen kämpft, erklärt er seinen Rücktritt und begründet ihn mit dem Verweis auf einen feministischen Roman. Mehr dazu findest du im dritten Teil dieses Newsletters. Viel Spaß!
„Luftqualität: Extrem schlecht“ – diese beunruhigende Nachricht hatten in den letzten Tagen etwa iPhone-Nutzer*innen in ihrer Wetter-App. Dass die Feinstaubbelastung an windstillen Hochnebeltagen im November überdurchschnittlich ist, ist nicht ungewöhnlich. Stichwort: Inversionswetterlage.
Ungewöhnlich ist, dass sich so viele Menschen durch Designentscheidungen von Silicon Valley-Konzernen plötzlich für Luftverschmutzung interessieren.
Dafür muss ich kurz ausholen: Ich beschäftige mich seit über zehn Jahren mit Luftqualität und habe für den rbb wiederholt über die Überschreitung des Stickstoffdioxid-Grenzwerts in Berlin berichtet. Bis 2018 wurden auch in Wien Jahr für Jahr die gesetzlichen Grenzwerte für Feinstaub und/oder Stickstoffdioxid überschritten. Die Konsequenzen waren mau.
Damals habe ich – aber auch viele Expert*innen – mich stets gewundert, warum es keinen öffentlichen Aufschrei gab. Meine These: Anders als Trinkwasserverschmutzung sieht und schmeckt man Luftverschmutzung nicht. Die gesundheitlichen Folgen sind relativ abstrakt; niemand fällt wegen Feinstaubbelastung oder Stickstoffdioxid-Vergiftung sofort tot um. Dennoch spricht die Europäische Umweltagentur (EEA) von circa 3.200 Todesfällen in Österreich im Jahr 2021 aufgrund einer zu hohen Feinstaubbelastung (in diesem Fall PM2,5, aber dazu gleich mehr). Zum Vergleich, im selben Jahr starben in Österreich 361 Menschen bei Verkehrsunfällen.
Das andere Problem: Luftverschmutzung ist kompliziert. Mit Feinstaub meint man vereinfacht gesprochen so winzigen Staub, dass er nicht mehr mit freiem Auge erkennbar ist. Im Fall der Feinstaubkategorie PM10 etwa sind die Teilchen um die 10 Mikrometer groß, 10 Mikrometer entspricht einem Hundertstel Millimeter. Aber viel gefährlicher sind noch kleinere Teile: PM2,5 ist um die 2,5 Mikrometer groß. Während größere Teile von unserer Nase abgefangen werden können, dringt dieser kleine Staub bis in die Lunge vor. Ultrafeinstaub (kleiner als 0,1 Mikrometer) gelangt sogar ins Blut und kann teilweise die Blut-Hirn-Schranke überwinden.
Das Problem: Für PM2,5 gibt es bis heute in Österreich bzw. der EU keinen gesetzlichen Tagesgrenzwert; für Ultrafeinstaub fehlt es überhaupt noch an standardisierten Messmethoden.
Das iPhone warnte die letzten Tage in Ost-Österreich vor einer hohen Feinstaubbelastung. Erstellt wird diese Karte von der Firma Breezometer, die wiederum Teil von Google/Alphabet ist. Grundlage sind einerseits die geeichten Messstellen der Behörden: Diese messen wie viel an Feinstaubmasse in einem Kubikmeter Luft ist. Das Problem: Große Teilchen sind tendenziell schwerer und lassen deshalb schneller den Alarm ausschlagen; tendenziell gesundheitsschädlicher sind aber die kleineren Teilchen. Unterschieden wird auch nicht, aus was der Staub besteht: Wüstensand, Wassertröpfchen oder Salz sind tendenziell weniger gesundheitsschädlich als Ruß oder Reifenabrieb.
Für seine “ultragenaue” Karte nimmt Breezometer aber nicht nur die Luftdaten, sondern greift alles ab, was verfügbar ist: Verkehrsdaten, Satellitenbilder, Wetterprognosen und mehr. Das Programm schmeißt all das in einen geheimen Algorithmus und modelliert daraus eine auf fünf Meter exakte Karte. Damit wird eine Scheingenauigkeit suggeriert.
PM10-Feinstaubwerte um die 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft (µg/m³) sind heute die Ausnahme, aber noch vor 20 Jahren war das ein ganz normaler Wert. Im Jahr 2001 wurde an der Messstelle Don Bosco in Graz an 131 Tagen dicke Luft mit mehr als 50 Mikrogramm Feinstaub gemessen; 2023 waren dort gerade einmal 11 Tage über diesem Grenzwert.
Die Luftqualität verbessert sich kontinuierlich, gleichzeitig steigen auch unsere Ansprüche an eine saubere Umwelt. Eine Verschärfung der gesetzlichen Grenzwerte ist überfällig. Erst 2030 senkt die EU den Tagesmittelgrenzwert auf 45 µg/m³ für PM10, der dann nur noch an 18 Tagen überschritten werden darf (aktuell sind 35 Überschreitungen der 50 Mikrogramm-Grenze erlaubt). Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt dagegen schon jetzt, dass die PM10-Belastung von 45 Mikrogramm maximal an vier Tagen im Jahr überschritten werden soll.
von Emil Biller 📧
Theresa Öllinger (23) vertritt dieses Jahr als Teil der österreichischen Delegation die Jugend auf der Weltklimakonferenz COP29 in Baku, Aserbaidschan. Sie studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement auf der BOKU in Wien.
Was macht man als UNFCCC-Jugenddelegierte eigentlich?
Als Jugenddelegierte verfolgen wir die Verhandlungen auf der Weltklimakonferenz, die gerade in Baku in Aserbaidschan stattfindet, ganz genau und berichten dann an die Jugend in Österreich zurück, was da so passiert.
Wie weit hat man als Jugenddelegierte einen Einblick in diese politischen Verhandlungen?
Wir als Jugenddelegierte sind Teil der österreichischen Delegation und können zu den Verhandlungen mitgehen. Es gibt natürlich auch bestimmte Verhandlungsräume, in die wir keinen Einblick haben. Aber wir sind vor Ort. Wir tauschen uns mit den Verhandler*innen zu den Themen aus. Und wir bemühen uns natürlich, die Stimme der Jugend zu vertreten und den Verhandler*innen unsere Position näher zu bringen.
Ist das erfolgreich?
Ja. Solche Prozesse sind natürlich immer kompliziert. Es gibt bei diesen Konferenzen ein Konsens-Prinzip. Das heißt, wenn man zu einer Entscheidung kommt, müssen wirklich alle Staaten, die teilnehmen, damit übereinstimmen. Ich glaube, dadurch gibt es oft weniger ambitionierte Ausgänge, als man gerne hätte. Aber es ist auf jeden Fall wichtig, dass wir als Jugend vor Ort sind und auch unsere Stimme einbringen.
Aber bringt die COP überhaupt noch was?
Die COP29 findet in einer sehr kritischen Zeitphase statt. Es gibt aktuell Berichte von Copernicus, dass jetzt das 1,5-Grad-Limit erstmals überschritten worden ist. Die COP findet knapp nach der Wiederwahl von Trump ins Weiße Haus statt, der ja schon gesagt hat, er möchte die USA aus dem Paris Agreement rausnehmen bzw. aus der Klima-Rahmen-Konvention aussteigen.
Für uns heißt das aber nicht, dass die Konferenz jetzt unwichtig ist, sondern dass es umso wichtiger ist, dass man sich trifft und über Klima und Maßnahmen redet. Deswegen waren wir auch bis zum gewissen Grad enttäuscht, dass so viele europäische Staatsoberhäupter nicht zur Konferenz kommen.
Aserbaidschan gilt als sehr umstritten. Man denke an die hohe Abhängigkeit von Öl und Gasexporten, an den Umgang mit Menschenrechten oder an die Militär-Offensive in Bergkarabach. Warum findet die COP dort statt?
Also grundsätzlich ist es so, dass wir sehr wenig Einfluss drauf haben, wo die COP stattfindet. Es geht nach einem UN-Ländergruppen-Rotationsprinzip. Das heißt, dieses Jahr war die osteuropäische Ländergruppe dran, wo man sich dann im Endeffekt auf Aserbaidschan geeinigt hat.
Es ist wichtig, dass man die COP jetzt nicht deswegen boykottiert, sondern dass man diese Plattform, die auf einer COP gegeben ist und diese zwei Wochen, wo die ganze Welt auf Klimathemen schaut, nutzt und wirklich ambitionierte Lösungen vorwärtsbringt.
Wir haben das auch letztes Jahr in Dubai gesehen. Da ist der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen das erste Mal in einer COP-Entscheidung wörtlich erwähnt worden. Man merkt, es kann auch in autoritären und fossilen Staaten gelingen, dass man solche Entscheidungen in COP-Erklärungen drinnen hat.
Also blickst du mit Hoffnung auf die bevorstehenden Verhandlungen?
Ja, sonst wäre ich nicht da. Ich glaube, es gibt Hoffnung. Ich glaube, dass gerade das Klimafinanzierungsziel auch sehr viel Hoffnung für Länder des globalen Südens bedeuten kann, die wirklich stark betroffen und auf dieses Geld angewiesen sind.
Und ich hoffe wirklich darauf, dass die EU oder generell Länder, die historisch hohe Emissionen haben, sich dafür einsetzen und Climate-Leadership zeigen.
Die Vollversion des Interviews (inklusive zusätzlicher Informationen über die COP-Teilnahme der Taliban) kannst du dir als Audioversion hier anhören:
von Jolanda Allram 📧
Ein feministisches Buch bewegt einen Politiker zum Rücktritt? Das hat Seltenheitswert. Am vergangenen Wochenende verkündete der Vorsitzende der SPÖ-Oberösterreich Michael Lindner auf einer Pressekonferenz seinen Rücktritt. Einer der Hauptgründe: Er möchte ab nun aktiver am Leben seiner zwei Söhne teilnehmen und mehr Verantwortung in seiner Familie übernehmen.
Zyniker*innen mögen nun angesichts des einen oder anderen Rücktritts in der SPÖ sagen, oh je, da mache einer "den Kurz" und schiebt sein Kind für einen Rücktritt vor. Doch Lindner spricht sichtlich bewegt und ausführlich über Care-Arbeit, Vereinbarkeit und darüber, was er als Vater bisher verpasst hat. Als Inspiration für seinen Umdenkprozess nennt er den Roman „Die Wut, die bleibt“ der Autorin Mareike Fallwickl, den er Anfang des Jahres gelesen habe. Fallwickl schreibt darin berührend und politisch über Erschöpfung, Mutterschaft und Care-Arbeit.
Jolanda Allram hat bei Mareike Fallwickl nachgefragt und aufgeschrieben, warum Care-Arbeit und ein Berufsleben in der Spitzenpolitik so schwer vereinbar sind, aber auch, wie sich das ändern könnte. Denn feststeht: Wir brauchen Menschen in der Politik, die wissen, wie es ist, Care-Arbeit zu leisten.
Den vollständigen Artikel kannst du hier lesen:
(Diesen Text gibt es exklusiv für tag-eins-Mitglieder.)
Und, immer noch nicht ganz klar im Kopf? Verständlich, Feinstaub und Nebel machen etwas mit uns. In der Vergangenheit war Smog schon des Öfteren sogar tödlich, wie etwa bei der großen Smog-Katastrophe in London 1952, wo bis zu 12.000 Menschen an den Folgen eines knapp vier Tage andauernden Nebels gestorben sind. Packend illustriert wird das auch in Folge 4 der ersten Staffel der Serie The Crown über das britische Königshaus.
Kaum eine Serienepisode hat bei mir einen so tiefen und bleibenden Eindruck hinterlassen.
Ein schönes Wochenende und ganz viel frische Luft wünscht
Emil von tag eins
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