Es ist Freitagmorgen und du liest das tag eins briefing. Jede Woche bieten wir dir hier Perspektiven, Einschätzungen und Analysen zu Politik & Medien – so wie in einer guten Diskussion unter Freund*innen.
Und? Hast du schon alle Geschenke? Sehr einfallsreich heute mit dieser Frage in den Text zu starten, I know. Aber ich gebe es zu, ich noch immer nicht. Und das stresst mich. Ich würde mir nämlich eigentlich gerne Zeit nehmen und mir für die Leute, denen ich zu Weihnachten eine Freude machen will, etwas Nettes überlegen. Aber ich schaff es nicht, mir dafür mental genügend Kapazitäten freizuräumen – und das hat Gründe.
Keine Ahnung, ob es dir auch so geht, aber gefühlt geht im Moment jeden Tag die Welt ein Stück weit mehr unter. Ob global oder direkt vor unserer Haustür, der Ton wird rauer, die Krisen werden härter und die Politik wird rechter. Das beschäftigt mich und es fühlt sich für mich seltsam und anachronistisch an, ganz normal und mit gutem Gefühl an Weihnachtstraditionen festzuhalten, nur weil es *gesprochen im Kärntner Dialekt* „holt schon imma so woa“.
Ich bemühe mich trotzdem. Und Weihnachtsfilme helfen mir dabei. Warum sich in Love Actually und Co. auch viele gesellschaftliche und familiäre Krisen wiederfinden, erklärt die Weihnachtsfilmexpertin (Ja, das gibt's wirklich) Andrea Geier im tag-eins-Interview der Woche von Anna Mayrhauser. Außerdem empfehlen die tag-eins-Redakteur*innen ihr liebstes Fernseh- & Streamingprogramm für die Feiertage.
Aber komplett verdrängt diese Ablenkung das politische Geschehen leider doch nicht aus meinem Kopf. Schon gar nicht wenn Markus Sulzbacher nebenbei in der Redaktionssitzung erwähnt, wie stark die FPÖ-Polizeigewerkschaft AUF (spannendes Farbschema übrigens) bei den Personalvertretungswahlen im Wiener Verfassungsschutz (!) abgeschnitten hat. In meinen Augen ein bisschen eine Themenverfehlung, wenn jene, die Rechtsextreme beobachten und unseren Staat schützen sollten, von Bundeskanzler Karl Nehammer indirekt selbst als „Radikale“ bezeichnet werden. Aber das erklärt dir Markus weiter unten am besten selbst.
Ich wünsche mir jedenfalls zu Weihnachten, dass sich die Regierungsverhandler*innen im Bund ganz genau anschauen, welche politischen Maßnahmen die ÖVP-FPÖ-Regierungen in den Bundesländern allein diese Woche angekündigt haben. In der Steiermark hat die neue Regierung unter dem blauen Landeshauptmann Mario Kunasek (übrigens erst der zweite FPÖ-Landeshauptmann seit Haider) vorgelegt – unter anderem mit einem Gender- und Kopftuchverbot für Landesbeamt*innen und einer Bezahlkarte für Asylwerber*innen. Oberösterreich ist mit einer Ankündigung von Dialektkursen für Asylwerber*innen (leider keine Satire) nachgezogen. Und auch Salzburg zeigt, wofür Schwarz-Blau steht: Am Mittwoch wurde in der letzten Landtagssitzung die Entmachtung der Landesumweltanwaltschaft beschlossen. Davor haben Expert*innen massiv gewarnt.
Wollen wir das wirklich auch auf Bundesebene? Wenn nicht, dann sollten die Beteiligten von ÖVP, SPÖ und NEOS schleunigst ihre politische Taktiererei hintanstellen und (über die Feiertage) zur Besinnung kommen.
Viel Freude mit dem tag eins briefing!
Wenn sich der Netflix-Filmüberblick rot und grün färbt, stehen die Weihnachtsfeiertage vor der Tür. Die Literaturwissenschaftlerin und Weihnachtsfilm-Expertin Andrea Geier im Gespräch über ein kulturelles Medienphänomen, das alle Jahre wieder kommt.
Frau Geier, hat sich das Phänomen des Weihnachtsfilmeschauens in den letzten Jahren verändert?
Andrea Geier: Zum einen gibt es deutlich mehr romantische Komödien unter den Weihnachtsfilmen. Sender wie Hallmark in den USA sind berüchtigt dafür, immer wieder in großer Menge romantische Komödien nach einem ganz ähnlichen Strickmuster zu produzieren. Auch bei Netflix finden wir das, und auch hier dominieren US-amerkanische Geschichten, aber es wird auch versucht, stärker länderspezifische Angebote zu machen. Was sich auch verändert hat, ist das Personal. Es ist diverser geworden.
Was heißt das?
Wenn man sich ansieht, wer in diesen Filmen, besonders in Romcoms, unter dem Weihnachtsbaum steht oder in der Kirche sitzt, dann ist die Gesellschaft, die gezeigt wird, im Gegensatz zu früher, diverser geworden. Aber das heißt nicht, dass sich diese Filme nun mit Rassismus auseinandersetzen. Nur die Besetzung hat sich geändert.
Weihnachtsfilme gibt es ziemlich viele. Welche Kriterien machen einen Film zum Klassiker? Auf den gängigen Top-Ten-Weihnachtsfilm-Listen, die jedes Jahr kursieren, stehen eigentlich immer mehr oder weniger die gleichen Filme, viele sind auch schon wieder zwanzig Jahre alt.
Das fertige Weihnachtsfilmrezept gibt es nicht. Der Weihnachtsfilm kommt in vielen verschiedenen Genres vor. Die Hard zum Beispiel funktioniert als Weihnachtsfilm, aber er wurde natürlich vor allem als Actionfilm geplant, der ganzjährig sein Publikum finden soll. Der Episodenfilm Tatsächlich Liebe – einer der modernen Klassiker – hat eine großartige Besetzung und ist auch von der Vielfalt der Geschichten her sehr ansprechend gemacht. Da ist viel Mühe ins Drehbuch und in die Charakterisierung der Figuren geflossen, es kommen unterschiedliche Emotionen und Geschichten vor. Nicht jede Episode hat ein Happy End, der Film erzählt auch komplexer von Beziehungen, von Paaren, die schon länger zusammen sind und ihren Krisen.
Das vollständige Interview inklusive exklusiver Film- und Streamingtipps für die Feiertage aus der Redaktion findest du hier:
Eigentlich wäre dieser Text hinter der Paywall. Als kleines Weihnachtsgeschenk haben wir ihn für alle freigeschalten. Viel Freude beim Lesen undd Teilen!🎁
Im November fanden die Personalvertretungswahlen im Öffentlichen Dienst statt. Die Personalvertretung soll in Dienststellen die Interessen der Dienstnehmer*innen vertreten und ist Ansprechpartnerin für das Führungspersonal. Die verschiedenen gewerkschaftlichen Fraktionen sind (partei-)politisch organisiert.
ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer kommentierte den Ausgang der Personalvertretungswahl des Bundes ungewöhnlich deutlich. Er lobte die „absolute Mehrheit“ der Christlichen Gewerkschafter*innen und betonte auf X, dass „radikalen Kräften kein Raum gelassen“ wurde. Wer mit den „radikalen Kräften“ gemeint war, erklärte Nehammer nicht. Die blauen Gewerkschafter fühlten sich jedoch angesprochen und reagierten scharf. Sie warfen dem Kanzler „Beleidigung“, „Spaltung“ und „politisches Totalversagen“ vor.
Die blauen Gewerkschafter der Aktionsgemeinschaft Unabhängiger und Freiheitlicher (AUF) erzielten bei der bundesweiten Personalvertretungswahl des öffentlichen Diensts 8,03 Prozent, was einem bescheidenen Zuwachs von 0,88 Prozent entsprach. Als klarer Wahlsieger behauptete die stimmenstärkste Fraktion Christlicher Gewerkschafterinnen (FCG) mit 51,86 Prozent ihre absolute Mehrheit. Die Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter*innen (FSG) erreichte 25,99 Prozent, gefolgt von den Unabhängigen Gewerkschafter*innen (UG) mit 11,95 Prozent. Die verbleibenden Stimmen entfielen auf verschiedene Namenslisten.
Gegen den bundesweiten Trend mussten die christlich-sozialen Gewerkschafter bei der Polizei hingegen starke Verluste hinnehmen. Sie verloren die absolute Mehrheit. Die freiheitlichen Gewerkschafter legen stark zu und sind mit den Sozialdemokraten (FSG), die in etwa gleich bleiben, auf Augenhöhe im Kampf um Platz zwei.
Beim Wiener Verfassungsschutz, dem Landesamt für Staatsschutz und Extremismusbekämpfung (LSE) Wien, erzielte die AUF sogar die Mehrheit und erreichte dort über 50 Prozent. Angesichts der LSE-Aufgabe, Rechtsextreme zu beobachten, ist dieses Ergebnis bemerkenswert – zumal freiheitliche Politiker immer wieder bei rechtsextremen Demonstrationen auftreten oder einschlägige Veranstaltungen besuchen.
Laut dem Verfassungsschutzbericht 2023 war etwa ein FPÖ-Politiker und Polizist Mitorganisator einer Kundgebung an der Universität Wien mit dem deutschen Rechtsextremen Götz Kubitschek und Identitären-Anführer Martin Sellner.
Der Verfassungsschutzbericht wird von der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) herausgegeben. Die DSN und die Landesämter bilden gemeinsam den Staatsschutz. Ein Unterschied ist, dass beim bundesweiten Verfassungsschutz, dem DSN, die AUF nicht zur Wahl antrat.
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💬 „Ich mag sehr gerne lange Texte, wo ein bisschen mehr dahintersteht.“ – Miriam, 40, Wien
💬 „Als ich während dem Crowdfunding gesehen habe, wie viele Menschen eure Artikel lesen und wie wenige dafür bezahlen, hat mich das spontan angesprochen.“ – Ella, 31, Innsbruck
💬 „Ich zahle für etwas, wenn ich das Gefühl habe, es wäre schade, wenn es das nicht mehr gäbe.“ – Ernst, 45, Wien
💬 „Es fehlt mir oft, dass man in Medien nicht die Zeit hat, in die Tiefe zu gehen. Bei tag eins schätze ich genau das. Ich lese gerne längere Texte und drucke sie mir manchmal aus, um sie meinen Patient*innen im Wartezimmer zu zeigen.“ – Gregor, 40, Niederösterreich
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Ich muss mich jetzt aber wirklich auf den Weg zum Geschenke-Einkaufen machen. Falls jemand auch so spät dran ist – als kleine Inspiration – eine tag-eins-Mitgliedschaft ist ein super Last-Minute-Geschenk. ;-)
Wir verabschieden uns nun in eine zweiwöchige redaktionelle Pause. Das nächste briefing erscheint am 10. Jänner 2025. Das ganze Team von tag eins wünscht dir schöne und erholsame Feiertage!
Emil 🎄
PS: Für viele Menschen sind die Feiertage auch eine sehr herausfordernde Zeit. Falls du einsam bist und jemanden zum Plaudern suchst, gibt es etwa das Plaudernetz der Caritas oder die Telefonseelsorge – rund um die Uhr unter der Nummer 142 erreichbar. Solltest du medizinische und/oder psychische Hilfe benötigen, findest du hier die wichtigsten Telefonnummern.
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