vielen Dank für eure ganzen Antworten bei unserer Mitgliederumfrage bisher. Ein letztes Mal noch: Falls du es noch nicht getan hast, mach jetzt mit bei unserer Leser*innenbefragung!
Am 27. Jänner 1945 haben Truppen der Roten Armee die letzten Überlebenden aus dem Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau befreit. Dieser Tag jährte sich am Montag zum 80. Mal und wird international als Gedenktag an die Opfer des Holocaust begangen. Dabei geht es darum, sich die unfassbaren Gräueltaten des Nationalsozialismus immer wieder vor Augen zu führen und der Millionen Opfer der Shoah zu gedenken.
„Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.“ – Primo Levi, italienischer Schriftsteller und Holocaust-Überlebender (1919–1987)
Gerade heutzutage ist dieses Erinnern wichtiger denn je. In Deutschland bröckelt die „Brandmauer“ gegen Rechts. Am Mittwoch wurde im deutschen Bundestag eine Verschärfung des Migrationsrechts mit den Stimmen von CDU, FDP und der in Teilen rechtsextremen AfD beschlossen. Bereits im Vorhinein war klar, dass die AfD mit an Bord sein wird, CDU und die FDP machten in vollem Bewusstsein gemeinsame Sache mit dem extrem rechten Lager. Die AfD feiert den Tabubruch.
Diese Woche haben wir für dich:
❏ Einen Überblick darüber, wer von den Verhandlern von FPÖ und ÖVP Mitglied in Verbindungen und Burschenschaften ist
❏ Eine Einordnung zum Thema Objektivität und Journalismus
❏ Fünf junge Journalist*innen erzählen, wie es ihnen derzeit in der österreichischen Medienlandschaft geht
Und in Österreich ist eine rechtsextreme Partei am Sprung ins Kanzleramt. Die Verhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP laufen auf Hochtouren. Aber wer sind eigentlich die Leute, die im Moment über Österreichs Zukunft verhandeln? Dominik Ritter-Wurnig hat für tag eins recherchiert und festgestellt, da sitzen ganz schön viele Korporierte (also Burschenschafter) mit am Verhandlungstisch. Aber überzeuge dich selbst.
Viel Spaß mit dem tag eins briefing!
von Dominik Ritter-Wurnig
Warst du schon mal auf einer Bude? Nein? Weißt du nicht mal, was mit Bude gemeint ist?
Dann geht es dir wie 99 Prozent der Menschen in diesem Land. Bei 75 Prozent der männlichen FPÖ-Koalitionsverhandlern ist das anders. Neun von zwölf FPÖ-Verhandlern sind Mitglieder einer deutschnationalen Verbindung. Laut Rechtsextremismusbericht im Auftrag des Innenministeriums haben deutschnationale Verbindungen in Österreich insgesamt weniger als 10.000 Mitglieder und repräsentieren damit weniger als ein Promille der österreichischen Bevölkerung. Unter der FPÖ-Elite sind diese aus der Zeit gefallenen Männerbünde hingegen überrepräsentiert.
Mit Ausnahme von Parteichef Herbert Kickl sowie Hubert Fuchs, der das Kapitel Steuern und Finanzen für die Freiheitlichen verhandelt, sind alle männlichen Verhandler Mitglied einer schlagenden Burschenschaft. Auch in der ÖVP hilft eine Mitgliedschaft in einer katholischen Verbindung nach wie vor auf der Karriereleiter aufzusteigen: Mit Christian Stocker ist auch der neue Parteivorsitzende Mitglied einer katholischen Hochschulverbindung, der Neostadia.
Warum ist das wichtig?
Studentenverbindungen sind lebenslange, rein männliche Seilschaften, die sich gegenseitig fördern und weiterhelfen. Grob lassen sich österreichische Verbindungen in zwei Lager unterteilen: Katholische Verbindungen sind nicht-schlagend, stehen traditionell der ÖVP nahe und waren historisch gesehen Unterstützer des Austrofaschismus. Deutschnationale Verbindungen duellieren sich im Fechtkampf, stehen traditionell der FPÖ nahe und waren historisch gesehen Unterstützer der nationalsozialistischen Machtergreifung in Österreich.
Anders als die ÖVP etwa im Wahlkampf behauptet hat, geht es bei Verbindungen nicht um das Prinzip Leistung, sondern das Prinzip „Amicitia“. Das heißt, es sind alle Cartellverbandsmitglieder durch eine „Lebensfreundschaft“ verbunden und per Du. Im Cartellverband (CV) sind die meisten katholischen Studentenverbindungen organisiert; daneben existieren mit dem Mittelschülerkartellverband (MKV) und dem Bund katholisch-österreichischen Landsmannschaften (KÖL) weitere Verbände.
Politisch weit problematischer sind aber die deutschnationalen bzw. schlagenden Verbindungen, die traditionell mit der FPÖ verbandelt sind.
„Selbst unter einem FPÖ-Obmann wie Herbert Kickl – der nicht korporiert ist und dem man auch nachsagt, mit dem Milieu wenig anfangen zu können – kommt die FPÖ nicht daran vorbei, bei Regierungsverhandlungen auf Korporierte zurückzugreifen“, sagt Bernhard Weidinger, der am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes zu Rechtsextremismus forscht.
Deutschnational und schlagend
Deutschnational bedeutet, dass diese Männerbünde – zumindest traditionell – Österreich als Nation ablehnen und eine Wiedervereinigung mit Deutschland anstreben. Dass dieser Gedanke noch immer aktuell ist, zeigt ein Blick auf die Webseite der akademischen Burschenschaft Oberösterreicher Germanen in Wien, bei der Hannes Amesbauer Mitglied ist. Amesbauer verhandelt für die FPÖ ausgerechnet die Kapitel Innere Sicherheit und Integration. Auf der Homepage finden sich statt der österreichischen Fahne die deutsche schwarz-rot-goldene Fahne sowie die schwarz-weiß-rote Reichsflagge. In Instagram-Postings beziehen sich die „Obergermanen“ auf Deutschland oder feiern statt Weihnachten das altgermanische Julfest. Klar revisionistisch ist auch ein Instagram-Posting vom Weißhorn-Gipfel in Südtirol mit dem Hashtag #eintirol.
Schlagend bedeutet, dass die jungen Burschenschafter ohne ausreichende Schutzkleidung sogenannte Mensuren fechten müssen. Verletzungen und Narben – auch Schmisse genannt – werden bewusst in Kauf genommen und dienen als Zeichen der Härte. Das kultische und blutige Aufnahmeritual dient auch zur Abgrenzung gegenüber den katholischen, nicht-schlagenden Verbindungen, die als verweichlicht und elitär angesehen werden. „Auch dann, wenn man für sich selbst ficht, zeigt man dennoch mit der Mensur, dass man bereit ist, seine eigene Unversehrtheit an die zweite Stelle zu setzen – hinter das Corps, hinter die Gemeinschaft!“, heißt es auf der Homepage der Teutonia Graz, wo Volker Reifenberger Mitglied ist, der für die FPÖ die Themen Landesverteidigung und Sport verhandelt. Durch den rituellen Fechtkampf lerne man, mit Härten umzugehen, Nachteile in Kauf zu nehmen und innerhalb der Corps-Gemeinschaft Solidarität zu üben, heißt es.
Wie weit rechts stehen Burschenschaften?
Die Burschenschaft Olympia gilt laut DÖW-Wissenschaftler Bernhard Weidinger als gesichert rechtsextrem. In der Selbstbeschreibung definiert sich die Olympia als die schärfste Burschenschaft Wiens. Deren Mitglied Norbert Nemeth verhandelt das Kapitel „Verfassung, Deregulierung, Öffentlicher Dienst, Kampf gegen Antisemitismus und politischen Islam“. Laut Standard sprach sich Nemeth in den 1990ern gegen das Gesetz aus, das nationalsozialistische Wiederbetätigung unter Strafe stellt.
Wie weit rechts die meisten schlagenden Burschenschaften und Korporationen stehen, lässt sich von außen schwer beurteilen. „Viele Verbindungen agieren nach außen sehr verschlossen“, sagt Weidinger, der zum Thema Burschenschaften seine Dissertation geschrieben hat. „Deshalb liegt uns oft schlicht zu wenig Material vor, um eine verlässliche Einstufung – sei es als rechtsextrem oder als gemäßigt – vornehmen zu können.“
Deine Meinung zählt. Seit November produzieren wir das tag eins briefing. Nun wollen wir wissen: Wie gefällt dir unser neues journalistisches Produkt eigentlich? Mach bei unserer Leser*innenbefragung mit und hilf uns, tag eins zu verbessern. Hier geht’s zur Umfrage!
von Jolanda Allram 📧
Es ist eine unendliche Geschichte: Medien kritisieren die FPÖ, die FPÖ wirft Medien mangelnde Objektivität vor. Aber ist qualitativ hochwertiger Journalismus wirklich immer objektiver Journalismus?
Medien sollen die Welt abbilden, wie sie wirklich ist. Wie ein Spiegel beobachten sie die Wirklichkeit von außen. Nur so können sich Bürger*innen eine Meinung bilden und informierte Wahlentscheidungen treffen. Objektivität gilt dabei als das Qualitätskriterium für Journalismus. Wenn etwas anderes behauptet wird, lässt das auch gern mal die Emotionen im Standard-Forum überkochen.
Die Wirklichkeit ist komplex
Doch die Spiegelmetapher hinkt leider. In demokratischen Gesellschaften sehen Kommunikationswissenschaftler*innen Medien als Teil der Wirklichkeit. Als solche können sie keine objektive Außenperspektive einnehmen. Auch hier gibt es eine Metapher: Die Wirklichkeit ist ein Sonnensystem und Medien sind Planeten, die sich darin bewegen. Aus jeder Position im Sonnensystem ergibt sich ein anderer, subjektiver, Blickwinkel auf das Geschehen. Außerdem werden Planeten von anderen Himmelskörpern beeinflusst und beeinflussen diese im Gegenzug.
Der gegenseitige Einfluss ist vielfältig. Journalist*innen treffen aufgrund ihrer Sozialisation und ihrem persönlichen Weltbild subjektive Entscheidungen in Hinblick auf die Themen, über die sie berichten, Expert*innen, die sie befragen oder die Aspekte eines Themas, die sie aufgreifen. Medien geben eine Blattlinie vor, die oft abhängig ist von ihren Eigentumsverhältnissen. Politik oder Unternehmen beeinflussen ebenso, was berichtet wird. Mit Hilfe von Presseaussendungen, Pressekonferenzen oder kontroversen Aussagen rücken sie ihre eigenen Interessen in den Fokus und setzen Themen.
Aber auch das Publikum beeinflusst die Medien: In einem wettbewerbsorientieren Markt wollen Medien auch die Wünsche ihrer Zielgruppe befriedigen. Wegen der Abhängigkeit von Google und den Social Media-Algorithmen machen sie das oft mit Inhalten, die wenig gesellschaftliche Relevanz haben, sondern auf kurzfristige Aufmerksamkeit abzielen. Medien beeinflussen sich zudem gegenseitig: Themen und Narrative werden von einander aufgegriffen und so bestimmte Diskurse verstärkt.
Werte jenseits von Objektivität
Die Forschung nennt die Vorstellung, dass Medien die Realität widerspiegeln können, sogar naiv. Objektivität im wissenschaftlichen Sinn ist nicht das Fehlen von Subjektivität. Sie ist vielmehr dann gegeben, wenn alle Fakten stimmen, Quellen transparent kommuniziert und Nachrichten wertungsfrei wiedergegeben werden. Wobei die Auswahl einer Nachricht eben auch schon eine Wertung ist, echte Objektivität ist also gar nicht erreichbar .
Journalist*innen sind auch nur Menschen und haben eine Haltung zu Themen. Sich dieser bewusst zu sein und sie auch transparent zu kommunizieren, macht es ihnen möglich, die eigenen Entscheidungen zu reflektieren und dadurch guten Journalismus zu machen. Jener zeichnet sich durch Vielfalt aus, sowohl was die Themen als auch die Perspektiven betrifft. Er ist leicht verständlich. Er ist ausgewogen. Das heißt aber nicht, dass alle Meinungen im gleichen Ausmaß vorkommen müssen. Und dort, wo Meinungen demokratiefeindlich sind, haben Medien sehr wohl die Aufgabe, sie als solche einzuordnen.
Eine blühende Medienlandschaft, die Verantwortung trägt
Wenn Objektivität nicht mehr das Maß aller Dinge im Journalismus ist, dann ist eine vielfältige Medienlandschaft umso wichtiger – denn es ist die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Meinungen, die eine Demokratie ausmacht. In dieser sind Medien eine Kontrollinstanz. Wenn Journalist*innen Aussagen kritisieren, in denen demokratische Prinzipien oder Menschenwürde infrage gestellt werden, ist das keine Parteilichkeit, sondern journalistische Verantwortung. Das zeigt sich gerade in der Auseinandersetzung mit rechtsextremen Positionen. Denn auch wenn im Journalismus oft an der Idee der Objektivität festgehalten wird, ist der gemeinsame Nenner der Schutz der Demokratie. Und das ist eine klare Haltung.
von Emil Biller 📧
Vor einem Jahr hat Emil Biller fünf junge Journalist*innen gefragt, wie es ihnen gerade in Österreich geht – zwischen schlecht bezahlten Praktika, verkrusteten Strukturen und einer kaputtgesparten Medienlandschaft. Die Einblicke waren teils hoffnungsvoll, teils ernüchternd.
Nun hat Emil noch einmal nachgefragt: Die fünf jungen Journalist*innen erzählen, was sich seit dem letzen Gespräch bei ihnen getan hat. Und auch wenn das sehr unterschiedlich ist, eines hat sich im letzen Jahr bei fast allen verstärkt: Die Sorge um die Pressefreiheit.
Den vollständigen Artikel kannst du hier lesen (exklusiv für Mitglieder) :
Was also unternehmen gegen den aktuellen Rechtsruck? Wir haben schon vor ein paar Wochen aufgeschrieben, was du tun kannst, wenn dir Blau-Schwarz Angst macht.
Außerdem kannst du auch ein bisschen deiner Zeit und Aufmerksamkeit herschenken, um an der Aufarbeitung der NS-Zeit mitzuwirken. Die Arolsen Archives, das Internationale Zentrum über NS-Opfer, verfügen über 17,5 Millionen Datensätzen zu NS-Opfern, die allerdings erst richtig digitalisiert werden müssen.
Daher wurde die Initiative #everynamecounts ins Leben gerufen, bei der mit Hilfe von Menschen aus dem Internet hunderttausende NS-Häftlingspersonalkarten digital aufbereitet werden sollen. Statt sinnlos durch Social Media zu scrollen, kannst du in nur fünf Minuten eine NS-Häftlingspersonalkarte entziffern und auf der Archiv-Webseite eintragen.
Mehr Infos findest du hier:
Ich werde das jetzt gleich mal ausprobieren, bis zum Ende des heutigen Tages sollen 251.211 Karten entschlüsselt werden. (Im besten Fall wurde das Ziel in der Nacht auf heute sogar schon erreicht.)
Ein schönes Wochenende wünscht
Emil von tag eins
PS: Es haben bereits über 40.000 Menschen die Initiative für einen unabhängigen Justizminister auf der Mitmachplattform mein.aufstehn.at unterzeichnet. Du auch?
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